Corona-Cluster / „Navigation auf Sicht“ – Verantwortliche aus der Pflegebranche reagieren auf den Waringo-Bericht
Jeannot Waringo macht in seinem Bericht zu den Corona-Clustern auf mehrere Dinge aufmerksam: die oft vage Formulierung der Empfehlungen des Familienministeriums, die späte Einführung der Testpflicht und auch das Fehlen eines Krisenplans für den Herbst 2020. Eine „Navigation auf Sicht“ habe aufgrund nicht vorhandener Pandemieerfahrung auf der Tagesordnung gestanden, sagt der Copas-Vorsitzende Marc Fischbach. Auch andere Verantwortliche aus der Pflegebranche äußern sich im Gespräch mit dem Tageblatt zu den Kritikpunkten des Waringo-Berichts.
Der aktuelle Bericht zu den Infektionsclustern in Luxemburger Altenheimen wirbelt viel Staub auf. Der „Rapport“ entstand unter der Leitung von Jeannot Waringo – dem Mann, der am Montag auch das Ergebnis seiner Recherche in der Abgeordnetenkammer vorstellte. In den inner- und außerparlamentarischen Diskussionen, die jetzt im Zuge der Veröffentlichung des neuen Waringo-Berichts stattfinden, spielt besonders die Frage nach möglichen Verantwortlichkeiten eine Rolle; von Interesse ist dabei auch die Sichtweise und das persönliche Erleben der einzelnen Akteure. Verantwortliche aus der Pflegebranche äußern sich gegenüber dem Tageblatt zu der Perspektive der Betreuungseinrichtungen und nehmen Stellung zu einzelnen Punkten, die im Bericht aufgeworfen werden.
„Wir hatten die ganze Zeit Kontakt mit allen Strukturen“, sagt Marc Fischbach, Präsident des Luxemburger Dachverbands der Pflegedienstleister, Copas. Er erklärt, dass die Copas eine Koordinationsrolle gespielt habe in dem Sinne, dass alle Anfragen an sie gerichtet worden seien. Die Organisation habe dann die Mitglieder über die Informationen, die sie bekommen habe, in Kenntnis gesetzt. Auch habe sie am Anfang der Pandemie jeden Tag einen Newsletter an die Häuser gesendet, ab Mitte April seien dann pro Woche ein oder zwei Newsletter verschickt worden – ein Punkt, den auch Patricia Helbach, Direktorin der „Hospices civils de la Ville de Luxembourg“, positiv hervorhebt. „Wir haben uns da ganz gut aufgehoben gefühlt“, sagt Helbach. Die Pflegedienstbetreiber hätten volle Unterstützung des Dachverbands, der als Scharnier zwischen Ministerium und Heime agierte, erhalten. „Wir haben nichts Negatives über die Arbeit der Copas zu sagen“, unterstreicht auch Vincent Ruck, Pressesprecher der „Croix-Rouge“. Weiter wollte er sich aber nicht zu dem Waringo-Bericht äußern, da das der Neutralität der Hilfsorganisation zuwiderlaufe.
Was die vom Ministerium herausgegebenen Empfehlungen an die Alten- und Pflegeheime angehe, habe es bei verschiedenen Einrichtungen „Verwirrung“ gegeben, erzählt Fischbach. Damit bestätigt er, was schon im Bericht festgehalten wurde: So seien neben formalen Fehlern beim Aufsetzen der Briefe auch die Formulierungen zum Teil unklar oder vage gewesen. Dennoch hat es den Weisungen des Ministeriums laut Fischbach nicht an Vollständigkeit gemangelt. „Sie waren nicht immer so formuliert, wie man sich das hätte wünschen können, aber man hat alles Wichtige in ihnen wiedergefunden.“
Nicht alles richtig gelaufen
Empfehlungen seien aber eben nur Empfehlungen, sagt Fischbach. Mit ihnen mache jeder Betreiber das, was er für sein Haus verantworten könne. Laut Fischbach habe der Waringo-Bericht jedoch letztlich festgestellt, dass den Pflegedienstleistern keine größeren Fehler unterlaufen seien. „Ich sage Ihnen, dass sicher nicht alles richtig gelaufen ist – aber wenn Fehler passiert sind, dann sind diese zum Zeitpunkt, in dem sie gemacht wurden, nicht als solche erkannt worden, sonst wären sie nicht gemacht worden“, sagt der Präsident des Dachverbands der Pflegedienstleister. Die einzige Wahrheit, die er für sich beanspruchen könne, sei die, dass sich der Kenntnisstand, was das Virus anrichten und wie man dagegen vorgehen könne, konstant verändert habe.
