/ Österreich ist, wie es eben ist: Warum es bei der Wahl am Sonntag kein Nachbeben geben dürfte
In der Schrecksekunde saß der Schock tief: Als am Abend des 17. Mai dieses Video aufpoppte, sah die Nation ihren Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Prolo-T-Shirt auf Ibiza bei der Korruptionsanbahnung mit einer vermeintlich russischen Milliardärsnichte. Der FPÖ-Chef erklärt da wenige Wochen vor der Wahl 2017, wie man Parteispenden vorbei am Rechnungshof schleust, die mächtige Kronen Zeitung und das von der FPÖ zum Nationalheiligtum erklärte Wasser kaufen könnte. Und vor allem: Wie der Rubel die Krone-Redaktion „zack, zack, zack“, so Strache, durch Entfernung kritischer Geister noch mehr in Richtung FPÖ rollen könnte.
Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, zz. in Linz
Die reiche Russin war ein Fake, das Ende der türkis-blauen Koalition, deren Harmoniefassade Kanzler Sebastian Kurz allen rechtsextremen Einzelfällen zum Trotz krampfhaft aufrechterhalten hatte, dagegen Realität. Doch auf den größten Skandal der österreichischen Nachkriegsgeschichte folgte ein großer Irrtum, den die Kronen Zeitung am Tag nach dem Auffliegen des Videos mit dieser Schlagzeile auf den Punkte brachte: „FPÖ am Ende!“
Eine Woche später traten die Österreicher an die Urnen – und siehe da, welch blaues Wunder: Die FPÖ musste bei der EU-Wahl nur zweieinhalb Prozentpunkte abgeben. Strache errang mit 45.000 Vorzugsstimmen das neuntbeste Ergebnis aller Kandidaten. Auch die ÖVP wurde nicht dafür abgestraft, dass sie diesen korruptionsanfälligen Rechtspopulisten in eine Koalition geholt hatte. Sie legte zu und holte 35 Prozent. Die Opposition schaute durch die Finger: SPÖ und Grüne mussten sogar kleine Verluste hinnehmen, die liberalen Neos sich mit einem Mini-Plus von 0,3 Prozent begnügen.
Sozialdemokraten droht historisches Tief
Ähnliche Prognosen gibt es für die vorgezogene Parlamentswahl am Sonntag: Die FPÖ wird ein paar Prozent verlieren, die ÖVP leicht dazugewinnen, während den Sozialdemokraten ein historisches Tief droht. Die 2017 aus dem Parlament geflogenen Grünen werden nur deshalb den Wiedereinzug schaffen, weil Greta Thunberg deren Ur-Agenda nach ganz oben gepusht hat.
Die FPÖ produziert einen Jahrhundertskandal und hat ein Gutes Fünftel der Wählerschaft noch immer nicht abgeschreckt. Die eine Neuauflage der gerade gesprengten Koalition nicht ausschließende ÖVP darf sogar mit noch mehr Zustimmung rechnen.
Wie das? Die geschickte Selbstinszenierung der FPÖ als Opfer eines möglicherweise von ausländischen Agenten organisierten Komplotts ist ein Teil der Erklärung. Gerade FPÖ-Wähler zeigen eine hohe Affinität für Verschwörungstheorien. Schon Jörg Haider hatte so erfolgreich damit gespielt, dass nach dessen alkoholbedingter Todesfahrt im Jahr 2008 viele an ein Attentat glaubten. Hardcore-Fans tun das bis heute. Das Jetzt-erst-recht-Motiv wird für so manchen FPÖ-Wähler am kommenden Sonntag das entscheidende sein.
