Luxemburg-Stadt / Nach tödlichem Unglück auf dem Weihnachtsmarkt: „Drei Jahre danach wissen wir immer noch nichts“
Drei Jahre ist es auf den Tag genau her, dass ein zweijähriger Junge auf dem Weihnachtsmarkt sein Leben ließ. Die Ermittlungen zum Vorfall sollten laut Staatsanwaltschaft zunächst Ende Juli 2022 abgeschlossen werden, verzögerten sich dann allerdings erneut. Für die Familie eine belastende Situation, wie das Gespräch mit dem Vater des verstorbenen Jungen zeigt.
Nach zwei Jahren mit pandemiebedingten Einschränkungen stimmt sich Luxemburg-Stadt wieder mit Weihnachtsmärkten in gewohnter Form auf die Festtage ein. Bei vielen ist die Freude darüber groß und doch wecken die weihnachtlich geschmückten Gassen auch Erinnerungen an ein tragisches Unglück vor drei Jahren: Am 24. November 2019 verlor ein Zweijähriger bei einem Familienausflug zum Weihnachtsmarkt auf dem „Knuedler“ sein Leben. Bis heute ist nicht geklärt, warum damals eine Eisskulptur plötzlich umfiel und das Kind unter sich begrub.
Aktuell beschäftigt sich ein Untersuchungsrichter mit dem Fall, einen Termin für einen eventuellen Gerichtsprozess gibt es noch nicht. Ende Juli 2022 hätten die Ermittlungen laut Justiz eigentlich zu einem Ende kommen sollen. Doch: „Kurz vor Abschluss hat der Anwalt eines der Beschuldigten noch zusätzliche Schritte gefordert. Wegen dieser Anfrage konnte die Akte jetzt noch nicht geschlossen werden“, erklärt Henri Eippers, der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft. Schon vor einem Jahr waren bei den quasi abgeschlossenen Ermittlungen durch „neue Elemente“ zusätzliche Handlungen nötig geworden.
Aufklärung gefordert
„Im Mai 2020 wurden wir vom Polizeikommissar darüber informiert, dass nun der Untersuchungsrichter übernehmen würde. Heute glauben viele Menschen, dass die Akte geschlossen ist“, erzählt der Vater des verstorbenen Jungen, Ragbet Hamza. Dass dem nicht so ist, ist für die Eltern schmerzhaft. „Mittlerweile lacht man ab und an, aber für uns ist die Tragödie jeden Tag präsent. Täglich frage ich mich, ob ich es hätte verhindern können“, sagt Hamza. Er stand an dem verhängnisvollen Tag gleich neben seinem Sohn, als die etwa 2,5 Meter hohe Eisskulptur „einfach umfiel“, wie Hamza beschreibt.
Dem 41-Jährigen aus Kayl würde es laut eigener Aussage bei der Verarbeitung des tragischen Geschehens helfen, wenn er von einem Experten beziehungsweise einem Richter hören würde, was an dem verhängnisvollen Tag schiefgelaufen ist. „Es sind grausame Fehler passiert und wir wünschen uns, dass endlich aufgeklärt wird, welche. Sodass so etwas nie wieder vorkommen kann“, fordert der hörbar erschütterte Vater. Und fährt fort: „Aber drei Jahre danach wissen wir immer noch nichts.“ Um die Hauptstadt und vor allem den „Knuedler“ machen der aus Kosovo stammende und seit seinem zehnten Lebensjahr im Großherzogtum lebende Mann und seine Familie mittlerweile einen großen Bogen.
Die Familie ist sich bewusst, dass keine Absicht hinter dem Geschehenen steckt. „Wenn es uns nach geht, muss auch niemand dafür ins Gefängnis. Aber wenn man eine Arbeit erledigt, muss man zu seiner Verantwortung stehen“, fordert der ehemalige Sicherheitsexperte für Kinderspielplätze. Sein seit 2014 bestehendes Unternehmen musste er aufgrund psychischer Probleme nach dem Unglück aufgeben. Nicht zu der Verantwortung zu stehen, empfindet Ragbet Hamza als „feige“. Gegenüber der Familie, aber vor allem gegenüber seinem verstorbenen Sohn.
