Forum / Nico Wennmacher: Verkommen Wahlen zur Farce, schwindet die Lust an der Teilnahme
Gewerkschafter Nico Wennmacher sorgt sich in seinem Forum-Beitrag um den Zustand unserer Demokratie. Politikverdrossenheit bei den Wählern sieht Wennmacher als eine größer werdende Gefahr, die Schuldigen an diesem Zustand sieht er vor allem in der Politik selbst.
Viele Mitbürger, auch die Medien, stellen mit Verwunderung und teils mit Entsetzen fest, dass die Politikverdrossenheit zunimmt, wie dies u.a. an Wahlbeteiligungen ersichtlich wird. Über die geringen Wahlbeteiligungen wurden in den Medien bereits verschiedene Theorien aufgestellt. Ein Umstand für diese Politikverdrossenheit scheint mir der Umstand zu sein, dass die Parteien bei Wahlen Wahlprogramme aufstellen, um nach den Wahlen Koalitionen einzugehen, wo diesen Programmen kaum Rechnung getragen wird.
Dies war u.a. der Fall bei den Wahlen zur Erneuerung des Europaparlamentes. Viele Wähler, die bei diesen Wahlen den Parteien des linken und grünen Spektrums den Vorzug gaben, waren sicher enttäuscht, als diese Parteien erneut die alte Präsidentin, Ursula von der Leyen, zur neuen Präsidentin der Europäischen Kommission wählten. Viele gingen zur Wahl, weil sie die Illusion hegten, mit ihrem Wahlzettel eine andere Politik auf den Weg zu bringen. Eine Politik frei von Korruption, die dem Sozialen und nicht dem Neoliberalismus den Vorzug gibt, eine Politik, die den Frieden sichert und nicht dem Aufrüsten dient, eine Politik, die die Migration human gestaltet und Europa nicht weiter zur Festung ausbaut.
Verschiedene unserer politischen Eliten scheinen keine überzeugten Demokratieverfechter zu sein
Heute müssen wir leider feststellen, dass die Parteien, welche der neuen und alten Kommissionspräsidentin den Vorzug gaben, u.a. ebenfalls einwilligten, die Grenzschutztruppe, die die Migranten zurück in die Wüste schickt, finanziell stärker zu unterstützen.
Dass eine zunehmende Politikverdrossenheit der Demokratie nicht dienlich sein kann, scheint offensichtlich. Darüber hinaus scheint es so, als ob verschiedene unserer politischen Eliten keine überzeugten Demokratieverfechter wären.
Ich möchte in dem Zusammenhang an das Neujahr-Interview unseres Staatsministers Luc Frieden erinnern. In diesem Interview verglich er Luxemburg mit einer anonymen Gesellschaft, wo er als Generaldirektor figurieren würde. Wer ein demokratisches Staatswesen zu einer anonymen Gesellschaft herabstuft, dem fehlt ein echtes Demokratieverständnis. In einer solchen Gesellschaft sind demokratische Gepflogenheiten nicht erwünscht, sie werden als störend empfunden.
Frieden, Bettel und ihr Freund Macron
Auch das Wohlergehen der Beschäftigten kommt nicht an erster Stelle, sondern der höchstmögliche Profit. Frieden und Xavier Bettel haben, in jüngster Vergangenheit, den französischen Präsidenten Emmanuel Macron des Öfteren hofiert. Dieser Umgang mit dem französischen Präsidenten erinnert mich an das Narrativ: „Sag mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.“ Der französische Präsident hat jedenfalls ein sonderbares Demokratieverständnis. Seine Rentenreform hat er ohne Votum in der Nationalversammlung durchgeboxt. Zurzeit weigert er sich, die Resultate eines demokratischen Urnengangs anzuerkennen.
Die Aussagen von Frieden und die Politik unserer Regierung erinnern an die Thesen des neoliberalen Vordenkers Milton Friedman. Entsprechend dieser Thesen ist die Demokratie nicht wichtig, sondern die freie und ungezügelte Marktwirtschaft. Entsprechend dieser Theorien soll der Staat sich höchstens um die innere und äußere Sicherheit und um den Schutz des privaten Eigentums kümmern sowie die Gewinne der Betriebe absichern. Die Absicherung der Betriebsgewinne soll durch die Absenkung der entsprechenden Steuern erfolgen. Die innere Sicherheit soll mit einem Polizeistaat gewährleistet werden, wo die Bettler und nicht die Armut bekämpft werden. Der Ausbau des Polizeistaates kann auch dazu dienen, bei sozialen Auseinandersetzungen einzugreifen und um eventuell den Ausnahmezustand abzusichern. Die äußere Sicherheit soll mit enormen Rüstungsanstrengungen abgesichert werden. Um die Aufrüstung zu legitimieren, werden alte und neue Feindbilder erkoren. Diese dienen auch dazu, um von internen Problemen abzulenken. Unsere Mobilitäts- und Verteidigungsministerin hat in einem Interview im Le Quotidien erklärt, sie würde lieber mehr in den öffentlichen Transport investieren, aber die Rüstungsanstrengungen hätten Priorität. Dem bleibt nichts hinzuzufügen.
Auch wenn Europa immer mehr nach rechts und rechtsextrem abdriftet, so gibt es doch einige Lichtblicke. In Frankreich konnte die neue Volksfront mit einem fortschrittlichen Programm viele Wähler überzeugen. Dem Bündnis Sahra Wagenknecht in Deutschland gelang es bei den Wahlen zum Europaparlament, einen Achtungserfolg zu erzielen. Vielleicht lassen sich andere Parteien und Gruppierungen von diesen Beispielen inspirieren.
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