/ Österreich: EU-Wahlkampf mit schizophrenen Zügen
In kaum einem EU-Land sind Europa- und Innenpolitik aus einem Guss. In Österreich aber nehmen die Widersprüchlichkeiten im EU-Wahlkampf schizophrene Züge an. Trotzdem könnte es fast nur Gewinner geben.
Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien
Österreich steht vor der ersten bundesweiten Wahl seit dem Start der ÖVP-FPÖ-Koalition vor eineinhalb Jahren. Wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz von einer „Schicksalswahl“ spricht, dann meint er weder das Schicksal seiner ÖVP oder der Regierung, sondern tatsächlich jenes der Europäischen Union. ÖVP-Spitzenkandidat Othmar Karas spricht am deutlichsten aus, worum es geht: Er versteht sich als Kampfansage an die „EU-Zerstörer“ und meint damit nicht nur Viktor Orban, Matteo Salvini oder Marine Le Pen, sondern ausdrücklich auch Kurz’ Regierungspartner FPÖ.
Damit beginnt es aber schizophren zu werden. Zum Ausdruck kommt dies in Karas’ Mantra: „Ich bin in Europa in keiner Koalition mit der FPÖ.“ Will heißen: Mit der Wiener Koalition hat der seit 1999 im EU-Parlament sitzende Karas eigentlich nichts am Hut.
Das ist sogar glaubwürdig, opponierte der zur „alten“ ÖVP gerechnete Abgeordnete doch offen gegen Beschlüsse der Wiener Regierung etwa zur Indexierung der Familienbeihilfe oder den Ausstieg aus dem UNO-Migrationspakt. Trotzdem muss er sich in den TV-Diskussionen von Gegenkandidaten immer wieder fragen lassen, warum er als eingefleischter FPÖ-Gegner Spitzenkandidat einer mit den Rechtspopulisten koalierenden Partei sein kann. Die Antwort ist das Mantra – siehe oben.
FPÖ mit zwei Gesichtern
Karas repräsentiert eine Parteispaltung, die zwar von des Kanzlers Popularität überstrahlt wird, sich aber auch im ÖVP-Spitzenteam manifestiert. Denn die eigentliche Favoritin des zuletzt selbst mit dem Ruf nach einem Stopp der „Bevormundung aus Brüssel“ auf EU-Bashing setzenden Kanzlers ist seine mit noch keinem abweichlerischen Wort aufgefallene Vertraute und Innenstaatssekretärin Karoline Edtstadler.
Diese steht zwar nur auf dem zweiten Listenplatz, ist aber als nächste österreichische EU-Kommissarin vorgesehen. Der auf EU-Ebene über Parteigrenzen hinweg wegen seiner Kompetenz anerkannte Othmar Karas dürfte das Nachsehen haben. Als 61-Jähriger erfüllte er nicht mehr das entscheidende Kriterium für den von Kurz für die ganze EU geforderten „Generationswechsel“.
Nicht nur Karas zieht als gespaltene Politikerpersönlichkeit durchs Land, auch sein FPÖ-Kollege Harald Vilimsky präsentiert sich so. Ungeachtet aller koalitionärer Verbindungen warf dieser gleich zu Wahlkampfbeginn dem ÖVP-Kollegen öffentlich „den Fehdehandschuh hin“. Seither liefert er sich einen Schlagabtausch mit Karas, den manche freilich für einen Schaukampf halten: Das Duell der beiden Regierungsparteien zieht Aufmerksamkeit auf sich und von anderen Parteien ab. Das mag in den Überlegungen der Strategen tatsächlich eine Rolle gespielt haben, doch wenn es nur eine Show sein soll, dann ist es eine der Peinlichkeiten.
Rechte Gefahr
Als Kurz vor dem Sibiu-Gipfel eine Neuverhandlung des EU-Vertrages forderte, protestierte Vilimsky reflexartig, ehe er von Parteichef Heinz-Christian Strache daran erinnert wurde, dass dies eine alte FPÖ-Forderung sei. Und auch Kurz kann in dieser Show, wenn es denn eine sein sollte, die politische Schizophrenie kaum verbergen: Wenn er sich wie EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber gegen eine Koalition mit den Rechtspopulisten ausspricht, dann meint er die AfD, Orban, Le Pen, Salvini, nicht aber die FPÖ, deren Spitzenkandidat im Wahlkampf zu Orban nach Budapest pilgerte und mit Salvini an einer neuen Rechtsaußenfraktion im EU-Parlament bastelt.
Die SPÖ wird nicht müde, vor dieser rechten Gefahr zu warnen. Ihr Spitzenkandidat Andreas Schieder attackiert Kurz, weil dieser „mit der FPÖ nicht nur die Feinde Europas, sondern auch die rechtsextremen Identitären im Schlepptau in die Regierung geholt hat“. Als Vertreter des linken Flügels ist er über jeden Verdacht erhaben, dies nicht wirklich ernst zu meinen, dennoch zwingt auch ihn die Realität zur politischen Verrenkung. Denn immer, wenn Schieder vor der rechtsextremen Gefahr warnt, wird er von der ÖVP an die Koalitionen der Sozialdemokraten mit den Rechtspopulisten im Burgenland sowie in der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz erinnert.
Viele Sieger erwartet
Ungeachtet all dieser Widersprüchlichkeiten dürften sowohl die Regierungsparteien als auch die SPÖ am Abend des 26. Mai Grund zu feiern haben, was freilich nicht zuletzt auf die seit 2014 gravierend veränderte Parteienlandschaft zurückzuführen ist. Umfragen zufolge ist der ÖVP Platz eins so gut wie sicher: Sie pendelt um die 30-Prozent-Marke und damit über ihrem 2014er-Ergebnis von 27 Prozent.
Auch die SPÖ kann mit etwa 27 Prozent einen Zugewinn von drei Punkten erwarten und damit vor allem ihr Ziel erreichen, die FPÖ auf dem dritten Platz zu lassen. Den Rechten wird allerdings ebenfalls ein Zuwachs von drei Punkten auf etwa 23 Prozent prognostiziert. Die im nationalen Parlament nach der Spaltung 2017 gar nicht mehr vertretenen Grünen dürften mit bis zu 10 Prozent den Einzug ins EU-Parlament schaffen, was zwar gemessen an der letzten EU-Wahl ein Minus von fünf Prozentpunkten, nach der tiefen Krise aber relativ helles Licht am Ende des Tunnels bedeutet.
Der absehbare Verlust der Grünen sowie die Tatsache, dass mehrere 2014 angetretene Kleinparteien von der Bühne verschwunden sind, erleichtern den verbliebenen Parteien Zugewinne.
Absehbarer Verlust der Grünen
Als fünfte Partei ziemlich sicher ins EU-Parlament einziehen werden die liberalen Neos, deren erst 30-jährige Spitzenkandidatin Claudia Gamon sich als radikalster, von der FPÖ als „EU-Groupie“ veräppelter Europafan in Szene setzt und den Mut zu absolut nicht mehrheitsfähigen Forderungen wie die „Vereinigten Staaten für Europa“ und eine EU-Armee mit Teilnahme Österreichs im Programm hat. 8 Prozent könnten sich Umfragen zufolge dafür begeistern.
Nicht ins EU-Parlament schaffen dürfte es die von den Grünen abgespaltene „Liste Jetzt“, die mit dem früheren grünen EU-Abgeordneten Johannes Voggenhuber als „Europa Jetzt“ antritt, aber wohl daran scheitern wird, dass ein Mandat rund 5 Prozent der Stimmen kostet.
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