Niedrige Inanspruchnahme von Sozialhilfen / Forscherinnen von Liser und Statec zeigen, woran es hakt
Das Liser hat zusammen mit dem Statec aufgearbeitet, warum zahlreiche Menschen in Luxemburg nicht auf die angebotenen Sozialhilfen zurückgreifen. Die von der Arbeitnehmerkammer in Auftrag gegebene Studie gibt Einblicke in die Lebensrealitäten der unteren Einkommensschichten, die von Existenzängsten geprägt sind.
Knapp ein Fünftel der in Luxemburg lebenden Einwohner gilt als armutsgefährdet. „Luxemburg ist in der Hinsicht schon lange kein Musterschüler mehr innerhalb der Europäischen Union“, sagte die Präsidentin der Arbeitnehmerkammer (CSL), Nora Back, auf einer Pressekonferenz am Mittwochmorgen. Die CSL hat beim Forschungsinstitut Liser und beim nationalen Statistikamt Statec eine Studie in Auftrag gegeben, die herausfinden soll, warum so wenige Einwohner auf die hierzulande existierenden Sozialhilfen zurückgreifen. „Wir freuen uns natürlich, dass die Regierung die Bekämpfung der Armut zu einer Priorität erklärt hat“, sagte Back. Bisher aber sei noch wenig Konkretes passiert. „Die Erkenntnisse der Studie können eventuell als Inspiration dienen.“
Zwischen Januar und August vergangenen Jahres haben die Forscherinnen Anne Franziskus (Statec) und Anne-Catherine Guio (Liser) Interviews mit insgesamt 35 Betroffenen geführt und ausgewertet, die verschiedene Erfahrungen mit den Luxemburger Sozialämtern und Verwaltungen gemacht haben. Dabei kam heraus, dass es hauptsächlich vier Gründe gibt, weswegen Bedürftige keine Sozialhilfe beanspruchen: schwieriger Informationszugang, Probleme bei der Anfrage und der Nachverfolgung der beantragten Hilfen und Zulassungsbedingungen. Aber auch psychologische Barrieren spielen oftmals für die Betroffenen eine Rolle.
Lange Wartezeiten und bürokratische Hürden
Gerade beim Informationszugang muss zwischen den verschiedenen Sozialhilfen unterschieden werden. So sei beispielsweise die Teuerungszulage („Allocation de vie chère“) allgemein gut bekannt – die Mietsubventionen hingegen hätten nur wenige der Studienteilnehmer gekannt. Bei der Informationsbeschaffung aber würden besonders sprachliche Barrieren eine große Hürde darstellen. Informationsseiten in leichter Sprache und breit angelegte Informationskampagnen, um möglichst viele Betroffenen zu erreichen, seien Wege, um mehr Menschen anhand von Sozialhilfen aus der Prekarität herauszuholen.
Die größten Vorwürfe an das bestehende System: lange Wartezeiten, selbst für kleinere Hilfen, und die jedes Jahr erneut fälligen bürokratischen Hürden zur Beantragung der Sozialhilfen. Teilweise mussten Antragsteller mehrere Monate auf die dringend benötigten Hilfen warten. Ein Studienteilnehmer erklärt, dass sein Dossier für die Mietsubvention für 2021 ohne Problem angefragt worden sei. Das gleiche Dossier sei im darauffolgenden Jahr jedoch über neun Monate hinweg blockiert gewesen.
Lebenssituationen vs. administrative Realität
„Jede ordnungsgemäß in Luxemburg niedergelassene Person hat in der Regel Anspruch auf Sozialhilfe, um ein menschenwürdiges Leben zu führen“, heißt es auf MyGuichet.lu. Jedoch: Die Lebenssituationen unterscheiden sich allzu oft von der administrativen Realität. Unter anderem seien zu niedrig angesetzte finanzielle Obergrenzen und die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe weitere Faktoren, warum zahlreiche (potenzielle) Antragsteller an der Armutsgrenze leben müssen.
Neben dem administrativen Dschungel sind aber auch psychologische Barrieren oftmals der Grund, warum potenzielle Sozialhilfeempfänger keine Anträge stellen. Diese reichen von Schamgefühlen, den Weg ins Sozialamt antreten zu müssen, über die stigmatisierende Behandlung seitens der Verwaltungsbehörden bis hin zur verinnerlichten Überzeugung, dass man es eigentlich nicht so schlecht hat, um dem gesellschaftlichen Stigma entgegenzuwirken.
Neben den herausgearbeiteten Problemen zeigen die Forscherinnen jedoch auch Ansätze auf, wie die Armutsbekämpfung in Luxemburg effizienter gestaltet werden kann. Einfacher und klarer Informationszugang, vereinfachte Prozeduren bei der Antragstellung und bei Beschwerden – beispielsweise durch eine zentrale Anlaufstelle („Guichet unique“) – sowie eine Sensibilisierung der Verwaltungsbeamten, um einem stigmatisierenden Verhalten entgegenzuwirken. Zudem schlagen die Forscherinnen vor, die abgelehnten Anträge genauer zu studieren, um in Erfahrung bringen zu können, woran die meisten Sozialhilfeantragsteller scheitern.
Sozialhilfen
Die in der Studie abgedeckten Sozialhilfen sind:
– Allocation de vie chère
– Prime énergie
– Subvention loyer
– Crédit impôt monoparental
– Subvention pour ménage à faible revenu
– Avance et recouvrement de pensions alimentaires
– Epicerie sociale
– Aides communales
Für die Studie wurden insgesamt 35 Interviews mit Betroffenen geführt, die über ihre Erfahrungen mit dem Luxemburger Sozialsystem berichten – und warum einige trotz finanzieller Engpässe keine Hilfe beantragen.
- Von Dynamik und Statik: Xavier Bettels Europa- und Außenpolitik braucht neue Akzente - 19. November 2024.
- CSV und DP blicken auf ereignisreiches Jahr zurück - 18. November 2024.
- „déi Lénk“ sieht von „Interessenkonflikten durchsetzte“ Institution - 13. November 2024.
Gut, dass das mal zur Sprache kommt! Alles hört sich in der Theorie gut an, denn Papier ist geduldig! Manche hinterm Schreibtisch lassen ihre „Macht“ raushängen, ohne sich anscheinend bewusst zu sein, dass sie für die Bevölkerung da sind und ihretwegen bezahlt werden.