Interview / Neuer Umweltminister Serge Wilmes will mehr Pragmatismus
Mit der Klima- und Umweltpolitik der Vorgängerregierung will Serge Wilmes nicht brechen, aber sie verstärkt auf den Prüfstand stellen. Der neue Ressortleiter setzt auf einen „permanenten Dialog“ mit den Bürgern. Ein nachlassendes Interesse an ökologischen Themen sieht er nicht.
Tageblatt: Herr Wilmes, Sie waren knapp zwei Wochen als Umweltminister im Amt und mussten schon zur Weltklimakonferenz nach Dubai. Ein Sprung ins kalte Wasser?
Serge Wilmes: Ich habe schon Erfahrung in der Umweltpolitik aus der Kommunalpolitik mitgebracht. In den vier Monaten, bevor ich Minister wurde, war ich als Schöffe in der Gemeinde für Umwelt und Klima zuständig. Und in den Jahren zuvor habe ich mich intensiv mit Urbanismus beschäftigt und war unter anderem für die Grünflächen verantwortlich. Es hatte also schon ein bisschen Vorlauf für das nationale und europäische Niveau als Umweltminister gegeben. Aber die COP28 bedeutete natürlich schon ein anderes, gleich globales Niveau. Ich habe übrigens mein grünes Notizbuch (er hält es hoch; Anm. d. Red.) aus der Gemeindepolitik mitgebracht, nur um zu zeigen, dass grün nicht das Monopol der grünen Partei ist. Schwarz ist das neue Grün. Darin machte ich mir auch meine Notizen für die COP. Ich konnte mich vor allem auf eine Reihe von Mitarbeitern stützen, die schon viel Erfahrung mit Weltklimakonferenzen hatten. Allerdings war ich vorher noch nie auf einer COP gewesen, im Gegensatz zu manchen Abgeordneten.
Schon die Auswahl des Veranstaltungsortes Dubai war ziemlich umstritten, weil der Gastgeber aus den Reihen der Öl- und Gasproduzent kam.
Im Nachhinein finde ich, dass die Entscheidung, die Konferenz in den Emiraten stattfinden zu lassen, richtig war. Denn die Gastgeber, die immer den Anspruch auf das Größte und Schönste haben, also immer einen Superlativ, haben sich selbst unter Druck gesetzt, indem sie aus dieser COP28 unbedingt eine historische machen wollten und sich Gastgeber Sultan Al Jaber ein Denkmal setzen wollte. Dadurch musste er auch Druck auf die anderen Ölstaaten wie Saudi-Arabien und Irak machen. Sonst wäre es vielleicht gar nicht zu dem Accord gekommen, dass man wegkommt von den fossilen Energien. Der erste Text, der vorgeschlagen wurde, war allerdings weit davon entfernt, dass mehr als hundert Länder sagten, dass dieser nicht ausreiche. Vor allem die Europäische Union und die USA, Australien und Kanada übten Druck aus, um einen richtig deklarierten Ausstieg aus den fossilen Energien auf den Weg zu bringen. Hinzu kamen unter anderem die besonders vulnerablen Länder wie etwa die Inselstaaten im Pazifik, die heute schon unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden. Der jetzige Kompromiss ist ein großer Schritt nach vorn, nicht nur, weil er eine Abkehr von den fossilen Energien bedeutet, sondern auch die Verdreifachung der erneuerbaren Energien. Und dies ist am wichtigen.
„Der Kompromiss auf der COP28 war ein historischer Schritt nach vorn“Umweltminister
Also alles in allem ein guter Kompromiss?