FPÖ ist noch nicht am Ende
Doch das ist nicht die ganze Erklärung. Möglicherweise hat sich auch Bundespräsident Alexander van der Bellen geirrt, als er am Tag nach dem desaströsen Videoabend Straches Verhalten als „unerhörte Respektlosigkeit“ rügte, aber Österreich und die Welt sogleich beruhigte: „So sind wir nicht, so ist Österreich einfach nicht!“
Wirklich nicht? Wer den Menschen auf der Straße und an den Stammtischen zuhört, bekommt auch Sätze wie diese zu hören: „Die FPÖ war nur so blöd, sich erwischen zu lassen, aber die anderen tun es doch auch.“ Gemeint sind vermutete Hinterzimmerdeals à la Ibiza und dubiose Spendenaquise aller Parteien. Der Skandal der FPÖ wird relativiert durch tatsächliches oder auch nur unterstelltes Verhalten der anderen.
Ibiza warf ein Schlaglicht nicht nur auf die FPÖ. Strache erwähnte etwa die Milliardärin Heidi Horten als Großspenderin. Diese dementierte wie auch der ebenfalls als Politmäzen genannte Karstadt-Kaufhof-Eigentümer René Benko jegliche Spende an die FPÖ. Mittlerweile ist bekannt, dass Horten tatsächlich gespendet hat: Und zwar 931.000 Euro seit 2017 – an die ÖVP. Diese ging mit der Information erst an die Öffentlichkeit, als sie erfuhr, dass Journalisten bereits an der Causa recherchierten. Horten hatte „zufällig“ in kleinen Tranchen knapp unter 50.000 Euro gespendet. Beträge über dieser Schwelle hätte die ÖVP öffentlich machen müssen.
Das Stückelungsprinzip
Auch der größte ÖVP-Spender wendete das Stückelungsprinzip an: Klaus Ortner, Großaktionär des Baukonzerns Porr, überwies der ÖVP seit 2017 insgesamt mehr als eine Million Euro. Dass seine Tochter im Februar von der ÖVP in den Aufsichtsrat der Staatsholding ÖBAG entsandt wurde, interpretieren böse Zungen als Geste der Dankbarkeit an den spendierfreudigen Papa.
Nicht nur die Regierungsparteien tragen zur Pauschalierung des Ibiza-Sittenbildes bei. Im Juli hatte der Industrielle Hans-Peter Haselsteiner wenige Stunden vor Inkrafttreten eines neuen Parteispendengesetzes den Neos noch schnell 300.000 Euro überwiesen – das 40-Fache dessen, was die neuen Regeln erlauben. Bei diesem von SPÖ und FPÖ gegen den Willen der ÖVP beschlossenen Gesetz hatten die Sozialdemokraten auch an sich gedacht.
Während ÖVP-Teilorganisationen wie Wirtschafts- und Bauernbund in die Gesamtbilanz der Partei einbezogen werden, gilt dies nicht für SPÖ-Vorfeldorganisationen wie der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter und dem Pensionistenverband. Obwohl diese voll im Wahlkampf eingebunden und die Pensionistenverbandsstatuten ein Bekenntnis zur SPÖ enthalten, werden deren Zuwendungen an die Partei nicht erfasst, was auch für die mit sieben Millionen Euro bemessene Wahlkampfkostenobergrenze von Relevanz ist.
Kein Einzelphänomen
Und sogar die Grünen haben es geschafft, im Wahlkampffinale einen Korruptionsfall hochkochen zu lassen. Ihr früherer Bundessprecher Christoph Chorherr legte vor wenigen Tagen die Parteimitgliedschaft zurück.
Die Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn, weil er im Wiener Gemeinderat maßgeblich an Entscheidungen über Immobilienprojekte beteiligt war und für einen Verein, der in Afrika Schulen und Kindergärten baut, Spenden von Immobilienfirmen genommen hatte.
Auch die Grünen sitzen damit im Glashaus Österreich, wo die Politik unter Generalverdacht und das Ibiza-Video für eine politische (Un-)Kultur steht, in der Straches Entgleisung von vielen als skandalöses, aber nicht unbedingt singuläres Phänomen wahrgenommen wird.
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Sorry, Österreich war noch nie ein einsichtiges Land. Bereuen nach dem zweiten Weltkrieg : fehl am Platz.
Ein wenig wie die Italiener? Südländisch allemal 🙂