Merde alors! / Neue Biografie über Jean Asselborn: „Es sich selbst beweisen – und den anderen erst recht“

Raus aus dem Schatten: Jean Asselborn „verhilft dem Land zu einer Bedeutung, die in keinem Verhältnis zu seiner Größe steht“, schreibt die Journalistin Margaretha Kopeinig in ihrer politischen Biografie über Jean Asselborn
Jean Asselborn redet gerne und viel und lang, so ist der Mann – und schließlich gehört das auch zu seinem Beruf als Außenminister, der ihm längst zur Berufung geworden ist. Aber Luxemburgs Außenminister redet nicht über alles gleich viel und gerne und lange. Auch davon weiß Margaretha Kopeinig zu erzählen in ihrer Biografie über den dienstältesten Chefdiplomaten der Europäischen Union, die das Beiwort „politisch“ schmückt, das Persönliche aber nicht auslässt. Und auf diese Weise auch auf den Jang im Jean blickt. Manchmal vielleicht mehr, als dem Protagonisten lieb ist.
Die Österreicherin Margaretha Kopeinig war lange Jahre Journalistin beim Kurier und schrieb für Österreichs große konservative Tageszeitung auch als Brüssel-Korrespondentin über Europa. Kopeinig beschäftigt sich seit 2004 mit Asselborn, führte in den ganzen Jahren zahlreiche Interviews und noch mehr Gespräche mit Luxemburgs Außen- und Immigrationsminister. Mit ihrem Interesse am Politiker Asselborn stand Kopeinig nicht alleine da. Spätestens ab Sommer 2015 und der Migrationskrise „sind alle Journalisten an seinen Lippen gehangen“, sagt die Autorin. Weil er immer offen gesprochen habe. Kopeinigs Interesse reichte ab da weiter. Wer ist diese Person? Wie kam der Mann in die Politik und was hat er davor gemacht? Die Journalistin machte sich auf die Suche nach Antworten.