Ja, weil es eine Verpflichtung gibt und alle Länder dafür sind. Die UNO ist so gestrickt, dass es ein einstimmiger Beschluss sein muss oder keiner. Es bedeutet auch die deutliche Botschaft an die Investoren und Unternehmen, dass die fossilen Energien keine Zukunft mehr haben. Dazu kommt die Verdreifachung der erneuerbaren Energien und die Verdoppelung der Energieeffizienz bis 2030. Das Allerwichtigste ist jedoch, dass es ein klares Bekenntnis zu dem 1,5-Grad-Ziel der Erderwärmung im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung gab, was bisher nicht in Stein gemeißelt war. Nach Paris 2015 hieß es: nicht mehr als zwei Grad. Die Mehrheit der Wissenschaftler verlangte aber 1,5 Grad, um die Lebensqualität in der Zukunft zu erhalten. Nun wird der Text auch von der Wissenschaft anerkannt. Nicht zu vergessen, dass es gilt, bis 2050 CO2-Neutralität zu erreichen, bis 2030 minus 43 Prozent und bis 2040 minus 60 Prozent Treibhausgase. Daher ist es ein historischer Schritt nach vorn. So sahen es die meisten, die dabei waren. In den folgenden COPs muss es noch in Details ausgearbeitet werden, gerade was die finanzielle Dimension angeht, zum Beispiel beim Loss-and-Damage-Fonds. Dabei müssen viele Summen mobilisiert werden. Da kommt auch Luxemburg nicht darum herum, seinen Beitrag zu leisten.
Zur Person
Serge Wilmes, am 6. Mai 1982 in Luxemburg geboren, erwarb nach seinem Master-Abschluss in Geschichte an der Universität Nancy II 2006 einen Masterabschluss in zeitgenössischer europäischer Geschichte an der Universität Luxemburg. Von 2008 bis 2011 war er parlamentarischer Berater der CSV-Fraktion, 2008 wurde er Präsident der Christlich-Sozialen Jugend (CSJ). Von 2011 bis 2023 war er CSV-Abgeordneter für den Wahlkreis Zentrum und von 2017 bis 2023 Erster Schöffe in der Hauptstadt. Seit 17. November ist Wilmes Minister für Umwelt, Klima und Biodiversität sowie Minister für den öffentlichen Dienst in der CSV-DP-Regierung unter Premierminister Luc Frieden.
Welche Schlüsse zieht Luxemburg in dieser Hinsicht?
Das wurde noch nicht festgelegt. Es wird aber eine Summe von ein paar Millionen Euro sein. Die Niederlande werden 16 Millionen Euro in den Fonds geben. Bei Luxemburg wird es pro Kopf mehr sein. Einen definitiven Betrag haben wir noch nicht festgelegt. Wir werden das so bald wie möglich kommunizieren.
Was sind weitere Konsequenzen für Luxemburg?
Die Europäische Union, in diesem Fall die Kommission, muss innerhalb von sechs Monaten einen Vorschlag über die EU-Ziele bis 2040 machen. Im besten Fall noch vor den Europaparlamentswahlen. Über diesen Vorschlag muss dann im Europäischen Rat diskutiert werden und von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Bisher stehen die Ziele für 2030 und 2050. Für Luxemburg sind es minus 55 Prozent bei Treibhausgasen bis 2030. Wir wollen natürlich verstärkt die Energieeffizienz erhöhen und massiv in die erneuerbaren Energien investieren. Wir gehen davon aus, dass die Kommission Anfang Februar einen Vorschlag einreichen wird. Auch müssen alle Länder sogenannte NDC (national determinierte Beiträge) festlegen. Ein NDC für Europa wird von der EU-Kommission festgelegt für die gesamte Union. Er muss von den Mitgliedstaaten in ihren jeweiligen PNEC angepasst werden.
„Die Regierung wird die einzelnen Umweltprämien überprüfen, ob sie ihren Zweck erfüllt haben, ansonsten müssen sie etwa sozial besser gestaffelt werden“Umweltminister
Wie wird sich das auf die Umsetzung des PNEC auswirken? Bleibt er bestehen?
Auch unser nationaler Klima- und Energieplan (PNEC) muss spätestens 2025 angepasst werden. Es kommt eine Tranche 2030 bis 2040 dazu.
