Editorial / Nicht das Alter eines Politikers ist entscheidend, sondern seine Politik
Hollywood könnte es nicht besser machen: Als der von Sicherheitsleuten geschützte Donald Trump, nachdem ihn bei einem Wahlkampfauftritt eine Gewehrkugel nur knapp verfehlt hat, sich instinktiv seinen Anhängern zuwendet und eine Faust kämpferisch in die Höhe reckt, sendet der 78-Jährige eine Botschaft an die US-Amerikaner: Ich bin unbezwingbar. Wenige Tage später steht wieder die Diskussion über Joe Bidens Altersschwäche im Vordergrund. Schon nach seinem desaströsen Auftritt im TV-Duell gegen Trump vor drei Wochen, aber erst recht nach den Schüssen auf seinen Herausforderer, kann sich kaum noch jemand vorstellen, dass er Trump bei der Wahl Anfang November bezwingen könnte.
Biden ist mit 81 Jahren der älteste US-Präsident in der Geschichte. Erneut haben ihn renommierte Politiker seiner Demokratischen Partei zum Ausstieg aufgefordert. Doch der Amtsinhaber hat sich bislang nicht überreden lassen, auch wenn immer mehr Zweifel laut werden, ob er den Strapazen des Amtes körperlich und geistig noch gewachsen ist. Er wirkt gebrechlich und bisweilen verwirrt. Zwar ist Biden bei weitem nicht der älteste Staatschef der Welt, Kameruns Präsident Paul Biya ist mittlerweile 91 und hat zuletzt mit 85 Jahren Wahlen gewonnen. Dennoch erlaubt sich die Frage nach der beruflichen Eignung – ähnlich wie jene, wann Menschen im hohen Alter noch führerscheintauglich sind.
Im Vergleich zu Biden und Trump waren etwa Barack Obama und Emmanuel Macron geradezu jugendlich, als sie ihr Amt antraten: Der US-Amerikaner zog mit 47 Jahren ins Weiße Haus ein, der Franzose mit 39 in den Elysée-Palast. Auch relativ jung sind die politischen Anführer hierzulande: Luc Frieden trat mit 60 Jahren das Amt an, sein Vorgänger Xavier Bettel wurde 40-jährig Premierminister, Jean-Claude Juncker trat mit 58 (nach fast 19 Jahren) ab. Und Mars Di Bartolomeo (72) ist zurzeit der älteste Parlamentsabgeordnete.
Auch wenn Konrad Adenauer mit 73 deutscher Bundeskanzler wurde und erst mit 87 zurücktrat, der französische Staatspräsident Charles de Gaulle ebenso wie François Mitterrand mit 78 aus dem Amt schieden: „Das chronologische Alter sagt nicht viel über den Zustand des Körpers und des Geistes aus“, wird der Mediziner Ron Jachimowicz vom Kölner Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in der Süddeutschen Zeitung zitiert. „Während einer mit 50 Jahren problemlos Marathon laufen kann, kann ein anderer schon vom Treppensteigen erschöpft sein.“ Die Menschen altern eben unterschiedlich. Daher könne man aus wissenschaftlicher Sicht nicht sagen, ob Altersgrenzen für Politiker sinnvoll sind.
Dabei gibt es diese zumindest für Bürgermeister und Landräte in einigen deutschen Bundesländern. Der US-Senat ist vergleichsweise ein „privilegiertes Altenheim“, wie die gegen Trump unterlegene republikanische Präsidentschaftskandidatin Nikki Haley stänkerte. Sie bezog diese Worte auf die demokratische Senatorin Dianne Feinstein, die mittlerweile mit 90 Jahren verstarb, könnte aber auch den etwa gleichaltrigen Republikaner Charles Grassley gemeint haben. Haley forderte sogar einen geistigen Kompetenztest für Kandidaten über 75. Das war gegen Trump gemünzt.
Für den deutschen Politologen Udo Knapp, selbst schon 79 Jahre alt, ist das ein ganz klarer Fall von Altersdiskriminierung. Er spricht von einem „Generationenkrieg“ der Jüngeren gegen das „Methusalem-Komplott“ der Alten. Knapp weist darauf hin, dass Bidens politische Bilanz von „geistiger Reife, Klarsicht und Verantwortung für Amerika und die Zukunft der freien Welt“ geprägt sei.
Vielleicht sollten sich manche Politiker ein Beispiel an Clint Eastwood nehmen: Der 94-jährige Filmregisseur dreht weiter unermüdlich Filme. Schon sein „Space Cowboys“ (2000) war der leinwandgewordene Beweis dafür, dass auch ältere Astronauten noch ins All fliegen können.
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