Editorial / Nähe zu Rechtspopulisten: Ursula von der Leyens rote Linien taugen nichts
Mit den Europawahlen am Sonntag endet auch der Wahlkampf, sofern ein solcher stattgefunden hat. In den Mitgliedstaaten wurde wohl über das eine oder andere Thema – Migration, Krieg in der Ukraine, Klimawandel – debattiert. Eine europaweite Debatte über die Zukunft und die Herausforderungen der EU etwa kam nicht zustande, obwohl dies bitter nötig wäre. Immerhin aber bewegt ein Thema die Gemüter in wohl nicht wenigen EU-Staaten: das prognostizierte Erstarken der Rechtspopulisten und Rechtsextremen bei den Wahlen und der mögliche Umgang der amtierenden und vermutlich auch künftigen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit diesen. Vor allem aber ihre Nähe zur italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni, die mittlerweile die Partei der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) anführt. Die Kommissionschefin schließt eine Zusammenarbeit mit der Vorsitzenden der postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ nicht aus und es wird darüber spekuliert, ob von der Leyen sogar die Unterstützung der EKR-Fraktion für ihre neuerliche Kür zur Kommissionspräsidentin im EU-Parlament akzeptieren würde. Ihr Argument: Meloni würde ihre drei Bedingungen erfüllen. Die Italienerin sei für Europa, für die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit und für eine Unterstützung der Ukraine. Zwar gibt sich Meloni in Brüssel wider Erwarten handzahm, doch zu Hause und unter „ihresgleichen“ schlägt sie zuweilen andere Töne an.
Bei allen Beschwichtigungsversuchen in Bezug auf Meloni, deren Partei agiert doch nicht allein in der EKR. Viel bedeutender in der Fraktion ist nach wie vor die polnische Delegation der PiS. Doch was die PiS-Regierung während Jahren nicht nur mit der Rechtsstaatlichkeit, sondern auch der Medienfreiheit und anderen Grundrechten in Polen angerichtet hat, damit hat von der Leyens Parteifreund Donald Tusk noch Monate, nachdem er die Regierungsgeschäfte in Warschau übernommen hat, zu tun. Und ein Ende seiner Probleme mit den PiS-Altlasten ist nicht in Sicht. Zudem will Giorgia Meloni nach den Wahlen offenbar der ungarischen Regierungspartei Fidesz von Viktor Orban in der EKR-Fraktion eine neue politische Heimat im EP anbieten. Während die polnischen Rechtsnationalisten noch wenigstens unverbrüchlich zur Ukraine stehen, hat Orban als Putins bester Freund in der EU gleich alle roten Linien der Kommissionschefin längst und mit voller Überzeugung überschritten. Warum Ursula von der Leyen angesichts dessen nicht ihre Distanzen zur EKR wahrt, ist ein Rätsel. Zumal nun auch die einstige Chefin der französischen Rechtsextremen, Marine Le Pen, mit Meloni anbandeln will, um sich wenige Jahre vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich ein gemäßigteres Profil zu verleihen und ihre Salonfähigkeit unter Beweis zu stellen. Doch wehe, wenn die Wirkung all der Kreide verpufft, die die Melonis und Le Pens gefressen haben …
Das sollten auch all jene bedenken, die meinen, die hiesige ADR, die der EKR angehört, könnte tatsächlich eine Alternative sein. Ist sie aber nicht. Anstatt Wahlslogans mit der Forderung nach Meinungsfreiheit in Luxemburg zu plakatieren, die hierzulande in keiner Weise gefährdet ist, hätte die ADR vor Jahren ihre polnischen PiS-Freunde vom Abbau der Medienfreiheit abhalten sollen. Auch die hiesige „Reformpartei“ versucht sich im Kreidefressen, doch ein Blick auf Accounts mancher ADRler in sozialen Medien hat nicht nur in der Vergangenheit Bedenkliches offengelegt. Wir wiederholen uns zwar, doch: Noch gibt es formal sieben EU-Staaten, aus denen keine Partei die Reihen der Rechtspopulisten und Rechtsextremen im EU-Parlament stärkt. Nach den Wahlen werden es weniger sein. Luxemburg muss dann zu diesen wenigen Staaten zählen.
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