Inwiefern setzt die neue Regierung in der Klima- und Umweltpolitik auf Kontinuität?
In diesem Sinne, dass Kontinuität kein Schritt zurück ist. Den wird es nicht geben. Es kann nur noch vorwärtsgehen. Niemand muss befürchten, dass die jetzige Regierung weniger ambitioniert ist. Es kann aber sein, dass unter den 200 Maßnahmen, die im PNEC aufgelistet sind, einige angepasst werden. Die Regierung wird die einzelnen Umweltprämien überprüfen, ob sie ihren Zweck erfüllt haben, ansonsten müssen sie etwa sozial besser gestaffelt werden. Die Subsidien werden nicht neu gemacht, es wird kein neues System geben, aber vielleicht anders ausgerichtet werden. „Leave no one behind“ – niemand soll beiseitegelassen werden. Zum Beispiel die Präfinanzierung: dass der Staat eine Vorfinanzierung leistet. Denn hierbei bestehen vielleicht die einen oder anderen Hindernisse, zum Beispiel um sich eine Wärmepumpe anzuschaffen. Wie es etwa die Franzosen in Form eines Sozialleasings bei Elektroautos machen. Wir wollen das genauer untersuchen und versuchen, es nach Luxemburg zu übertragen. Das ist schon mal ein konkretes Beispiel dafür, dass wir verschiedene Dinge anders angehen wollen. Das heißt nicht, dass die bisherigen Maßnahmen schlecht waren. Es gilt aber eine Analyse durchzuführen, ob sie ihren Zweck erfüllt haben oder ob es nicht vielleicht andere Wege gibt, um sie besser zu erfüllen. Deshalb auch die Idee mit der Staffelung, dem sozialen Leasing und der Präfinanzierung.
Was die Naturschutzpolitik angeht? Sollte Politik nicht immer pragmatisch sein?
Doch. Sie haben ganz recht. Politik sollte allgemein pragmatisch sein. Sie ist von Menschen für Menschen gemacht. Auf Gemeindeebene wird nichts anderes gemacht. Man muss den Menschen zuhören und sie mitnehmen. Das muss man auch verkörpern. Wenn man alles zu ideologisch angeht, kann man den Bürger vielleicht nicht mehr überzeugen. In manchen Fällen muss man Wasser in den Wein schütten und Kompromisse eingehen. Ein Politiker, der seinen Mitbürgern nicht mal mehr das Gefühl gibt, ein Ohr für sie zu haben. Wenn er das nicht mehr hat, riskiert er zu verlieren. Deshalb wollen wir pragmatisch vorgehen. Unsere Natur- und Umweltpolitik soll ambitioniert, engagiert und sozial gerecht sein.
Die CSV hat im Wahlkampf gerade den Grünen immer wieder eine ideologische Herangehensweise vorgeworfen …
… nicht nur die CSV.
Aber was ändert sich nun an der Zielsetzung und der eigentlichen Politik? Anscheinend nicht viel.
Das würde ich nicht sagen.
Hat die Klimakrise in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht an Aufmerksamkeit verloren?
Ich kenne niemanden, der nicht will, dass wir eine reine Luft, gesunde Bäume und eine gesunde Umwelt haben. Wir teilen alle diese Zielsetzung.
Aber auf dem Weg dorthin bestehen doch etliche Unterschiede.
Es darf nicht zu viel von oben aufgezwungen und eine Untergangsstimmung verbreitet werden. Immer mehr Menschen fühlen sich davon regelrecht erschlagen und hegen dann Zweifel daran. Deshalb ist es das A und O der Politik, viel mit den Mitmenschen zu reden und auch selbst Bürger zu bleiben. Vieles hat mit Begleitung und Beratung zu tun. Was man auch tut, man sollte sich immer fragen, ob etwas dem Umwelt- und Naturschutz nutzt oder schadet. Das Prinzip der Proportionalität ist wichtig. Man muss ein Gleichgewicht finden.
