Menschenrechte / NGOs werfen in Arbeitsgruppe für Menschenrechte hin und treten aus
Der Paukenschlag hat Symbolwirkung. Am 12. Mai verlässt die „Initiative pour un devoir de vigilance“ die vom Außenministerium einberufene Arbeitsgruppe zum Thema „Unternehmen und Menschenrechte“ – mit sofortiger Wirkung und entnervt. Nicht nur Experten wie die Menschenrechtskommission reagieren mit Bedauern, zeigen aber gleichzeitig Verständnis. Warum?
Menschenrechte und deren Achtung ist ein zähes Thema in Luxemburg. Eigentlich müsste das in einem Land, dem gewisse Vorzüge bescheinigt werden, längst Selbstverständlichkeit sein. Investoren schätzen das Land wegen seiner politischen Stabilität, der multikulturellen Kompetenzen und der internationalen Ausrichtung. Das bestätigt der Bankenverband ABBL vor wenigen Tagen erst wieder in einem Interview im Tageblatt.
Bei den Menschenrechten sieht die Realität anders aus. Alle, die sich dafür interessieren, sagen unisono, sie stehen politisch hinten an – vor allem, wenn es um den Komplex Menschenrechte und Wirtschaft geht. Daran ändert auch der Sitz Luxemburgs im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen nichts. Mit dem Austritt der „Initiative pour un devoir de vigilance“ hat jetzt eine starke Stimme der Zivilgesellschaft die Arbeit dafür, dass sich etwas ändert, hingeworfen.
Unter ihrem Dach haben sich 17 NGOs und Gewerkschaften zusammengeschlossen, die für die Achtung der Menschenrechte in Unternehmen kämpfen. Die Gründe für den Austritt hören sich an wie eine Generalabrechnung mit der Politik. „Diese Regierung hat es nicht fertiggebracht, eine Gesetzgebung in diesem Sinn auf den Weg zu bringen noch seriöse, freiwillige Maßnahmen der Unternehmen einzuleiten“, sagt Jean-Louis Zeien, der Co-Koordinator der „Initiative“ auf Nachfrage des Tageblatt.
Fehlender politischer Wille der Regierung
Ähnlich äußert sich der Präsident der Menschenrechtskommission mit 21 Mitgliedern. Gilbert Pregno ist enttäuscht. „Über die Jahre hat sich für uns herausgestellt, dass die Regierung an und für sich nicht eingreifen will“, sagt er auf Anfrage des Tageblatt. „Damit stellt sie sich auf die Seite der Unternehmen.“ Er schreibt im Namen der Kommission am 23. Mai einen Brief an Premier Xavier Bettel (DP), Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP) und Außenminister Jean Asselborn (LSAP) und reagiert auf den Austritt.
In diesem Schreiben bescheinigt er in anderen Worten der Regierung eine Haltung, die zu „businessfriendly“ und von mangelndem politischen Willen geprägt ist. Das Schreiben liegt der Redaktion vor. Die Menschenrechtskommission hat Beobachterstatus und ist damit nah dran am Geschehen innerhalb der Arbeitsgruppe „Menschenrechte und Unternehmen“, die die NGOs jetzt verlassen haben. Auf der Webseite beteuert das Außenministerium den für viele Akteure offenen und interdisziplinären Charakter der Arbeitsgruppe.
Pionier- oder Vorzeigearbeit leistet die Arbeitsgruppe jedoch nicht. Kann sie nicht. Egal, mit wem man spricht, alle finden die Existenz einer solchen Gruppe wichtig, bemängeln aber fehlende Konsequenzen und sprechen von einer bremsenden und zögerlichen Haltung der Politik. Schließlich soll die Arbeitsgruppe Ergebnisse vorlegen. Die gibt es. Zwei Aktionspläne für die Unternehmen entstehen zwischen 2019 und 2022.
