/ Nicht alles regenbogenfarben: LGBTQ+-Personen haben es auch in Luxemburg manchmal schwer
In Luxemburg gibt es keine repräsentativen Statistiken zu LGBTQ+-Themen. Auch das Antidiskriminierungsgesetz, das seit 2006 in Kraft ist, hat einen einschneidenden Fehler. Das Cigale, Luxemburgs Informationszentrum für Lesben und Schwule, fordert, dass sich das ändert.
„Dass in Luxemburg keine Statistiken zu LGBTQ+-Themen erhoben werden, ist flagrant“, findet Enrica Pianaro, Soziologin beim luxemburgischen Lesben- und Schwulen-Beratungszentrum Cigale. Es gibt weder Studien zur Diskrimination noch zur Lebensqualität der betroffenen Menschen. Diese Daten zu erheben, ist eine der Hauptforderungen des Cigale. Im Ausland sei das längst Routine, Behörden in Deutschland und Frankreich zum Beispiel haben jahrelange Erfahrung in diesem Bereich, so Pianaro.
Dadurch, dass das Beratungszentrum nur Informationen von denjenigen erhält, die mit ihren Sorgen an sie herantreten, ist das Cigale in seiner Arbeit limitiert: „Was zum Beispiel Homophobie angeht, gibt es keinerlei verlässliche Zahlen. Wir wissen nicht, welche Formen es gibt und wie die Betroffenen den Angriff empfinden“, sagt die Soziologin. Dies führt zu einem Teufelskreis. Spricht niemand darüber, erkennen Betroffene ihre Erfahrungen häufig nicht als Diskriminierung an – und äußern sich wiederum selbst nicht zum Erlebten.
„Papier ist geduldig“
In den Medien wird Luxemburg häufig als eines der LGBTQ+-freundlichsten Länder der Welt angepriesen. Das nicht zuletzt wegen der Rainbow Map, die jedes Jahr von ILGA Europe herausgegeben wird. ILGA ist der europäische Ableger des Verbandes der Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intersexpersonen. Die Organisation bewertet in ihrem Ranking eine große Palette verschiedener Indikatoren, die sich sowohl auf die rechtliche Situation wie auch auf das gesellschaftliche Klima im Land beziehen. Unter anderem wird untersucht, ob die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt ist und ob gleichgeschlechtliche Paare Kinder adoptieren dürfen.
Aktuell belegt Luxemburg im Ranking mit 73 Prozent den dritten Platz unter insgesamt 49 Ländern. Hier rät Roby Antony, Leiter des Cigale, jedoch zur Vorsicht: „Papier ist geduldig“, sagt er und weist darauf hin, dass Luxemburg 2017 nur 43 Prozent erreicht hatte und damit auf dem gleichen Level wie Ungarn war. Frankreich dagegen erhielt in dem Jahr 71 Prozent. „Trotzdem lebe ich als erkennbar homosexuelle Person lieber in Luxemburg als in Frankreich“, sagt Antony.
Hat sich 2017 allerdings eine LGBTQ+-Person, die in ihrem Land verfolgt, gefoltert oder unterdrückt wird, diese Karte angesehen, ist sie vielleicht eher nach Frankreich geflüchtet. „Dabei ist es kein Geheimnis, dass die Reaktionen auf die Ehe für alle in Frankreich alles andere als LGBTQ+-freundlich waren.“
„Wir wollen keinen wie dich hier“
Nichtsdestotrotz erlebt Antony, der seit 19 Jahren im Beratungszentrum tätig ist, in den letzten Jahren in Luxemburg wieder vermehrt Diskriminierung gegenüber LGBTQ+-Personen. Alleine in diesem Jahr kann der Sozialpädagoge vier Fälle aufzählen, in denen Personen wegen ihrer sexuellen Orientierung auf der Arbeit gemobbt wurden.
