Fernsehen / Nach Transition zurück auf der Bühne: Luxemburger überzeugt zum zweiten Mal bei „The Voice of Germany“
Der Luxemburger George Philippart war am Sonntag bei „The Voice of Germany“ zu sehen. Mit seinem emotionalen Auftritt, seiner besonderen Stimme und seiner berührenden Geschichte schaffte er es, nicht nur die Coaches, sondern auch die Zuschauer zu beeindrucken.
Als am vergangenen Sonntagabend die Blind Auditions von „The Voice of Germany“ über den Bildschirm flackern, sitzt George Philippart mit seinen Eltern und seinen engsten Freunden zusammen. Zur Feier des Tages gibt es Raclette. George Philippart ist nervös – sehr sogar. Denn einer der Kandidaten, die gleich im Fernsehen zu sehen sein werden, ist er selbst.
Mit geschlossenen Augen und viel Gefühl singt der 30-Jährige „Si t’étais là“ von Louane. Bis zuletzt sieht es beim Auftritt des jungen Mannes aus Beles so aus, als ob sich keiner der Coaches für ihn umdreht. Laurent Boquet, der seinen besten Freund zum Auftritt begleitet hat, wird eingeblendet. Die Kamera zoomt auf seine Hände, die Daumen sind fest gedrückt. „Ich hatte mir schon eine Speech vorbereitet, um George zu trösten, falls er nicht weiterkommt“, erzählt Boquet am Montag im Gespräch dem Tageblatt.
Wunschcoaches
Die vorbereitete Rede bleibt ungenutzt. Mit Georges letztem gesungenen Ton drehen sich gleich drei Stühle um: Mark Forster, Nico Santos sowie Stefanie Kloß und Yvonne Catterfeld, die gemeinsam coachen. George Philippart ist die Erleichterung im Gesicht abzulesen. Sogar seine Wunschcoaches Stefanie und Yvonne haben sich für seine Stimme umgedreht.
Während George Philippart auf dem Fernsehbildschirm erleichtert ist, hält die Anspannung im Wohnzimmer an. „Das war so komisch. Wie in einer Parallelwelt“, erzählt er am Montag beim Spaziergang über den „Gaalgebierg“ – einem seiner liebsten Orte in Esch.
Im Fernsehen sagt Yvonne Catterfeld derweil: „Ich glaube, wir müssen mal umdenken. Ich bin der Meinung, wir haben gerade alle eine Frau gehört, oder?“ George Philippart weitet die Augen, als wolle er sagen: „Dein Ernst?“ Nachdem er sich vorgestellt hat, antwortet er darauf prompt: „Lustig, dass du es ansprichst, denn ich war schon mal hier, 2015. Und tatsächlich war ich da noch in einem Frauenkörper.“
Unter seinem früheren Namen, Sabrina Gérard, ist der heute 30-Jährige mit dem Opernstück „Flower Duet“ aufgetreten und konnte schon bei den damaligen Blind Auditions drei von vier Coaches mit seinem Talent überzeugen. Er wurde von Rea Garvey gecoacht und schaffte es bis in die Battles, wo Garvey sich für seine Gegnerin Sarah Trumpfheller entschied.
2020 ist Rea Garvey wieder in der Jury, dreht sich diesmal allerdings nicht für George Philippart um. „Rea war ein toller Coach und ein sehr sympathischer Mensch. Ich glaube, es ist gut, dass ich dieses Mal Erfahrungen mit anderen sammeln kann“, sagt Philippart, der sich am Ende für seine Wunschcoaches Stefanie und Yvonne entscheidet.
Andere Lebensqualität
Am Montag ist George Philippart erleichtert. Er hat bereits jede Menge positives Feedback erhalten. Besonders häufig sei bewundert worden, wie gefühlvoll sein Gesang war. „Ich glaube, ich habe auch noch nie zuvor mit so viel Emotion gesungen.“ Das habe er nur deshalb gekonnt, weil er all das Erlebte während seines Auftrittes Revue passieren ließ. „Ich habe jetzt eine ganz andere Lebensqualität und die präsentiert sich eben auch darin, wie ich mich zeige und singe“, sagt er.
Das positive Feedback – unter anderem auf den sozialen Medien – gilt neben seiner Stimme auch dem Mut, seine Geschichte zu erzählen. Dabei wollte George Philippart seine Transition eigentlich gar nicht thematisieren. „Ich will, dass mein Gesang im Vordergrund steht“, betont er. Trotzdem habe er sich dafür entschieden, öffentlich darüber zu sprechen, dass der Körper, in dem er geboren wurde, nicht der ist, der zu seinem Wesen passt.
Wenn ich Filme anschaue oder Bücher lese, habe ich mich schon immer mit den männlichen Charakteren identifiziertSänger
Denn George Philippart wusste bis vor gut zwei Jahren nicht, dass für ihn überhaupt die Möglichkeit besteht, ein Leben als Mann zu führen. Als Kind wird er zwar häufig für einen Jungen gehalten, macht sich allerdings keine großen Gedanken über sein Geschlecht. „Ich war einfach ein Kind“, sagt er. Als gleichaltrige Mädchen im Lyzeum anfangen, sich zu schminken und mit Jungs auszugehen, bemerkt Philippart immer mehr, dass etwas nicht stimmt. „Wenn ich Filme anschaue oder Bücher lese, habe ich mich schon immer mit den männlichen Charakteren identifiziert.“ Er habe immer Tarzan sein wollen – nie Jane. Als sich sein Körper in der Pubertät immer weiter vom Bild des Tarzan entfernt, wird seine Illusion zerstört. „Damit hat der Selbsthass angefangen. Ich wusste, dass etwas nicht stimmt, aber ich konnte es nicht benennen. Das hat es noch schlimmer gemacht.“ Sein Leben ist von da an von Depressionen und Magersucht geprägt.