Arbeitsgruppe hat Ergebnisse vorzuweisen
Der letzte wurde gerade um ein Jahr verlängert. Darin finden Betriebe Handlungsempfehlungen, wie sie firmenintern die Achtung der Menschenrechte verfolgen und sicherstellen können. Im Juni 2022 kommt es zum „Pacte national Entreprises et droits de l’homme“, bei dem rund 65 Unternehmen mitmachen. Die unterzeichnenden Firmen verpflichten sich, „die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte in ihrer Organisation und ihrer wirtschaftlichen Wertschöpfungskette umzusetzen“, wie es auf der Webseite heißt.
Und sie verpflichten sich, jährlich den Stand der Dinge auf ihrer Webseite zu veröffentlichen, ein „Reporting“. Unterschrieben haben ABBL, Cargolux, CFL, Ebos oder Hochtechnologieanbieter Hitec, um nur einige zu nennen. Sie machen das freiwillig. Ob das reicht, darüber wird seit Jahren gestritten. Immerhin ist es ein Teilerfolg für die Arbeit in der Arbeitsgruppe. Für das Reporting liegt die Messlatte auf internationalem Niveau.
Der Standard, den die gemeinnützige und in New York ansässige Organisation Shift erarbeitet hat, soll für die luxemburgischen Firmen gelten. Shift ist nach eigenen Angaben das Kompetenzzentrum für die Umsetzung der von der UN erarbeiteten Prinzipien für „Business und Menschenrechte“. Klingt ehrgeizig und anspruchsvoll. Genau das ist in den Augen der „Initiative“ jetzt entwertet worden.
Vorgehen ohne Absprache
Die Vorlage für das Reporting, die das „Institut national pour le développement durable et la responsabilité sociale des entreprises“ (INDR) und der Arbeitgeberverband UEL kürzlich ohne Absprache mit der Arbeitsgruppe verschicken, orientiert sich an anderen Kriterien. Für die NGOs ist aus dem anspruchsvollen Reporting eine „Ankreuzübung“ geworden, wie es in ihrer Stellungnahme zum Austritt heißt. „Der Fragebogen ist ein inhaltsloses und bedeutungsloses Papier“, schäumt „Initiative“-Co-Koordinator Jean-Louis Zeien. „Das ist Social- und Greenwashing in Reinkultur.“
Die Vereinigung der NGOs geht sogar noch weiter. Sie rät Firmen davon ab, sich daran zu beteiligen und räumt postwendend ihren Platz in der Arbeitsgruppe. Das eigenmächtige Abweichen von zuvor getroffenen Vereinbarungen konnte und wollte die „Initiative“ nicht mittragen, die überdies konstatiert, dass es der Arbeitsgruppe an einem inhaltlichen Austausch fehlt. „Allzu oft wurden organisatorische oder verfahrenstechnische Fragen behandelt, obwohl wir um inhaltlichen Austausch gebeten hatten“, heißt es in der Rücktrittserklärung. Ein weiterer Minuspunkt.
Immerhin sitzen in der Arbeitsgruppe neben NGOs wie die „Initiative pour un devoir de vigilance“ Arbeitgeberverbände, unabhängige Berater und Vertreter mehrerer Ministerien zusammen, um das Thema Menschenrechte vorwärtszubringen. Vorwärts geht aber vieles nicht. NGOs und Menschenrechtskommission nehmen den Austritt zum Anlass, daran zu erinnern, dass es in Luxemburg noch immer kein Gesetz zu Konfliktmineralien gibt.
Parlament schlampt bei EU-Vorgaben
Seit 2017 gibt es eine europäische Direktive, im Land ist sie nicht umgesetzt. Auch da geht es um Menschenrechte, was die bremsende Haltung der Politik einmal mehr belegt. Immerhin ist die Gesetzesvorlage dazu jetzt nach „Initiative“-Angaben in der zuständigen Kommission des Parlaments gelandet. Hinzu kommt die Diskrepanz von dem, was gesagt und offiziell vertreten wird. Das frustriert auch andere. „Den Gedanken, jetzt habe ich keine Lust mehr, habe ich auch schon gehabt“, sagt Charles Muller.