„Von solchen Fällen hatte ich jahrelang nichts mehr gehört“, sagt er. Das gehe dann von wiederholten Schwulenwitzen und Gelächter bis hin zu Aussagen wie „Du gehörst nicht hierher“ und „Wir wollen keinen wie dich hier“. Auch die Aggressionen gegen LGBTQ+-Personen steigen seinen Erfahrungen zufolge wieder an. Es sei also keineswegs so, dass der dritte Platz auf der Rainbow-Map heiße, dass im Alltag alles okay ist.
Das bemerkt Antony auch in seinem Privatleben: „Ich hatte 10 oder sogar 15 Jahre das Gefühl, im Alltag quasi keine negativen Erfahrungen gemacht zu haben“, erzählt er, „inzwischen kommt es mir so vor, als gerate ich jede Woche zwei- oder dreimal in eine Situation, in der irgendjemand mich schief ansieht oder einen dummen Spruch ablässt.“
„Pour raisons économiques“
Das Antidiskriminierungsgesetz, das 2006 in Kraft getreten ist, soll vor solchen Übergriffen schützen. Diese Medaille habe aber zwei Seiten, so Antony. Delikte in diesem Bereich seien weniger offensichtlich, dafür aber viel unterschwelliger geworden. „Wird jemand aus homophoben Gründen entlassen, lautet der Vorwand häufig ‚pour raisons économiques‘. Dann wird gesagt, der Betroffene habe keine Familie, für die er sorgen müsse“, sagt Antony.
Dazu kommt, dass es für das Motiv der sexuellen Orientierung jahrelang keine Rechtssprechung gab, was wiederum mit sich gebracht hat, dass Betroffene sich nicht trauen, vor Gericht zu ziehen oder ganz einfach nicht die Kraft dazu haben. Viele wollen sich zudem keinen schlechten Namen machen, um bei der späteren Jobsuche keine Nachteile zu haben.
Unglückliche Gesetzeslage
Ein Schönheitsfehler im Antidiskriminierungsgesetz ist zudem schuld daran, dass es keine Polizeistatistik zu homophoben Delikten in Luxemburg gibt. Die Polizei kann nur Dinge erfassen, die vom Gesetz vorgesehen sind.
Neben dem Diskriminierungsmotiv (Alter, Behinderung, Religion und sexuelle Orientierung) ist hier festgelegt, in welchem Rahmen die Diskriminierung passiert ist. Darunter fällt der Arbeitsplatz, der Zugang zur Bildung, zum Gesundheitswesen oder zu Dienstleistungen. Handelt es sich aber um einen privaten Angriff, fällt dieser nicht unter das Gesetz und kann demnach auch nicht erfasst werden.
Wird also in Luxemburg ein Mensch in seinem Privatleben, zum Beispiel auf offener Straße, aufgrund seiner sexuellen Orientierung angegriffen, fällt dies für die Polizei unter „coups et blessures volontaires“. In ihren Statistiken unterscheiden die Beamten nicht, ob es sich dabei um eine Kneipenschlägerei gehandelt hat oder ob ein Mensch aufgrund seines Lebensstils oder seines Aussehens willkürlich attackiert wurde. Auch „circonstances aggravantes“, wie es sie im französischen Gesetz gibt, existieren im Großherzogtum nicht.
Luxemburg will sich an französischer Gesetzgebung orientieren
In Frankreich wird ein Täter stärker bestraft, wenn der Hintergrund eines Angriffs die wahre oder die vermutete sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität des Opfers ist. Eventuell soll dies künftig auch in Luxemburg umgesetzt werden.
In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage schrieb Justizminister Félix Braz („déi gréng“) im Juni, dass Luxemburg sich im Rahmen des Kampfes gegen sexuelle und sexistische Gewalt, wie er im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung steht, von der französischen Gesetzgebung inspirieren lassen könnte. Dann wäre ein weiterer Punkt in Richtung 100 Prozent auf der ILGA-Skala getan. Obwohl es selbst dann immer noch diejenigen geben wird, die schweigen.
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