Porträt / „Nichts ist beständiger als der Wandel“: Raymond Aendekerk und sein Engagement für Natur- und Umweltschutz
In der Bioszene ist es ein bekannter Name. „Hëllef fir d’Natur“, Greenpeace, Oikopolis, Bio-Vereenegung: Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Zahl der Natur- und Umweltschutzorganisationen, in denen Raymond Aendekerk (63) leitend oder gründend mitgewirkt hat, ist groß. Jetzt geht er in Ruhestand. Es wird wohl eher ein „Unruhestand“ werden.
Der scheidende Greenpeace-Direktor empfängt im Garten seines Hauses in Betzdorf. Mit Totholzhecken, Blumeninseln, Gewächshaus und Bienenvölkern könnte er jede Titelseite eines Umweltmagazins zieren. Der Garten passt zum jahrzehntelangen Engagement von Raymond Aendekerk für die Natur und das Land.
Hier im Schatten eines Apfelbaumes ist das friedliche Nebeneinander von Mensch und Umwelt keine Illusion. Aendekerk ist ein Mensch mit Idealen und klaren Vorstellungen. Der Politikstil: partizipativ und basisdemokratisch. Die Gesellschaft: solidarisch und kooperativ. Die Wirtschaft: gemeinwohlorientiert. Und die Zukunft: eine vorwärts gewandte, visionäre zwischen den Krisen der Zeit.
Politische Plattitüden, die anderen vielleicht gar nicht auffallen, entlarvt er. „Wenn Politiker sagen, es muss einfach sein, sage ich: Sorry, aber das Leben ist kompliziert und das muss man den Menschen sagen“, hält er dem entgegen. Freundlich, zugewandt und sachlich argumentierend sind Charakterzüge, von denen er profitiert.
Sensibilisierung für Biolandwirtschaft
Davon getragen legt er in Meetings Argumente auf den Tisch, die oft besser sind als die der Gegenseite. Sein Engagement für Umwelt beginnt früh. Aendekerk wächst auf einem Bauernhof auf. Seine Eltern sind Teil einer Einwandererwelle aus den Niederlanden in den 60er-Jahren und lassen sich als Landwirte zunächst im Ösling nieder.
Der Sohn studiert Agrarwissenschaft in Wien und setzt mit Studienkollegen durch, dass das Fach „Biolandwirtschaft“ an der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) etabliert wird. Es ist 1988, er ist einer der ersten Absolventen mit dem Abschluss in diesem Wahlfach. Der mittlerweile viel zitierte Biodiversitätsschwund und die Notwendigkeit, den Boden fruchtbar zu halten, sind Erkenntnisse, die sich schon damals auftun.
Österreich ist heute mit knapp 30 Prozent Biolandwirtschaft führend, was das Thema angeht. Sein studentisches Engagement fügt sich ins Gesamtbild. „Nichts ist beständiger als der Wandel, so stehe ich morgens auf“, sagt er. Zurück in Luxemburg beginnen seine beruflichen Erfahrungen bei der Stiftung „Hëllef fir d’Natur“. Dort initiiert und begleitet er zahlreiche Projekte.
Kooperationen sind die Zukunft
Ehrenamtlich engagiert er sich maßgeblich bei der Gründung der Bioproduktions- und -handelsgesellschaft Oikopolis und ihrem Wachstum. Naturata-Läden entstehen, die Handelsgesellschaft Biogros und die Genossenschaft BIOG gründen sich, das Unternehmen gibt sich die Form einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft. Landwirte, Lebensmittelverarbeiter, Handel und Konsumenten halten Anteile.
Sitze in Verwaltungsräten gibt es bereits genug. Aber ich möchte mich weiter für eine nachhaltige, partizipative Gesellschaft mit mehr Demokratie engagieren.
Die Bioszene hat seit Corona schwere Zeiten hinter sich. Zwei Läden mussten schließen und es gibt Jahresabschlüsse ohne Gewinn. „Wir haben das nur durchgestanden, weil die Solidarität von allen an der Produktionskette Beteiligten – vom Bauern bis zum Konsumenten – das trägt“, sagt er. Kooperativ ist einer seiner Glaubenssätze, wenn es um den Umgang von Menschen und Gesellschaften miteinander geht.
Klimagerechte Landwirtschaft in den inzwischen bekannten planetaren Grenzen ist Aendekerks Herzensthema. Wie sie aussieht, wurde berechnet. 2.000 Quadratmeter braucht ein Einwohner Luxemburgs, um sich klima- und umweltgerecht zu ernähren. Ein entsprechend bewirtschaftetes Feld liegt beim „Haus vun der Natur“ in Kockelscheuer, es ist eine seiner vielen Projektideen. 2016 wechselt er zu Greenpeace, die Umweltorganisation sucht einen Direktor.
Mainstream und Gewohntes infrage stellen
Ein Wort für seine persönliche Bilanz? Aendekerk überlegt eine Weile, sucht nach dem richtigen Begriff. „Genugtuung“, sagt er schließlich und meint dies im Sinne von „genug getan zu haben“, ohne sich selber dabei zu schaden. Ob es um die Recherchen zur Atomindustrie, den Pensionsfonds, Gentechnik oder nachhaltige Finanzen geht, die Pressemitteilungen wirken immer wie kleine Bomben. „Wir haben in einem kleinen Team viel bewegt“, sagt er. „Das erfüllt mich mit Dankbarkeit.“
Aufrütteln, den Mainstream und Gewohntes infrage stellen, Visionen entwickeln, das treibt ihn an. Der Tucholsky-Fan und Anhänger des deutschen Kabarettisten Hagen Rether predigt die Freiheit der Gedanken, nicht die maßlose Freiheit des Handels. In der Wirtschaft ist ihm Gerechtigkeit und Fairness wichtiger. „Wirtschaft sollte durch Kooperation und Großzügigkeit und nicht durch Konkurrenz geprägt sein“, sagt er.
Seine eigene Zukunft? Er wird seinen drei Lebensthesen treu bleiben und sich dafür einsetzen: Gemeinwohlökonomie, bedingungsloses Grundeinkommen und ein neuer Zugang zu Land. In welcher Form er zukünftig dafür werben wird, ist noch nicht klar. Klar ist, was er nicht will. „Sitze in Verwaltungsräten gibt es bereits genug“, sagt er. „Aber ich möchte mich weiter für eine nachhaltige, partizipative Gesellschaft mit mehr Demokratie engagieren“.
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