Fünf Jahre später steht „Merde alors! Jean Asselborn – eine politische Biografie“ an diesem Wochenende nun in den Buchläden, kommende Woche wird es in Wien offiziell vorgestellt. Erschienen im Czernin Verlag, beschreibt Kopeinig auf 224 Seiten den Werdegang Jean Asselborns. Das Vorwort stammt vom ehemaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, das Ende runden zwei Interviews ab, die Kopeinig mit Heinz Fischer und Frank-Walter Steinmeier führte. Sowohl der ehemalige Bundespräsident Österreichs wie der aktuelle Bundespräsident Deutschlands sind enge persönliche Freunde Asselborns; und vor allem das Gespräch mit Steinmeier liest sich wie eine „politische Liebeserklärung“ an den Sozialdemokraten Asselborn.
Kern des Buches bleiben Kopeinigs Aufzeichnungen, die den weiten Bogen spannen von Asselborns Jugend in Steinfort, seinem Aufwachsen in einem Haushalt, in dem jeden Morgen das Tageblatt auf dem Tisch liegt, seinem an Hindernissen reichen schulischen und später studentischen Alltag und seinen parallel verlaufenden ersten Gehversuchen in Beruf und Politik über seine Wahl zum Bürgermeister in Steinfort, die Kopeinig als Schlüsselmoment beschreibt, sein Vorankommen in der LSAP bis zu den mittlerweile mehr als 15 Jahren als Außenminister mit tausenden Treffen und Millionen zurückgelegter Kilometer.
Aus Steinfort in die Weltpolitik
Kopeinig zählt nicht nur auf, reiht nicht bloß aneinander, sondern setzt die verschiedenen Stationen stets in Relation mit Asselborns Wesen und seiner politischen Verankerung in der europäischen Sozialdemokratie, welcher der Luxemburger mittlerweile als internationales Aushängeschild dient. Asselborn, schreibt Kopeinig aber, „ist nicht der klassische Typ eines Außenministers, der gerne repräsentiert und punktgenau das Protokoll verfolgt, er ist schon eher persönlicher Botschafter und Menschen-Versteher“. Luxemburgs Außenminister sei einer, „dem alles nahegeht“. Einer, der „in seiner Klasse als Außenminister gleichzeitig auch ein politischer Aktivist und Humanist ist“. Einer, der sich „seit jeher für jene Gruppen, die keine Lobby haben“ engagiert, „Flüchtlinge, Arme, sozial Schwache und Benachteiligte sowie Opfer autoritärer Regime“.
Rund 140 Seiten aus Kopeinigs Biografie widmen sich den Jahren ab 2004, als Asselborn, der Lokalpolitiker aus Steinfort, zu Luxemburgs Chefdiplomat aufstieg. Diese Seiten sind es, die das Buch auch über die Person Asselborn hinaus interessant machen. Luxemburgs Außenpolitik hat in den Jahren unter Asselborn wie kaum jemals zuvor das Bild des Landes im Ausland geprägt.
Und es waren keine Jahre zum Entspannen: Der Sitz im UN-Sicherheitsrat, die Migrationskrise, Syrien, Libyen, die Irak-Konferenz mit der damaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice, die engen Beziehungen zu den Schwergewichten der europäischen Sozialdemokratie, der neue EU-Vertrag von Lissabon, der Brexit, der Ukraine-Konflikt und jener zwischen Israel und Palästina. Dazu das ebenso beständige wie hartnäckige Eintreten gegen Rassismus und Nationalismus, die Auseinandersetzungen mit radikal rechten Politikern Europas. Kopeinig lässt das alles Revue passieren, samt eigenem Kapitel zum Titel gebenden Streit mit Italiens ehemaligem rechten Innenminister Matteo Salvini, „Merde alors!“ eben.
Nation Branding nach Jang-Art
Kopeinig schreibt: „Asselborn nützt diese Geschichte und die Stellung Luxemburgs geschickt auf der europäischen und internationalen Bühne und verhilft so dem Land zu einer Bedeutung, die in keinem Verhältnis zu seiner Größe steht.“ Ein Nation Branding mittels Diplomatie nach Jang-Art, wo verbale Provokationen sich mit Kompromissfähigkeit ebenso verbinden wie persönlicher Ehrgeiz mit der Unabdingbarkeit einer humanistischen, auf dem Multilateralismus gründenden Politik. Doch zum Erfolg braucht es Verbündete. „Ein internationales Netzwerk von Freunden ist sein Kapital“, schreibt Kopeinig.
Ein solch mehrjähriger Parforceritt durch die Weltgeschichte lässt sich nicht alleine bewältigen, und so gibt das Buch auch einen Blick frei auf die meist hinter verschlossenen Türen ablaufende Arbeit des Außenministeriums, der Luxemburger Diplomatie rund um den Globus. Wie Luxemburgs Diplomaten weltweit und im Großherzogtum selber die Maschinerie hinter ihrem und für ihren Minister am Drehen halten – alles das, obwohl Asselborn nicht als besonders bequemer Chef bekannt ist. Kopeinig umschreibt den 71-Jährigen als „ungeduldig und leidenschaftlich, als ergebnis- und zielorientiert“. Und als einen, der „nicht um den heißen Brei herumredet“.
Kopeinigs Asselborn-Biografie liest sich in ihrer einfachen und klaren Sprache äußerst lebendig. Ihre Sympathie für Luxemburgs Außenminister versteckt die entschiedene Proeuropäerin Kopeinig nicht. Das Buch wird trotzdem nicht zur Lobhudelei. Das Detailwissen Kopeinigs, die neben anderen Büchern bereits eine Biografie über Jean-Claude Juncker verfasst hat, und ihr journalistisches Können lassen auch die Eigenheiten Jean Asselborns zutage treten, ohne die sein Werdegang als Politiker nur halb zu verstehen ist, zeigen, dass auch ein „Political Animal“ wie Asselborn nicht frei von Selbstzweifel ist. Oder wie Kopeinig die Antriebskraft hinter Asselborns Tun und Wirken beschreibt: „Mit äußerster Disziplin weiterzukommen, es sich selbst zu beweisen und den anderen erst recht.“

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„ Oft beweisen diese Herren durch ihre Beweise nichts, als dass sie das Beweisen hätten bleiben lassen.“ ( Lessing)
Wer etwas leisten will, um den andern zu beweisen wozu er fähig ist, hat ein Problem .