„Es darf nicht zu viel von oben aufgezwungen und eine Untergangsstimmung verbreitet werden. Immer mehr Menschen fühlen sich davon regelrecht erschlagen und hegen dann Zweifel daran.“Umweltminister
Letztendlich kommt es auf eine Zusammenarbeit mit den anderen Ministerien an. Sind da nicht Konflikte vorprogrammiert?
Die Ziele können immer nur mit den anderen Ministerien umgesetzt werden. Etwa mit dem Transportministerium, aber auch das Innenministerium ist ganz wichtig, PAG und PAP, dann natürlich das Energieressort und das Landwirtschaftsministerium. Überall muss dieser Pragmatismus angewandt werden. Diesen Pragmatismus haben aber die Regierungsparteien in ihrer DNA. Wir müssen in einem permanenten Dialog mit den Bürgern stehen, etwa mit den Bauern oder Jägern. Man kann sie nicht nur mit Entschädigungen „abspeisen“. Stellen Sie sich vor, Sie würden einen Beruf ausüben, in dem Sie immer nur noch Entschädigungen bekommen! Oder im Bausektor: Es darf nicht heißen: entweder Bauen oder Natur, sondern beides. Man kann ein Gebäude bauen und alles in den nachhaltigen Urbanismus integrieren. Es kann ja durch Begrünung auch neue Natur entstehen. Natur und Biodiversität sollen Bestandteil der urbanen Welt sein.
Es gibt also auch in Zukunft Renaturierung.
Ja, ein ganz wichtiger Bestandteil. Es wird auch weiterhin ein Hauptziel sein, unsere Bäche und Flüsse zu renaturieren.
Die Artenvielfaltskrise ist die zweite große Krise neben der Klimakrise.
Ja, wir dürfen nicht nur von einer Krise reden, sondern auch von der Biodiversitätskrise. So wie es auch nicht nur eine COP, sondern eine zweite COP gibt …
… die immer ein wenig im Hintergrund steht …
… auch die dritte COP, jene gegen Desertifikation. Man muss immer über alles als Ganzes diskutieren. Zur Stärkung der Biodiversität in Luxemburg wurden schon viele Maßnahmen auf den Weg gebracht. Die werden wir weiterführen. Wir werden jedenfalls zum Beispiel unsere Flüsse weiter renaturieren, um auch die Wasserqualität zu verbessern. Und wir werden Biodiversität in den Städten stärken. Da gibt es schon einige Initiativen.
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Université de Lorraine, da war doch noch was?
@ Grober J-P. / Was war da…was war da…was war da? Teilen sie bitte ihr Wissen.
@hugo
War do net sefteg gekneipt gin?
@ HUGO / Freies Abschreiben, abschreiben, abschreiben, abschr ………….oder irre ich mich wieder? Es war doch nicht die Uni von Kinshasa?
Git dem Här Wilmes eng Chance.
D’Ausso „méi Pragmatismus“ ass jo schons hoffnungsvoll par rapport zu denen vun virdrun.
Ech si scho frou wann net all Owes e Gringen op RTL Panique verbreed. Obschon RTL, mat oder ouni dei Greng………
liebe wähler, lest die erste antwort (4 monate … grünflächen … grünes notizbuch) … aber grün ist die hoffnung, und nach dem prinzip hoffnung muss man dann wohl auch einem pragmatischen „quereinsteiger“ ein bisschen schonfrist geben … ich bin gespannt
@ Clemi / De Serge Wilmes ass kee „Quereinsteiger“. En ass gewielt gin! Net ze verwiesselen mat Gramegna, Backes, Welfreng, a.e.w.
Weniger Grün ist mehr! Die Grünen haben bei allem übertrieben. Aber womit füllt RTL sein Programm ohne diese Nervensägen?