/ Nur niemandem auf die Füße treten: Tanz-Ensemble Ailey II überzeugt in Esch nur halb
Im Escher Theater tanzte das amerikanische „Ailey II“-Ensemble nicht aus der Reihe und stimmte somit scheinbar das Publikum glücklich. Hier einige Eindrücke.
Kennen Sie dieses Gefühl, wenn Sie definitiv nicht die Absicht haben, andere zu belauschen, aber Menschen in Ihrer Nähe derart laut sprechen, dass Sie wider Willen alles mitbekommen? So erging es mir am vergangenen Sonntag im Escher Theater kurz vor dem Auftritt der zwölfköpfigen Junior-Kompanie des weltbekannten Alvin Ailey American Dance Theater. In der Reihe hinter mir fiel seitens einer Luxemburgerin auf einmal eine extrem pauschalisierende negative Aussage über Portugiesen.
In diesem Kontext sei kurz daran erinnert, dass jene Menschen, die wenig später auf die Bühne traten, Teil eines Ensembles sind, das zwar jetzt von Troy Powell geleitet, aber 1958 von Ailey in New York gründet wurde, um gegen die Ausgrenzung von Afroamerikanern in der Gesellschaft, aber eben auch in dieser Kunstsparte vorzugehen. Die Kompanie-Mitglieder werden sich wohl mehr als einmal ähnlich verallgemeinernden, beleidigen Bemerkungen, die sich auf ihre Herkunft beziehen, gegenübergesehen haben.
Glücklicherweise schritt die Begleitung der betroffenen Dame ein und wies sie darauf hin, dass es ihrer Aussage an logischen Zusammenhängen fehle. Was nun die Truppe selbst anbelangt, so geht diese auf künstlerischer Ebene kreativ statt aggressiv mit derartigen Haltungen um: Eine der drei gezeigten Choreografien trägt – als hätten die Tänzer es vorausgeahnt – den Titel „Where There Are Tongues“.
Im Stück des südafrikanischen Choreografen Bradley Shelver geht es um das komplexe Miteinander im Kollektiv, bei dem das Aufeinander-Zugehen – oder in diesem Fall -Zutanzen – auch von Rückschlägen gezeichnet sein kann. Manchmal scheitert das Individuum bei seinen Annäherungsversuchen, ab und an aber auch die gesamte Gruppe. Die Tänzer verschmelzen, stoßen sich ab, finden zueinander zurück und (er)tragen sich gegenseitig.
In Reih und Glied
Ein getanzter Spiegel der Gesellschaft. Bedient wird sich hauptsächlich des sogenannten „Modern dance“, der als Abgrenzung zum klassischen Ballett entstand, jedoch viele Spuren dieser Tanzart in sich birgt, die sich gerade in diesem Stück verstärkt mit zeitgenössischen Elementen paaren, die aber nie überhandnehmen.
„Where There Are Tongues“ stellt außerdem einen ganz eigenen Mikrokosmos dar und der Choreografie wohnt ein unglaublicher Drift inne, da sich ausschließlich der energischen Musik des „Còr de la Plana“ aus Marseille bedient wird, also einer Band, die auf Okzitanisch (wird häufig ebenfalls als „Sprache der Troubadoure“ bezeichnet) singt. Es handelt sich bei dieser galloromanischen Sprache übrigens – im Gegensatz zum Luxemburgischen – tatsächlich um eine, die vom Aussterben bedroht ist.
Auch die Choreografie „Circular“ des Koreaners Jae Man-joo bot eine spannende Diskussionsgrundlage. An den Titel angelehnt, gerät man in einen Strom oder eher noch in eine Spirale menschlicher Emotionen. Es gilt hier, vor allem jenen „pas de deux“ hervorzuheben, bei dem „Lascia ch’io pianga“ von Händel den Klangteppich ausmacht, auf dem auf Zehenspitzen getanzt wird.
Hier gleiten nämlich zwei Männer sanft aneinander vorbei, lassen sich fallen und fangen sich gegenseitig auf. Und das eben zu jenem Klagelied, in dem (in der Oper Rinaldo) die christliche, sich in Gefangenschaft befindliche Jungfrau Almirena ihre Freiheit beweint.
Man möchte fast sagen, eine formvollendete, langwierige Folter für homophobe Menschen, die es nicht ertragen, respektvolle Zärtlichkeit zwischen gleichgeschlechtlichen Personen zu sehen.
Vielleicht könnte aber auch gerade diese Form der Kunst einen spannenden Beitrag zur Sensibilisierung in Bezug auf das Thema leisten.
Marsch, Marsch!
In der den Abend abschließenden Choreografie „Breaking Point“ lässt die Jamaikanerin Renee I. McDonald Tänzerinnen und Tänzer in den Krieg ziehen. Es entwickelt sich eine packende Gruppendynamik, jedoch stechen auch Einzelkämpferinnen und -kämpfer heraus. Hier findet man tribalistische und folkloristische Elemente wieder. Leider artet die überperfektionierte Performance im Zusammenspiel mit der pompösen Musik aber ins Hyper-Theatralische aus, sodass die Darbietung zum Lächerlichen hin neigt.
Galt der Namensgeber der Truppe Ailey (der 1989 an Aids starb) seinerzeit als Pionier und Ergründer der „schwarzen Identität“, so wundert es doch sehr, dass sich dieses talentierte, durchweg mit jungen Menschen besetzte Ensemble, das außerdem unter dem Titel „The next Generation of Dance“ tourt, in altbackenen Strukturen zu verfangen scheint.
Wahrhaftige Experimente oder Grenzüberschreitungen bleiben aus. Das Dargebotene folgt stets einer sehr puristischen Vorstellung von „schönem“, ästhetischem Tanz, dem Konsens wird vorgegriffen, statt diesen wenigstens ein klein wenig herauszufordern.
Nichtsdestotrotz war es erfreulich, zu sehen, dass Tanz auch außerhalb des hauptstädtischen Tanzparketts zahlreiche Gäste anlockt, denn die Reihen des Escher Theaters waren gut besetzt bis zu jenem Moment, als fast alle aufstanden – um sich mit Standing Ovations bei den jungen Künstlern zu bedanken.
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