Österreich / Neue Sicherheitsdoktrin trägt Putin-Verbrechen spät Rechnung
Reichlich spät passt Österreich seine „Nationale Sicherheitsstrategie“ der seit Russlands Überfall auf die Ukraine vor zweieinhalb Jahren völlig neuen Bedrohungslage an. Nur die Neutralität steht nicht zur Debatte.
Manche haben es noch immer nicht begriffen. Karin Kneissl warnte kürzlich in einer Videoschalte im UNO-Sicherheitsrat vor westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine. Schon vor sechs Jahren hatte die Diplomatin der Welt ihr besonderes Näheverhältnis zu Wladimir Putin demonstriert, als der Kreml-Chef extra zur Hochzeit der damaligen österreichischen Außenministerin in die Südsteiermark eingeflogen war. Nach einem Tänzchen bedankte sich die von der FPÖ in die Regierung geholte Braut bei Putin mit einem artigen Knicks, der zum Sinnbild für Österreichs russophile Politik wurde. Kneissls Kniefall hat Putin gefallen. Er holte die Ex-Ministerin nach Russland, ließ extra für sie an der Universität St. Petersburg das von ihr geleitete Gorki-Zentrum einrichten und bekommt als Gegenleistung im russischen Staatsfernsehen eine willfährige Kommentierung seiner Verbrechen durch eine Ex-Politikerin aus der EU.
Voll auf Putin gesetzt
Vielen, die im August 2018 den Tanz mit Putin als Beweis für Österreichs weltpolitische Bedeutung beklatscht hatten, ist ihr Beifall heute peinlich. Damals, vier Jahre nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, hatten alpenrepublikanische Politiker noch kollektiv den Kopf im Sand stecken. Nicht nur die FPÖ fühlte sich dem russischen Autokraten verbunden, auch ÖVP und SPÖ wollten die spätestens seit 2014 unübersehbare Realität nicht wahrhaben.
Zwei Monate vor der Kneissl-Hochzeit hatte sich Österreich der Gazprom an den Hals geworfen, genau genommen: ausgeliefert. Im Beisein von Putin und dem damaligen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unterzeichneten die Chefs von Gazprom und OMV die Verlängerung eines Gasliefervertrages bis zum Jahr 2040. „Man soll nur auf einer Hochzeit tanzen“, begründete der damalige OMV-Chef Rainer Seele die Fixierung auf Russland und den Verzicht auf jegliche Lieferanten-Diversifizierung.
Wohin das führte, kommentierte der aktuelle Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) so: „Es ist widerlich, dass wir vom russischen Gas abhängig sind.“ Noch immer zahlt Österreich Milliarden in Putins Kriegskasse, weil gut 90 Prozent der Gasimporte von Gazprom kommen. Ob und wie man aus dem Vertrag herauskommen könnte, prüft erst jetzt eine vom Umweltministerium eingesetzte Kommission, die das bislang nicht einmal der Regierung im Detail bekannte Abkommen im Juli erstmals unter strengster Verschwiegenheitspflicht einsehen durfte. Bekannt ist nur das „Take-or-pay“-Prinzip: Österreich muss die vereinbarte Gasmenge bezahlen, auch wenn es null Kubikmeter abnimmt.
Außenpolitische Zäsur
Nichtsdestotrotz will Österreich bis 2027 kein Gas aus dem Putin-Reich mehr importieren. Die Einigung darauf ist Teil des Energiekapitels der neuen „Nationalen Sicherheitsstrategie“, auf die sich ÖVP und Grüne nach langem Tauziehen geeinigt haben. Sie soll noch vor der Parlamentswahl Ende September veröffentlicht werden. Bereits unter Journalisten kursierende Auszüge dokumentieren eine außenpolitische Zäsur. In der 2013 formulierten Sicherheitsdoktrin wird Russland neben den USA noch als „strategischer“ und „wesentlicher Partner“ Österreichs bezeichnet. In der Neufassung wird nun der „russische Angriffskrieg gegen die Ukraine“ ganz offen angesprochen. Russland wird als Bedrohung dargestellt – sowohl im Hinblick auf dessen Atomwaffen, aber auch im konventionell-militärischen Bereich. Verwiesen wird darauf, dass Moskau „Energie- und Lebensmittelexporte als Waffe einsetzt“.
Die Konsequenzen: Eine wieder stärkere Betonung und bessere Finanzierung der militärischen Landesverteidigung inklusive Beteiligung am europäischen Luftabwehrsystem „Sky Shield“.
Trotz dieses späten Rendezvous mit der Realität der Zeitenwende will Österreich der Neutralität nicht untreu werden. Keine Partei wagt es, am Status der verfassungsmäßig festgeschriebenen „immerwährenden Neutralität“ zu rütteln, was nicht überrascht angesichts der in vielen Umfragen belegten Vier-Fünftel-Zustimmung der Österreicher zum Status quo. Nur vereinzelt denken Sicherheitsexperten laut darüber nach, ob es nicht doch eine Erwägung wert wäre, den einst ebenfalls neutralen, nach dem Ukraine-Schock der NATO beigetretenen Schweden und Finnen zu folgen. Eine ernsthafte sicherheitspolitische Debatte findet nicht statt, weil damit nichts zu gewinnen ist. Die FPÖ trommelt ohnehin im Wahlkampf, die türkis-grüne Bundesregierung verletze mit ihrem Pro-Ukraine-Kurs und „Sky-Shield“ die Neutralität. Damit entsprechen die Rechtspopulisten einer Sehnsucht vieler Österreicher nach Abschottung gegen alle Wirren dieser Welt. Für heimelige Wärme im alpenrepublikanischen Insel-der-Seligen-Idyll würde nach den Vorstellungen der FPÖ weiter Putins Billiggas sorgen. Ein „Volkskanzler“ Herbert Kickl, wie sich der in Umfragen führende FPÖ-Chef schon titulieren lässt, würde die neue Sicherheitsdoktrin wohl schnell wieder umschreiben. Und wie weiland Karin Kneissl vor Putin in die Knie gehen.
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