Durch die Hintertür haben wir gehört, dass unser Finanzministerium Lobbyarbeit gemacht hat, um eine Ausnahme bei der Finanzindustrie zu machenGründer der Asbl „Finance and Human Rights“
Der Jurist und Finanzexperte sitzt als Gründer der Asbl „Finance and Human Rights“ in der ministeriellen Arbeitsgruppe. Die Asbl versteht sich als Lobbyorganisation, die die Finanzindustrie dazu animieren will, in ihrer Branche bei Investments auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten. Da geht es um viel Geld. Muller stört sich massiv an der Verhandlungstaktik der Regierung auf EU-Ebene in Sachen Gesetzgebung zur Wahrung der Menschenrechte in Unternehmen.
Immer wieder sickern hinter vorgehaltener Hand Details durch – vor allem was den Finanzsektor angeht. „Durch die Hintertür haben wir gehört, dass unser Finanzministerium Lobbyarbeit gemacht hat, um eine Ausnahme bei der Finanzindustrie zu machen“, sagt Muller. Sie war von jeher Zankapfel nicht nur hier im Land, sondern auch zwischen den EU-Institutionen bei der Gesetzesvorlage zum Schutz der Menschenrechte.
Zwiespältige Verhandlungstaktiken
„Die EU-Kommission hat sie reingenommen, der Ministerrat hat sie rausgenommen und das EU-Parlament hat sie wieder reingenommen“, sagt Muller. Er erinnert daran, dass der zweite Aktionsplan, den die Arbeitsgruppe ausgearbeitet hat, der Finanzindustrie bescheinigt, ein Risikosektor zu sein, was die Achtung der Menschenrechte angeht. Mittlerweile ist man auf EU-Ebene einen entscheidenden Schritt weiter. Nach zähen Verhandlungen, vor allem die Europäische Volkspartei (EVP) gibt dabei keine gute Figur ab, verabschiedet das EU-Parlament am 1. Juni eine gemeinsame Position zum Schutz der Menschenrechte in Unternehmen.
Zum Thema Menschenrechte fehlt mir eine klare Orientierung und der Einsatz der RegierungPräsident der Menschenrechtskommission
Die paneuropäische Medienplattform Euractiv berichtet das. Das gibt nun den Weg für Verhandlungen zwischen Kommission und Mitgliedstaaten frei. Vor diesem Hintergrund klingt das Fazit des Präsidenten der Menschenrechtskommission wie eine Mahnung. „Zum Thema Menschenrechte fehlt mir eine klare Orientierung und der Einsatz der Regierung“, sagt Gilbert Pregno.
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Möglicherweise liegt doch eine klare Langzeitorientierung vor.
“ (…) In Luxemburg befürchtete sowohl die Regierung als auch die Bevölkerung, dass im Falle von internationalen Auseinandersetzungen Luxemburg in dieselben mit einbezogen werden könnte; deshalb betonte man seitens der Regierung immer wieder die luxemburgische Neutralität. Diese Situation nutzte das Dritte Reich aus, um seine Vorstellungen über „geistige“ und „wirtschaftliche“ Neutralität bei der Luxemburger Regierung durchsetzen. Dadurch, dass die luxemburgische Regierung darauf verzichtete in den internationalen Auseinandersetzungen Position zu beziehen und mehr oder weniger uneigennütziger Mahner für die Interessen der Menschheit schlechthin zu sein, verzichtete sie auf eine Aufgabe, die allen kleinen Staaten zufällt, nämlich „Gewissen der Menschheit“ zu sein. Diese Aufgabe fiel nach Ansicht des luxemburgischen Dichters und ehemaligen Unterrichtsministers Nikolaus WELTER auch Luxemburg zu: ‚Zwischen den erzgepanzerten Riesen bergen sich diese Kleinen (Staaten) schwach und furchtsam, aber in ihnen viel lebhafter und feiner als in den Grosstaaten, verkörpert sich das Gewissen der Menschheit‘. Dieser moralischen Verpflichtung kam die Luxemburger Regierung nicht nach. (…)“
(Emile KRIER, Deutsche Kultur- und Volkstumspolitik von 1933-1940 in Luxemburg, 1978, Seite 608)
MfG
Robert Hottua