Gemeindeporträt / Nähe zur Hauptstadt und der „Hetto-Gaasch-Effekt“: Junglinster im Aufschwung
Junglinster hat eine enorme Entwicklung hinter sich. Das frühere Bauerndorf hat sich zwischen dem touristisch bekannten Echternach und den Moselanrainern zu einem modernen Mittelzentrum entwickelt. Mittlerweile wohnen 8.460 Menschen dort. Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht.
2023 könnte die Gemeinde die Marke von 9.000 Einwohnern knacken und 2028 sogar auf 10.000 anwachsen. Das ist eine Schätzung von CSV-Bürgermeister Romain Reitz (65), der diese Entwicklung schon länger verfolgt. Seit 2003 ist er in der Lokalpolitik aktiv: erst als Gemeinderat, dann als Schöffe, schließlich als Bürgermeister.
Seit 2017 regiert er in einer Koalition mit der DP. Geschäfte, Ärzte, Musikschule, Lyzeum und ein komplett neues Stadtviertel sind die Aushängeschilder der Gemeinde, deren Vorteil die geografische Nähe zur Hauptstadt ist. Die verkehrstechnische Anbindung dorthin ist gut und die Einwohner Junglinsters, die dort arbeiten, profitieren davon.
Gleichzeitig verströmt Junglinster mit der unberührt wirkenden Natur rundherum ländlichen Charme. Das sind aber nicht die einzigen Vorteile. Jahrelang kann die Gemeinde auch auf politische Nähe zu Regierung und Chamber in der Hauptstadt zurückgreifen. Der „Hetto-Gaasch-Effekt“ hat viele Projekte wohlwollend gefördert. 2013 kommt das Lyzeum für die Gemeinde, 2016 die Umgehungsstraße und seit 2007 entsteht das neue Zentrum „Jong Mëtt“.
Barrierefrei hoch im Kurs
115 Wohneinheiten in Gemeinde – unter staatlicher Regie – sind fertiggestellt und bewohnt. Noch einmal 17 Wohneinheiten entstehen seit Januar und sollen 2024 fertig sein. Mit Bürgermeister Reitz begleitet das im Rathaus jemand, der Erfahrung damit hat. Als Ingenieur für die „Banque internationale à Luxembourg“ (BIL) betreut er sein ganzes Berufsleben lang die Planung neuer Gebäude.
Das 2006 eingeweihte „Wahrzeichen von Belval“, das rote Gebäude der damaligen Dexia, entsteht unter seiner tatkräftigen Mitarbeit. „Ich habe immer nur Geld ausgegeben“, scherzt er. Die „JongMëtt“ wächst und soll bald fertiggestellt sein. Im Rathaus laufen Gedankenspiele über das finale Aussehen. „Das neue Zentrum von Junglinster braucht einen großen Platz“, ist die Meinung von Reitz.
Die Gemeinde steht außerdem in dem Ruf, besonders stark auf Barrierefreiheit zu setzen. Der Rathauschef bestätigt das. „Die Apartments, die wir als Gemeinde in der ,JongMëtt‘ gebaut haben, sind allesamt barrierefrei“, sagt er. An Plätzen und Straßenübergängen wird permanent daran gearbeitet, den öffentlichen Raum für alle zugänglich zu machen.
Polemik um Stolpersteine
Zwei der 13 Gemeinderatsmitglieder sitzen im Rollstuhl. Das verändert den Blick und trägt die Problematik in den politischen Alltag. Dort gibt es einiges zu tun. Bei einem Wachstum um 500 Einwohner jährlich, das geht seit 2016 so, müssen auch die schulischen Einrichtungen mithalten. Eine neue Musikschule und eine neue „Natur-Crèche“ sind in Planung, die „Maison-relais“ soll vergrößert werden.
Die Aufnahmekapazitäten sind zukunftsorientiert. „Wir haben überall eine Reserve eingebaut“, sagt Reitz. Das muss finanziert werden. Von „reich“ will der Bürgermeister nichts wissen, aber Junglinster steht finanziell nicht schlecht da. Angesichts der enormen Investitionen sind im außerordentlichen Haushalt Ausgaben von 45 Millionen Euro bei Einnahmen von 20 Millionen Euro eingeplant.
Im ordentlichen Haushalt stehen 34,3 Millionen Euro auf der Einnahmenseite Ausgaben von 29,3 Millionen Euro gegenüber. Damit lässt sich in die Zukunft planen. Mit der Art, an die Vergangenheit zu erinnern, ist die Gemeinde zuletzt in die Kritik geraten. 15 Stolpersteine erinnern seit 2021 an Zwangsrekrutierte und deportierte Juden zugleich. Obwohl sie an allen Planungen beteiligt waren, missfiel das schlussendlich einzelnen Interessensvertretern.
Bürgermeister Reitz sieht das gelassen. „Differenzen wie diese werden ewig bestehen bleiben“, sagt er. „Wir als Gemeinderat sind der Meinung, wir haben das richtig entschieden.“ Die Stolpersteine sind eine Erinnerung, die angesichts der Tatsache, dass es immer weniger Zeitzeugen gibt, wichtig ist. Außerdem haben sich Lyzeumsschüler in dem Projekt engagiert, was bemerkenswert ist. Für diese Generation sind die Erinnerungsstücke gedacht. Präventiv.
Françoise Hetto-Gaasch
Die 61-jährige CSV-Politikerin saß von 1999 bis 2007 im Gemeinderat von Junglinster. 2007 wurde sie Bürgermeisterin der Gemeinde bis 2009. Bereits seit 2004 saß sie in der Chamber und gab 2009 ihr Amt als Bürgermeisterin auf, weil sie in der Regierung Juncker-Asselborn Ministerin für Mittelstand und Tourismus sowie Ministerin für Chancengleichheit wurde. Ab 2013 nahm sie ihren Sitz in der Chamber wieder wahr, zog sich aber 2021 nach mehr als 20 Jahren in der Politik komplett zurück.
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