OGBL-Kongress / Nora Back führt die Gewerkschaft in die Zukunft
Die größte Gewerkschaft des Landes wird seit heute von einer Frau geführt, ein Novum in der über 100-jährigen Geschichte der Bewegung. Nora Back wurde während des 8. ordentlichen Kongresses, der während zwei Tagen im Hémicycle auf Kirchberg stattfindet, am Abend vom neu gewählten Nationalvorstand mit 97,5 Prozent der Stimmen zur Nachfolgerin von André Roeltgen bestimmt.
Roeltgen, der das Präsidentenamt während der letzten fünf Jahre innehatte, hatte den Kongress am Morgen mit einer politischen Analyse der letzten Jahre und der aktuellen Situation eröffnet. Er konnte zahlreiche internationale und nationale Gäste begrüßen und verwies auf die Hundertjahrfeier, während der die Geschichte des OGBL zu Recht als „success story“ bezeichnet worden sei. Er setzte seine Mandatsperiode in den Kontext der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, die Europa und der Rest der kapitalistischen Welt seit der Jahrhundertwende durchliefen. Der soziale Besitzstand sei unter wachsenden Druck geraten und besonders seit Ausbruch der Krise 2008 habe die salariatsfeindliche Politik die Qualität einer regelrechten Austeritätspolitik bekommen. Es gab in Luxemburg heftige Angriffe auf das Indexsystem, das gewerkschaftliche Wirken sei immer mehr zu einem Verteidigungskampf für den Erhalt sozialer Errungenschaften geworden. Der einzige soziale Fortschritt sei damals die Einführung des Einheitsstatutes gewesen.
Die dramatischsten Auswirkungen der Krise und der darauffolgenden Regierungspolitik konnten u.a., so Roeltgen, durch die Massenkundgebung 2009, an der 30.000 Menschen teilnahmen, eingeschränkt werden. Dennoch kam es im Jahr 2012 zu einer Verschlechterung des Rentensystems. Die Kaufkraft ging zurück. Der OGBL kämpfte als Reaktion gegen das Sparpaket der Regierung und versuchte mit hohen Tarifabschlüssen gegenzuwirken.
Schieflage bei der Verteilung
Als Teilerfolge zählte Roeltgen in der Zeit danach die Steuerreform 2017, die Reform des Arbeitszeitgesetzes auf; dennoch sei eine Schieflage bei der Verteilung des geschaffenen Mehrwertes weiter festzustellen. Hiergegen vorzugehen, sei eine der prioritären Aufgaben in der Zukunft. Nur eine gerechte Verteilung könne den Nährboden für rechtsextreme und populistische Bewegungen entziehen. Die Europäische Union rief er auf, den Mitgliedstaaten einen größeren finanziellen Spielraum als bisher zu geben, um ihnen größere Investitionen zu ermöglichen. Diese seien notwendig, um die Zukunft abzusichern.
Der scheidende Präsident ging weiter auf die Klimafrage ein. Der OGBL stehe hinter den Pariser Klimazielen, diese könnten aber nur erreicht werden, wenn die Transition sozial gerecht umgesetzt werde.
Nach Ansprachen von Per Hilmersson, beigeordneter EGB-Generalsekretär, und Oliver Röpke, Arbeitnehmervertreter beim Europäischen Wirtschafts- und Sozialrat, trat der neue Luxemburger EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, Nicolas Schmit, ans Rednerpult.
Er ging auf die großen anstehenden Herausforderungen ein, die von der frischen EU-Kommission unter anderem mit einem „green deal“ bewältigt werden sollen. Dieses Projekt werde angesichts der sich zuspitzenden Klima- und Umweltproblematik dringend gebraucht. Es werde teuer werden: Mehr als tausend Milliarden müssten investiert werden, so Schmit. Allerdings sollte man keine Angst vor großen Summen haben.
Nach den Banken das Klima
Um die Banken zu retten, seien enorme Gelder eingesetzt worden, jetzt müsse die Umwelt, das Klima und damit die Zukunft gerettet werden; eine Alternative hierzu gebe es nicht. Die Herausforderung sei eine doppelte. In die Ökologie müsse investiert werden, parallel müsse aber auch die soziale Gerechtigkeit wiederhergestellt werden. Die Wirtschaft müsse so umgebaut werden, dass die Menschen wieder im Mittelpunkt stehen. Wenn die Digitalisierung mehr Produktion erlaube, so müssten die entsprechenden Gewinne in Arbeitszeitverkürzungen investiert werden. Der technische Wandel müsse politisch begleitet werden; die Gewerkschaften, so Schmit, haben hierbei eine zentrale Rolle zu spielen. Ohne die notwendige Begleitung würde die Angst der Menschen zunehmen und damit auch populistische und undemokratische Bewegungen.
Schmit traut der neuen Kommission zu, dass sie die richtigen Entwicklungen politisch umsetzt, das soziale Element sei in dieser Kommission stärker präsent als in der vorigen, so der ehemalige Arbeitsminister.
Am Nachmittag beschäftigte der Kongress sich u.a. mit den Finanzen und gab der Integration des Landesverbandes als autonomes Syndikat grünes Licht. Die „Hochzeit“, wie das Zusammenwirken genannt wird, ist allerdings vorerst provisorisch; erst 2024 soll sie definitiv werden.
Nach der Neuwahl mehrerer Gremien zog der Nationalvorstand sich zurück und bestimmte Nora Back zur neuen Präsidentin. Sie wird morgen ihre Vorstellungen zur Zukunft der Gewerkschaft darlegen.
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