Caritas-Generaldirektor Marc Crochet / „Obdachlosigkeit gehört auf die politische Tagesordnung“
Seit Februar 2021 ist Marc Crochet Generaldirektor der Caritas. Wir unterhielten uns mit ihm u.a. über die Arbeit der Caritas in den letzten zwei Jahren, über Obdachlosigkeit und über die Sozialarbeit auf der Straße. Anlässlich der „Assises sociales“ der Stadt Luxemburg hatte er diesbezüglich eine überraschende Aussage gemacht.
„Leider sind die zwei vergangenen Jahre vor allem durch Krisen gekennzeichnet gewesen, Ereignisse, die niemand von uns beeinflussen konnte“, sagt er rückblickend auf seine bisherige Zeit als Caritas-Generaldirektor. „Gleich der Beginn meiner Arbeit verlief nicht so, wie ich mir das idealerweise vorgestellt hatte. Wegen der Kontaktbeschränkungen konnte ich mich meinen neuen Mitarbeitern nicht persönlich vorstellen und ihnen sagen, wo ich mit der Caritas hinwill.“ Organisatorisch habe er sich einiges vorgenommen, so will er u.a. die „Fondation Caritas“ und die „Caritas accueil et solidarité asbl.” näher zusammenführen. Die Angestellten sollen wieder mehr fühlen, dass sie einem Haus angehören.
Nach der Pandemie war es dieses Jahr der Krieg in der Ukraine, der die Organisation stark unter Druck setzte, da die Caritas, zusammen mit dem Roten Kreuz, die Aufnahme der Flüchtlinge organisiert. „Es lag ein gewaltiger Druck auf dem Personal, der natürlich nicht vorgesehen war. Da wurden viele Stunden Arbeit investiert. Es gibt nun eine hohe Provision an nicht genommenen Urlaubstagen, aber die Vereinigung musste eben ihren Mann stellen“, sagt Crochet nicht ohne Stolz. „Das Personal in den Aufnahmeheimen wurde quasi verdoppelt, was sich aber als sehr schwierig gestaltete, da es schon in normalen Zeiten nicht einfach ist, qualifiziertes Personal zu finden. Zu Beginn der Krise musste es zudem noch schnell gefunden werden, was jedoch auch irgendwie gelungen ist.“
Anlässlich der „Assises sociales“ der Stadt Luxemburg am 24. November, sorgte eine von Crochets Aussagen für Erstaunen: „Den Dienst ‚A vos côtés’ hätten wir nicht übernommen“, sagte er damals. („A vos côtés“ wurde von der Vereinigung Inter-Actions ins Leben gerufen, um auf das Unsicherheitsgefühl zu reagieren, über das sich Bewohner der verschiedenen Viertel der Stadt Luxemburg beklagen, d. Red.)
Ambivalente Rolle von Sozialarbeitern
Der Caritas-Generaldirektor erklärt: „Erstens ist es nicht unser ‚core business’. Wir kümmern uns in erster Linie um die Leute am Rande der Gesellschaft, die durch jedes soziale Raster fallen, wie z.B. die Obdachlosen.“ Er wolle keineswegs die Arbeit von „A vos côtés“ kritisieren – „die Streetworker von Inter-Actions sind die besten, die es gibt“ –, doch handele es sich dabei in erster Linie um eine Dienstleistung für die Bewohner bestimmter Viertel, und die gehörten eben nicht zur Zielgruppe der Caritas.
Den Dienst ‚A vos côtés’ hätten wir nicht übernommenCaritas-Generaldirektor
„Ich will aber nicht sagen, dass der Dienst, den Inter-Actions anbietet, überflüssig ist, mich stört ihre ambivalente Rolle.“ In ihren grünen Jacken würden sie klar erkenntlich als Mitarbeiter einer sozialen Organisation auftreten, doch manchmal seien sie vielleicht in einer Situation, wo sie einen Obdachlosen überreden müssten, aus einem Hauseingang zu verschwinden.
„Wenn ich mich als Sozialarbeiter in so einer Situation befinde, zerstöre ich damit das Verhältnis zwischen mir und dem Obdachlosen. Eine Aufgabe wie diese, wo man auch vielleicht mal durchgreifen muss, sollte besser in anderen Händen liegen, und das kann meiner Meinung nach nur die Polizei übernehmen, und nicht private Sicherheitsleute und auch nicht Sozialarbeiter.“ Es sei seiner Meinung nach nicht der richtige Weg, wie die Politik hier einer sozialen Misere entgegentrete, sagt Crochet.
Er würde den Begriff „Kümmerer“ für die Leute von „A vos côtés“ bevorzugen, denn der Auftrag, den sie hätten, sei keiner für Sozialarbeiter. „Es gibt Platz für einen ‚Kümmerer’, jemanden, der weder Polizist noch Sozialarbeiter ist, und diese Person muss als solche erkennbar sein.“ Es sei schade, dass die beiden Aufgaben nicht deutlich getrennt seien. Der Auftrag von „A vos côtés“ sei es ja eigentlich auch, dafür zu sorgen, dass bestimmte Leute nicht im Stadtbild stören. Doch diese Verantwortung sei „falsch verortet“, bei Fragen wie die der Obdachlosigkeit würden die Gemeinden allein gelassen, es gebe nicht viel nationale Zuwendung, das sei politisch nicht in Ordnung.
„Obdachlosigkeit gehört endlich auf die politische Tagesordnung“, fordert Crochet. „Ohne Transferleistungen wäre die soziale Lage in Luxemburg noch schlimmer als in den Vereinigten Staaten, es würde vielen Leuten extrem schlecht gehen.“ Ein Problem mit der Obdachlosigkeit sei, dass es keine genauen Zahlen dazu gebe. Im Oktober habe Inter-Actions erstmals eine Zählung der Betroffenen durchgeführt, die Zahlen wurden aber bis dato noch nicht veröffentlicht. Er könne nur sagen, es gebe „Hunderte“, ohne aber genau sagen zu können, wie viele. Er spreche aus der Erfahrung mit der „Wanteraktioun“, die ja schon mal verlängert werden musste, auch weil viele Saisonarbeiter in der Pandemie hier hängengeblieben waren.
Er verstehe, dass der Staat nur jenen helfe, die ein legales Anrecht auf soziale Hilfe haben: „Der Staat ist nicht im Fehler, wenn er dann keine Steuergelder anbietet, aber deswegen gibt es Organisationen wie die Caritas, die jene auffangen, die durch jedes Raster fallen“, sagt Marc Crochet.
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Et wir mol intereesant ze wessen an wei‘ engen Grei’ssenordnungen dei‘ Pei’en vun den Direkteren vun Organisatio’unen lei’en dei‘ mat Spenden schaffen !