Elf Beschuldigte
Die laufenden Ermittlungen sollen nun die Schuldfrage klären. Der Vorwurf lautet auf fahrlässige Tötung. Elf Personen sind in dem Zusammenhang laut Pressestelle der Staatsanwaltschaft vom Untersuchungsrichter angeklagt. Erst der Abschluss der Untersuchungen wird zeigen können, welche Akteure sich im Falle eines Prozesses vor Gericht verantworten müssen. Ragbet Hamza geht davon aus, dass alle Beteiligten – wie auch er – einen Knoten im Bauch haben. Deshalb sei es im Interesse aller, die Schuldfrage schnellstmöglich zu klären.
Der trauernde Vater wünscht sich, dass sich vor allem die Gemeinde Luxemburg mehr in die Akte einbringt. Die Stadt will sich, mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen, momentan nicht zum tragischen Unglück äußern – auch nicht zur Frage, ob und was sich seit 2019 in puncto Sicherheitsmaßnahmen getan hat. „Die Sicherheit ist für die Stadt Luxemburg allererste Priorität“, heißt es von der Pressestelle der Gemeinde lediglich generell in Bezug auf die auch in diesem Jahr wieder stattfindenden „Winterlights“. Eisskulpturen gab es im vergangenen Jahr und gibt es auch bei der diesjährigen Ausgabe keine mehr.
Das „Luxembourg City Tourist Office“ – das damals den Auftrag zur Anfertigung der Skulpturen an eine Agentur mit Sitz in Frankreich vergab – will sich ebenfalls mit Verweis auf die laufende Untersuchung nicht äußern. Gleiches gilt für die französische Werkstatt, die keinen Kommentar zu eventuellen Änderungen an den Sicherheitsvorkehrungen beim Errichten solcher Eisskulpturen abgeben will. Ragbet Hamza hat in den vergangenen Jahren selbst versucht, Kontakt mit dieser aufzunehmen – ohne Erfolg, wie er sagt. „Sobald ich mich zu erkennen gab, kam keine Antwort mehr. In den drei Jahren hat sich nie jemand bei uns gemeldet.“
Ständige Bearbeitung
Wie lange die zusätzlich eingeleiteten Schritte dauern werden, ist laut Pressestelle der Justiz zurzeit noch unklar. Auf Nachfrage hin erklärt Henri Eippers, dass solche Anfragen generell in einem Rechtsstaat als Rechtsmittel erlaubt sind, aber mit sich bringen, dass die Prozeduren dadurch länger dauern können. Zu einer Verjährung der Geschehnisse dürfte es aber nicht kommen: Denn die – in dem Fall auf fünf Jahre – festgelegte Verjährungsfrist wird immer wieder unterbrochen, sobald an der Akte gearbeitet wird. Und das ist laut Staatsanwaltschaft ständig der Fall.
Was vor drei Jahren geschah
Am Abend des 24. November 2019 kam auf dem Weihnachtsmarkt auf dem „Knuedler“ ein zweijähriger Junge ums Leben, als er von einem massiven Teil einer Eisskulptur – eine etwa 2,5 Meter hohe Nachbildung einer Holzwand – getroffen wurde. Warum der 700 Kilogramm schwere Eisblock umfiel, ist bis heute nicht geklärt. Zusammen mit einem Schlitten aus Eis sollte dieser als Kulisse für Erinnerungsfotos dienen. Bei einer Pressekonferenz nach dem Unglück sprach Bürgermeisterin Lydie Polfer von einer „partizipativen Skulptur“, die ausdrücklich als Fotomotiv genutzt werden sollte und um die herum es deshalb auch keine Absperrungen gab.
Ob und wann es zu einem Prozess kommen wird, muss nach Abschluss der Ermittlungen die Ratskammer des Bezirksgerichts Luxemburg entscheiden. Diese legt fest, ob ein Fall vor Gericht kommt und unter welcher Form die Verhandlung durchgeführt wird. Anschließend haben die Parteien noch die Möglichkeit, gegen diese Entscheidung Berufung einzulegen. In dem Fall dürfte der Prozess noch länger auf sich warten lassen. Den Angehörigen des verstorbenen Jungen bleibt so lange nur eines übrig, wie Ragbet Hamza feststellt: „Abzuwarten. Aber das Warten ist nicht einfach.“
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