Luxemburg-Stadt / Offene Wunden: Demonstration für den Frieden in Nahost unter palästinensischer Fahne
Der Krieg in Nahost erregt nach wie vor auch in Luxemburg die Gemüter. Einen Tag nach dem Beginn der Feuerpause zwischen der israelischen Armee und der Terrororganisation Hamas in Gaza und nachdem einige israelische Geiseln freigelassen wurden, ist es in der Hauptstadt einmal mehr zu einer Friedensdemo gekommen.
Bei der Protestaktion am Samstagnachmittag wurde nicht nur zum Frieden in Nahost aufgerufen, sondern Israel wegen seiner Besatzungspolitik als hauptverantwortlich beschuldigt und des vermeintlichen Völkermordes an den Palästinensern bezichtigt. Der Zug der Demonstranten führte bei nasskaltem Wetter wie in den Wochen zuvor von der Philharmonie am Glacis vorbei in Richtung Innenstadt, wo die etwa zwei- bis dreihundert Teilnehmer durch die Fußgängerzone bis zur Abschlusskundgebung auf der Place Clairefontaine zogen. Organisiert war die Veranstaltung vom „Comité pour une paix juste au Proche-Orient“ (CPJPO).
„Stop War in Gaza“, „Gaza, shame on you, EU!“ und „Cessez le feu maintenant“ war auf einigen Transparenten zu lesen, „Je suis Gaza“ und „Stop the Genocide!“ auf Plakaten. Zahlreiche palästinensische Fahnen wehten im Herbstwind, Demonstranten trugen Kufiyas, sogenannte Palästinensertücher. Auch eine luxemburgische und eine ukrainische Flagge war zu erkennen – nur vereinzelt ragte ein Schild der jüdischen Friedensinitiative „Jewish Call for Peace“ aus dem Pulk des Protestzugs heraus. Die Demonstration war von Palästinensersympathisanten dominiert.
EU als „Komplize“ Israels bezeichnet
An der Place Clairefontaine angekommen, ergriff Claude Grégoire vom CPJPO das Wort. Wie in den Wochen zuvor forderte er einen sofortigen Waffenstillstand und ein Ende des Tötens im Nahen Osten. Er erinnerte an die Tausenden von Opfern in Gaza, unter ihnen viele Kinder, aber auch daran, dass die Aktion sich nicht gegen das israelische Volk richte, sondern an dessen Regierung. Die Kritik etlicher Teilnehmer richtete sich auch an die Europäische Union, die sich zu Komplizen des rechtsgerichteten Netanjahu-Kabinetts mache.
In dem Moment, in dem man gerade bombardiert wird, denkt man aber nicht unbedingt an die Empathie für die andere Seitefrühere „déi Lénk“-Abgeordnete und CPJPO-Verwaltungsrätin
Von Kriegsverbrechen war im Laufe der Kundgebung mehrfach die Rede. Es ist ein Vorwurf, der nicht nur auf Pro-Palästinenser-Demos in Europa, sondern vor allem im gesamten Globalen Süden zu vernehmen ist. Israel wird als Kolonialmacht betrachtet, und Israels Armee vorgeworfen, einen Genozid am palästinensischen Volk zu begehen. „Gaza ist zurzeit das größte Gefängnis der Welt“, sagte der aus dem Gazastreifen stammende Samir Aljarousha, der seit fünf Jahren im Westen lebt und aus Namur nach Luxemburg gekommen war. „Meine kleine Schwester ist schwer am Kopf verletzt worden“, erzählte er. Aber sie könne zurzeit nicht in einer Klinik behandelt werden, weil das Gesundheitssystem zusammengebrochen sei.