Als ein Arzt in seiner Gegenwart zum ersten Mal von Transidentität spricht, weiß George Philippart nur wenig damit anzufangen. „Ich habe das dann gegoogelt und konnte mich sofort mit dem identifizieren, was ich im Internet gelesen habe“, sagt er. Die Gewissheit, nicht alleine dazustehen, und die Tatsache, eine Erklärung für seine Gefühle zu haben, seien unglaublich wertvoll gewesen.
Das sei einer der Gründe, weshalb er sich am Ende dazu entschied, seine Geschichte öffentlich zu machen. Weil George Philippart damals froh gewesen wäre, durch Zufall von irgendjemandem zu hören, der in dieser Situation ist. Dann hätte es vermutlich schon früher Klick gemacht, glaubt er. „Vielleicht kann ich für jemand anderen genau dieser Moment sein, den er braucht.“
Glück oder Stimme
Vor zwei Jahren bekommt George Philippart seine erste Testosteronspritze. Eine der ersten Dinge, die sich verändern, ist seine Stimme. „Das Einzige, was ich in dem Moment an mir mochte und zu schätzen wusste“, sagt Philippart. Gesang war in den schweren Zeiten seines Lebens sein ständiger Begleiter. Aus Angst, das Einzige zu verlieren, woran er wirklich hängt, hadert er mit der Entscheidung, seinen Körper zu verändern. „Ich wusste, wenn ich so weiterlebe, würde ich irgendwann an meinen Depressionen sterben.“ Und für ihn stand fest, dass er nicht in einem Frauenkörper sterben will. „Ich will glücklich werden und muss dafür etwas opfern“, dachte er sich damals. Dass er den Gesang nicht aufgeben musste, stimmt ihn heute umso dankbarer. „An sich habe ich immer noch die gleiche Stimme, nur modifiziert.“
Die Songauswahl für seinen Auftritt bei „The Voice“ ist in gewisser Weise auch eine Hommage an seine frühere Stimme. „Es geht darin um Sehnsucht, um Dinge, die gehen. Wie bei mir meine Stimme. Oder die Sehnsucht, die ich mein Leben lang gespürt habe, in einem passenden Körper zu leben“, sagt er. „,Si t’étais là‘ spiegelt genau das wider, was ich fühle und bin.“
Fortschrittliches Luxemburg
Das erste Jahr, in dem sein Körper sich verändert, empfindet George Philippart als anstrengend und kompliziert, gleichzeitig aber auch als spannend und schön. Inzwischen fühlt er sich nicht mehr als „Trans“. „Meine Transition ist vorbei, ich bin jetzt ein Mann“, sagt er. Vom Staat wurden ihm bei dieser Transition kaum Steine in den Weg gelegt. Wer sein Geschlecht oder seinen Namen ändern will, muss seit 2018 in Luxemburg nämlich kaum noch Hürden überwinden. Diesbezüglich hat Luxemburg eines der fortschrittlichsten Gesetze weltweit. Es bedarf weder eines ärztlichen Attestes noch eines medizinischen Eingriffs oder einer Hormonbehandlung, um seinen Namen offiziell zu ändern. Es reicht, einen Antrag beim Justizministerium einzureichen, womit Transidentität hierzulande nicht mehr als Teil eines medizinischen Problems interpretiert wird.
Meine Transition ist vorbei, ich bin jetzt ein MannSänger
„Meinen Namen zu ändern ging relativ fix, weil ich unter dieses neue Gesetz gefallen bin“, sagt George Philippart sichtlich erfreut über die Fortschrittlichkeit des Großherzogtums. Freunde und Familie reagieren offen auf sein Outing, für die meisten von ihnen ist es keine große Überraschung. Während er Hormone nimmt und seinen Namen ändert, bleibt sein Äußerliches zunächst noch weiblich. „In der Transitionsphase fand ich es noch unerträglicher, wenn jemand mich mit ,Madame‘ ansprach. Beim Bäcker oder so.“
Wegbegleiter
Schon damals ist Laurent Boquet für ihn da. Kennengelernt haben sich die beiden beim Spaziergang mit dem Hund auf dem „Gaalgebierg“. „Damals war George noch ganz am Anfang seiner Transition“, sagt Boquet. Er habe zwar schon als Mann gelebt, das Äußere hätte jedoch noch nicht gepasst. „Ich habe ihn immer getröstet und versucht abzulenken, wenn jemand ihn mit ,Madame‘ angesprochen hat.“ Laurent Boquet reist mit seinem besten Freund bei anstehenden Operationen ins Ausland und wird zu seinem Wegbegleiter.
Wenn George Philippart neue Lieder einstudiert, bekommen Laurent Boquet und Cindy Meckel, Philipparts beste Freundin, die ihn 2015 zu „The Voice“ begleitet hat, immer die erste Aufnahme. „Wenn George etwas zum ersten Mal singt, findet er es am Anfang immer schrecklich“, sagt Boquet. Songvorschläge nehme er allgemein nur sehr selten an. „George singt nur ein Lied, wenn er sich damit verbunden fühlt.“ Umso spannender, welchen Song er bei den Battles singen wird – und mit wem.
Info
Wann George Philippart zum nächsten Mal im Fernsehen zu sehen ist, steht noch nicht fest. Wer seinen nächsten Auftritt bei „The Voice“ nicht verpassen will, folgt dem jungen Sänger auf Facebook oder Instagram unter seinem Namen „George Philippart“.
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