„Das, was an einem Tag nicht gut gelaufen ist, wurde am Tag darauf umgesetzt, um die Situation zu verbessern“, versichert der Copas-Vorsitzende. Es sei richtig, dass manchmal eine „Navigation auf Sicht“ stattgefunden habe, weil eben nicht alles bekannt gewesen sei. Die Infektionscluster hätten viele Ursachen gehabt, sagt Patricia Helbach. Verantwortlich für sie sei nicht die Leitung der Häuser. „Wenn es einen Corona-Fall auf der Demenzstation gibt, ist es quasi unmöglich, die Ausbreitung des Virus aufzuhalten“, erzählt die Hospice-Direktorin. Sie begrüßt die im Mai eingeführte Testpflicht, auch wenn sie sich gewünscht hätte, dass diese verbindliche Regelung früher eingetreten wäre. „Aber es ist auch eine politische Entscheidung, ob man Menschen zu etwas motivieren möchte oder ihnen Sachen aufzwingt.“
Letztlich habe es auch dem Wunsch der überwältigenden Mehrheit der Copas-Mitglieder entsprochen, die Empfehlungen offen zu gestalten, sagt Helbach. Denn ihre Umsetzung sei sowohl abhängig vom Profil der jeweiligen Bewohnerschaft als auch von den architektonischen Gegebenheiten der Einrichtung. Was Letzteres angeht, sieht Fischbach indes Bedarf zur Veränderung. So gebe es eine Handvoll Häuser, die über eine überholte Infrastruktur verfügten. Bei einigen gebe es sogar keine Einzeltoiletten, die zu den Zimmern gehörten. Das sei zum Beispiel in Niederkorn oder Rümelingen der Fall. „Das sind die ganz alten Häuser“, sagt Fischbach. Es würde jetzt neu gebaut werden, jedoch seien sie bisher nur langsam vorangekommen.
Frage nach dem Krisenplan
„Eine schwierige Frage“ nennt Copas-Präsident Marc Fischbach indes die Nachfrage, ob die Zusammenarbeit zwischen der Copas und dem Familienministerium immer gut gelaufen sei. Immerhin habe die Organisation eigentlich immer mit zwei Ministerien zu tun gehabt. Denn auch wenn das Familienministerium das „ministère à tutelle“ gewesen sei, habe die „Santé“ am Anfang der Pandemie die Leitung des Krisenstabs, in den auch die Copas eingebunden gewesen sei, übernommen. Im Zuge der zweiten Lockerungswelle im Sommer sei dann das Familienministerium in den Vordergrund getreten.
„Es ist klar, dass das Familienministerium von seinem Personalbestand sicher nicht so aufgestellt ist wie das Gesundheitsministerium, um in Pandemiezeiten direkt reagieren und Initiativen nehmen zu können“, sagt Fischbach. Die Copas und das Ministerium seien aber immer im Gespräch gewesen, das sei nicht das Problem. „Herr Waringo sagt in seinem Bericht, dass im Sommer ein Krisenplan hätte aufgestellt werden müssen – das kann ich verstehen, aber im Namen der Copas möchte ich nichts dazu sagen“, meint Fischbach. Auf diesen Punkt könne das Familienministerium am besten selbst eine Antwort geben.
Nathalie Hanck, Leiterin des Kundendienstes und Pressesprecherin von Servior, möchte allgemein nicht genauer auf die Ergebnisse des Waringo-Berichts eingehen. Zur Erinnerung: Servior ist der Betreiber des Niederkorner Seniorenheims „Um Lauterbann“, in dem 19 Menschen im Zeitraum, als das Coronavirus dort grassierte, ums Leben kamen. „Wir begrüßen den Bericht“, sagt Hanck. Mehr wolle man zu diesem Zeitpunkt aber nicht dazu sagen. Ähnlich verhalten reagiert auch Vitor da Costa, Verwaltungsleiter der „Fondation Félix Chomé“. „Wir gehen nicht auf solche Nachforschungen ein“, sagt da Costa. Er habe erst im März dieses Jahres seinen Posten angenommen und deswegen nicht den nötigen Abstand, um sich dazu äußern zu können.
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