Westliche Hilfsorganisationen hätten sich zurückgezogen, berichtete Samir. Der 35-Jährige ist nach eigenen Worten stets im laufenden Kontakt mit seiner Angehörigen. Allerdings seien einige aus seiner Familie bereits bei den Angriffen der Israelis gestorben, so etwa der Bruder seines Schwagers und dessen Frau. Die Krankenhäuser seien, wie Samir hinzufügte, bekanntlich von der israelischen Armee bombardiert und zerstört worden – ohne darauf hinzuweisen, dass die palästinensische Terrororganisation Hamas ihre Stützpunkte unter den Kliniken versteckt hat, wie Israels Regierung immer wieder betont. Von der schwierigen medizinischen und humanitären Situation berichtete auch ein Arzt, der vor Ort in Gaza war. Ein anderer Demonstrant mit dem Namen Kalib sagte, dass sein Vater gestorben sei, weil die israelische Armee verhinderte, dass er operiert werden konnte. Mehrfach wurde „Free Palastine“ und „Ceasefire“ skandiert.
Die Kinder, die heute die Angriffe Israels auf Gaza erleben, sind die Terroristen von morgen, sie sind verzweifelt, und sie haben danach nichts mehr zu verlierenJewish Call for Peace
„Wir überprüfen und schauen genau hin, wer sich bei der Kundgebung zu Wort melden kann“, sagte Nathalie Oberweis vom CPJPO-Verwaltungsrat. Schließlich trage ihre Organisation Verantwortung – unter anderem auch für zwei Projekte im Westjordanland. Und diese wolle man nicht gefährden. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober und dem Massaker, das die Terroristen unter mehr als tausend israelischen Zivilisten angerichtet hatten, „haben wir der israelischen Opfer gedacht“, erklärt die frühere „déi Lénk“-Abgeordnete. Dies gelte nach wie vor. Die Palästinenser würden oft gefragt, ob sie nicht Empathie mit den israelischen Opfern hätten, so Nathalie Oberweis. „In dem Moment, in dem man gerade bombardiert wird, denkt man aber nicht unbedingt an die Empathie für die andere Seite.“
„Kritik an Israel kein Antisemitismus“
Allerdings hat sich seither das Blatt gewendet, als die israelische Armee mit ihrer harten Reaktion den Gazastreifen und die Wohngebiete dort unter Beschuss nahm. „Und dies sei einzig und allein die Verantwortung der israelischen Regierung“, so Nathalie Oberweis. Unter den Schildern, die von den Demonstranten hochgehalten werden, ist auf einem zu lesen: „Israel zu kritisieren, ist kein Antisemitismus.“ Die Reaktion der Regierung Netanjahu im Moment sei falsch, betonte Martine Kleinberg von Jewish Call for Peace. Die israelische Regierung begehe einen großen Fehler, sagt die Mitgründerin der jüdischen Friedensorganisation. „Denn die Kinder, die heute die Angriffe Israels auf Gaza erleben, sind die Terroristen von morgen“, sagte sie. „Sie sind verzweifelt, und sie haben danach nichts mehr zu verlieren.“ Denn viele haben schon ihre Familien und ihre Perspektiven verloren.
In einem bewegenden Moment trat Martine Kleinberg nach vorne auf die improvisierte Rednerbühne und hielt eine kurze Rede. Sie sagte „We have a dream: From the river tot he Sea, we will be free“ – in Anklang an die politische Parole „From the River to the Sea, Palestine will be free“, die häufig im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt verwendet wird und sich auf das Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer bezieht. Sie wird zwar häufig auch von der Hamas genutzt – und daher oft missverstanden. In diesem Sinne galt es aber einem vereinten Staat für Juden und Palästinenser. Nicht zuletzt hierbei zeigt sich einmal mehr, dass es im Nahostkonflikt seit jeher offene Wunden gibt – die offener denn je sind.
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Wer hat mit dem Abschlachten angefangen? Ist diese Frage mittlerweile obsolet geworden? Nicht mehr aktuell? Haben wir „Charlie Hebdo“, „Je suis Charlie“ oder den Bataclan bereits vergessen? Mein Rat an unsere Journalisten wäre: Versucht euch doch einmal an der Geschichte Palästinas abzuarbeiten. Am besten so um 1917 beginnen. Denn aus der Geschichte kann man Lehren ziehen oder sie einfach ignorieren. Mir gehen sämtliche Religionen am A vorbei und ich werde niemals verstehen, wieso Menschen sich wegen einer Volks-, Stammes- oder Religionszugehörigkeit beziehungsweise wegen einer anderen Hautpigmentierung hassen und abschlachten können.