Editorial / Nicht ganz so einfach: Über die Abhängigkeiten zwischen Staat und Caritas
Es sind nun fast zwei Monate vergangen, seitdem der Betrugsskandal bei der Caritas an die Öffentlichkeit gelangte. Immer noch gibt es mehr offene Fragen als Antworten zu den verschwundenen 61 Millionen Euro. Nachdem die Staatsanwaltschaft Anfang August mitgeteilt hatte, dass die Caritas womöglich auf einen sogenannten Präsidentenbetrug hereingefallen sei, haben unterschiedliche Medien – darunter das Tageblatt – mit ihren Recherchen diese Theorie als recht unwahrscheinlich nachgewiesen. Von der Staatsanwaltschaft gab es seitdem keine öffentlichen Erklärungen mehr.
Die Caritas selbst hält sich ebenfalls bedeckt. Offizielle Stellungnahmen und Details zum Betrugsskandal gibt es nur von Premierminister Luc Frieden. Dieser wies am vergangenen Mittwoch einmal mehr darauf hin, dass die Caritas nicht der Staat sei. Damit mag Frieden formal recht haben, dennoch vereinfacht seine Darstellung die Realität etwas zu sehr. Die luxemburgische Sozial- und Kooperationspolitik fußen auf Wohltätigkeitsorganisationen wie der Caritas. Der Historiker Paul Zahlen sprach Anfang August im Interview mit dem Lëtzebuerger Land von einem hybriden System, das die Verantwortlichkeiten verwässere. Der Staat beauftragt Organisationen wie die Caritas mit der konkreten Umsetzung der Sozialpolitik.
Im Fall der Caritas geht es um Maßnahmen, die den Ärmsten in unserer Gesellschaft zugutekommen. Genauer geht es um die Betreibung von Unterkünften für Obdachlose wie das „Foyer Ulysse“, die „Wanteraktioun“, verschiedene Unterkünfte und Tagesstätten, Streetwork-Projekte in Luxemburg-Stadt und Differdingen, um vier sogenannte „Epiceries sociales“, um rund 20 Flüchtlingsheime, um rund 170 Flüchtlingswohnungen, von denen rund 660 Menschen profitieren.
Der Betrugsfall ist also nicht ausschließlich eine Angelegenheit der Caritas. Deshalb war es der Regierung auch so wichtig, dafür zu sorgen, dass all diese Aktivitäten weitergeführt werden können. Organisationen wie die Caritas sind keine beliebig austauschbaren Dienstleister. Luc Frieden weiß, wieso er die Betrugsaffäre zur Chefsache machte. Es sind nicht Familienminister Max Hahn, Finanzminister Gilles Roth oder etwa Außen- und Kooperationsminister Xavier Bettel, die in dieser Affäre kommunizieren, sondern der Premierminister selbst. Und das, obwohl momentan vor allem die internationalen Aktivitäten der Caritas auf dem Spiel stehen. Hierbei geht es um humanitäre Projekte in rund zehn Ländern, wie der Ukraine, dem Kosovo, Laos oder Syrien.
Dass nun eine neue Struktur mit neuen staatlichen Konventionen geschaffen werden soll, zeigt ebenfalls, welchen Stellenwert der soziale Dienstleister hat und welchen Einfluss der Staat auf Wohltätigkeitsorganisationen hat. Einfluss, den der Staat auch in Zukunft behalten soll, wenn es nach Marc Spautz geht. Der CSV-Fraktionspräsident forderte im Lëtzebuerger Land vom vergangenen Freitag, dass der Staat Vertreter im Verwaltungsrat der neuen Struktur haben sollte. Dabei war die CSV bereits in der alten katholischen Caritas sehr gut vertreten.
Der Staat und die Caritas sind zwar nicht identisch, dennoch hat er sehr viel mit der Wohltätigkeitsorganisation zu tun. Eine der vielen offenen Fragen lautet demnach, wieso ausschließlich der Staat in der Betrugsaffäre kommuniziert, wenn es sich – wie Frieden immer wieder betont – um ein Problem der Caritas und nicht des Staates handelt?
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