Ukraine-Krieg / Nicolas Zharov von „LUkraine“: „Solidarität der Luxemburger Bevölkerung ist enorm“
Der Krieg in der Ukraine hat weltweit Auswirkungen – und auch für einen kleineren Verein in Luxemburg brachte dieser Änderungen mit sich. Im Informationszentrum für ukrainische Flüchtlinge der gemeinnützigen Vereinigung „LUkraine“ in Rollingergrund spricht Präsident Nicolas Zharov über die Arbeit der freiwilligen Helfer und die große Solidarität in Luxemburg.
Tageblatt: Nicolas Zharov, spätestens seit Beginn des militärischen Angriffs von Russland auf die Ukraine am 24. Februar ist die Vereinigung „LUkraine“ fast jedem ein Begriff. Seit dem Tag organisiert diese unter anderem regelmäßig Demonstrationen gegen den Krieg. Der Verein allerdings ist schon viel länger in Luxemburg aktiv.
Nicolas Zharov: Richtig. Wir haben uns in 2014 gegründet und nur einen Monat nach der Annexion der Krim durch Russland lag unser Fokus damals vor allem auf humanitärer Hilfe für die Menschen in der Ukraine. Wir schickten medizinisches Material wie Medikamente, aber auch einen Krankenwagen dort hin. Als die Situation ruhiger wurde, konnten wir im Laufe der Jahre auch Projekte, beispielsweise kultureller Art, in Luxemburg angehen. Wir stellten zudem eine ukrainische Sonntagsschule auf die Beine – die während der Pandemie aber leider wieder schließen musste. Die ukrainische Gemeinschaft in Luxemburg zählte vor dem 24. Februar etwa 2.000 Menschen.
Und wie haben sich die Aktivitäten des Vereins in den vergangenen Wochen verändert?
Für uns ist natürlich vieles anders geworden. Wir konzentrieren uns jetzt mehr auf die humanitäre Hilfe und wollen vor allem den Menschen in der Ukraine helfen. Dafür schicken wir benötigtes Material hin. Uns ist es aber auch wichtig, die zu unterstützen, die in der Ukraine kämpfen. Und dann sind es ja nicht wenige Flüchtlinge, die hier in Luxemburg ankommen – auch für sie wollen wir da sein. Hier in Rollingergrund haben wir ein Informationszentrum eingerichtet und helfen bei Fragen weiter. Die Menschen können einfach vorbeikommen.
Soweit ich weiß, ist das noch längst nicht alles.
Ja. Nach den Öffnungszeiten des Infozentrums finden hier kostenlose Sprachkurse zur Integration statt. Außerdem organisieren wir Tanzkurse für Kinder. Ein wichtiges Projekt ist aber auch, dass wir Geflüchteten schon bald kostenlos psychologische Unterstützung anbieten wollen – in einem ersten Schritt per Videosprechstunde, später dann auch von Angesicht zu Angesicht. Dafür werden wir halbtags zwei Psychologen einstellen. Außerdem haben wir die Idee von einem Restaurant, in dem Flüchtlinge zum Essen vorbeikommen können. Gekocht wird von Luxemburgern, Ukrainern und warum nicht auch von Russen. Wir sind ja nicht anti-russisch und wollen niemanden diskriminieren.
Das klingt, als hätte der Verein noch viel vor. Wie kann die Bevölkerung in Luxemburg dabei helfen?
Für die Idee, von der ich gerade erzählt habe, sind wir noch auf der Suche nach einer Küche oder einem leerstehenden Restaurant. Wer da weiterhelfen kann, kann sich gerne bei uns melden. Auf unserer Webseite (ukrainians.lu) werden wir zudem schon bald die verschiedenen Projekte vorstellen. Da kann man dann auswählen, welche man finanziell unterstützen will. Wenn wir staatliche Fördergelder erhalten würden, könnten wir noch mehr tun. Denn uns fehlen die notwendigen Personalressourcen, um alles zu managen. Wir kommen bisher ja ganz ohne bezahlte Mitarbeiter aus.
Sie machen das also alle auf freiwilliger Basis. Wie läuft das genau ab?
Etwa 40 Koordinatoren kümmern sich neben dem Beruf in ihrer Freizeit um alles. Wir würden gerne fünf bis acht Personen einstellen, um alleine schon alle Anfragen der Menschen beantworten zu können. Zum Glück können wir als kleiner Verein aber auf die Unterstützung von rund 500 freiwilligen Helfern zählen. Allgemein ist die Solidarität der Bevölkerung in Luxemburg wirklich enorm. Wir wollen aber auch etwas zurückgeben: Es ist ja so, dass in Luxemburg Haushalte, die Flüchtlinge bei sich zu Hause aufnehmen, dafür keine finanzielle Hilfe erhalten. Wir wollen die Gastfamilien allerdings unterstützen, indem wir zum Beispiel etwas zu den zusätzlich anfallenden Heizkosten beisteuern oder Hygiene-Artikel kaufen. Daran arbeiten wir aktuell.
Die Solidarität in Luxemburg sei enorm, sagen Sie. Woran machen Sie das fest?
Wir haben schon viel Unterstützung von Privatpersonen, aber auch von Betrieben bekommen. Von einem Krankenhaus haben wir Medikamente bekommen, eine Luxemburger Fluggesellschaft hat Flüchtlingen kostenlose Flugtickets gegeben, außerdem gab es kostenlose SIM-Karten für das Handy. Landesweit stellen viele Gemeinden zudem ihre Sporthallen zur Verfügung. Innerhalb von vier Wochen konnten wir fast 800.000 Euro Spenden sammeln. Wir sind den Menschen in Luxemburg und den Gemeinden für ihre Unterstützung sehr dankbar.
Man merkt es Ihnen an: Der Verein ist vor allem dankbar für die Hilfe von Betrieben, Gemeinden und Privatpersonen. Was ist mit der Politik?
Dieser Krieg hat bereits 2014 begonnen, nur hat die Welt damals nicht darauf reagiert. Mit dem Überfall von Russland auf die Ukraine am 24. Februar ist der Kampf nun zwar in die heiße Phase übergegangen, aber Krieg gab es bereits zuvor – einen hybriden Krieg. Die russischen Soldaten sind einfach grausam und unmenschlich und deshalb muss die Welt verstehen, mit wem nicht weiter Handel betrieben werden darf. Auch die Luxemburger Regierung muss aktiv werden. Einen russischen Diplomaten auszuweisen, reicht da nicht. Wenn wir jetzt nichts tun, ist es zu spät. Man hätte das bereits 2014 stoppen können.
Und doch ist jetzt immer noch Krieg. Denkt man da an die Zukunft?
Die Ukrainer kämpfen für die Menschheit. Und ja, sie wollen ihr Land verteidigen. Aber jeder soll wissen, dass sie nicht kämpfen, weil sie noch mehr Territorium wollen. Sie wollen nur nicht, dass Kinder, Frauen und Männer sterben. Wir arbeiten bereits mit verschiedenen, ukrainischen Gemeinschaften an einem internationalen Projekt, um die Orte in der Ukraine wieder aufzubauen. Sogenannte „Smart Cities“ sollen es werden. Momentan sammeln wir dafür Spenden und sind auf der Suche nach Investoren. Das könnte ein gutes Beispiel dafür werden, dass man mit weltweiter Solidarität die Welt verändern kann.
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