Interview / OGBL-Präsidentin Nora Back nach drei Tripartiten und einer Pandemie: „Sind stärker geworden“
Nach turbulenten Jahren blickt OGBL-Präsidentin Nora Back den Sozialwahlen gespannt entgegen. Vom Ampacet-Streik und den Tripartiten verspricht sich die Gewerkschafterin Aufwind für den 12. März.
Tageblatt: Seit den vergangenen Sozialwahlen hat es eine Pandemie gegeben, auf die dann infolge der Energiekrise und der steigenden Inflation drei Tripartiten folgten. Wie sieht Ihr persönliches Fazit für die vergangene Mandatszeit als CSL-Präsidentin aus?
Nora Back: Es war eine schwierige Zeit für die arbeitenden Menschen und somit auch für die Gewerkschaften. 2019 hatten wir die letzten Sozialwahlen und darauf folgte quasi sofort die Pandemie. Das war für niemanden eine einfache Zeit. Wir mussten uns auf einmal mit Fragen beschäftigen, mit denen wir bis dahin nichts zu tun hatten.
Welche denn beispielsweise?
Wir mussten uns zu sanitären Fragen positionieren. Wann ist welche Art von Lockdown, wann ist 2G oder 3G berechtigt? Man konnte es eigentlich nicht richtig machen. Danach folgte der Ukraine-Krieg mit seinen geopolitischen Konsequenzen und die daraus resultierenden Tripartiten, Inflation, steigende Zinsen. Kurz resümiert war es einfach eine heftige Zeit für die gesamte Gesellschaft.
Und für den OGBL?
Auch für uns war es nicht einfach, jedoch sind wir als OGBL stärker geworden. Immer dann, wenn es in der Geschichte zu Krisen kommt, trifft es die arbeitende Bevölkerung am schwersten, weil sie als allererstes zur Kasse gebeten wird. Solche Krisenzeiten schweißen uns im OGBL aber zusammen. Wir wurden gefordert, haben im Rahmen der Indexverschiebung massiv mobilisiert.
Nach der Tripartite, in der die Verschiebung der Indextranchen beschlossen wurde, haben Sie gesagt, der 1. Mai werde wieder zu einem Tag der Kundgebungen und des Arbeitskampfes. Hat sich das Ihrer Ansicht nach bewahrheitet?
Der 1. Mai ist immer mehr zu einem kulturellen Familienfest mutiert. Das bedeutet nicht, dass er weniger politisch wurde. Jedoch war er nicht mehr der kämpferische 1. Mai, den er einmal war. Nach der „Index-Tripartite“ ist er wieder zu einem kämpferischen Tag wie zu Castegnaro-Zeiten geworden. Wir sind auch stolz darauf, was wir in den vergangenen Jahren geleistet haben.
In der ersten Index-Tripartite, die ohne Unterschrift des OGBL zu einem Ende kam, standen Sie als Stellvertreterin des OGBL stark in der Kritik. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Ich war zu dem Zeitpunkt ja noch nicht lange Präsidentin. Ich habe aus der Erfahrung gelernt – vor allem in puncto Kommunikation. Gleichzeitig härtet man natürlich ab. Prinzipiell ging es jedoch nie um meine Person, sondern um mich als Stellvertreterin des OGBL. Das war gerade am Anfang sehr hart, weil jeder unsere Position kritisiert hat. Nach und nach sind wir jedoch in unserer Haltung bestätigt worden. Gerade dann, als kurz nach der Unterschrift des Tripartite-Abkommens die Luxemburger Banken Milliardengewinne ankündigten. Durch den Druck, den wir dann in der Folge bis zur zweiten Tripartite aufbauten, haben schrittweise auch andere eingesehen, dass man das Indexsystem „normal“ weiterlaufen lassen sollte. Wenn wir nicht die Opposition gemacht hätten, wären drei Indextranchen verloren gegangen.
Das Index-System wird auch im neuen Koalitionsvertrag erwähnt. Demnach soll maximal eine Index-Tranche pro Jahr ausgezahlt werden – andernfalls wird eine Tripartite einberufen. Wie stehen Sie diesem Programmpunkt gegenüber?
Insgesamt stehen wir dem Koalitionsprogramm sehr kritisch gegenüber. In vielen Themenbereichen, die den OGBL direkt betreffen, wurden – und das ist keine große Überraschung – konservativ-liberale Ideen vorgestellt. Diese Art der Trickle-down-Ökonomie stimmt einfach nicht mit unserer Programmatik überein. Die Pläne bezüglich des Indexsystems sind ein No-Go. Ursprünglich hatten beide Parteien angekündigt, das Indexsystem erhalten zu wollen. Nun steht im Koalitionsvertrag, dass eine Tripartite zusammenkommen soll, wenn mehr als eine Indextranche ausgelöst werden soll. Diese Tripartite würde aber wohl kaum zusammenkommen, um die zweite Indextranche einfach nur zu bestätigen. Wir müssen uns deshalb nichts weiter vormachen: Die beiden Parteien sind bereit, eine weitere Manipulation des Indexsystems in Kauf zu nehmen. Es scheint demnach vorprogrammiert, dass bei hoher Inflation eine Auseinandersetzung unausweichlich ist.
Wir sind offen für den Dialog, lassen jedoch keine Verschlechterung des Rentensystems zu. Besonders bei Prognosen über die Rentenmauer, die noch weit in der Zukunft liegen, sind wir sehr vorsichtig
Die Regierung hat auch erste vage Andeutungen bezüglich einer Reform des Rentensystems gemacht. Im Tageblatt-Interview meinte Gesundheits- und Sozialministerin Martine Deprez jeder, der es benötige, solle von der gesetzlichen Rentenversicherung leben können – der Rest müsse eventuell auf private Versicherungen zurückgreifen. Wie stehen Sie zu diesen Vorschlägen?
Das ist Sand in die Augen der Bevölkerung gestreut. Wenn jemand die privaten Initiativen der zweiten und dritten Säule stärkt, ist das automatisch ein Angriff aufs Rentensystem an sich. Weil es eben ein öffentlich finanziertes Rentensystem ist, das übrigens zu den besten der Welt gehört. Solche Aussagen sind für uns demnach sehr alarmierend. Und die privaten Rentenversicherungen sind eher eine steuerbegünstigte Geldanlage, als dass sie tatsächlich die Renten aufbessern würden. Ich kenne die Aussage von Ministerin Deprez nicht genau – grundsätzlich aber schafft man mit solchen Initiativen ein Zwei-Klassen-System. Wir sind offen für den Dialog, lassen jedoch keine Verschlechterung des Rentensystems zu. Besonders bei Prognosen über die Rentenmauer, die noch weit in der Zukunft liegen, sind wir sehr vorsichtig. Die haben sich in der Regel noch nie bewahrheitet. Die Prognosen, die bei der letzten Anpassung des Rentensystems 2012 gemacht wurden, sind jetzt bereits wieder komplett veraltet. Wir sind bereit, zehn Jahre in die Zukunft zu schauen, so wie die „Inspection générale de la sécurité sociale“ (IGSS) es auch vorsieht. Derzeit aber ist die Lage mit einer Reserve von 24 Milliarden Euro mehr als komfortabel.
Vor den Wahlen hat der OGBL eine Verkürzung der Arbeitszeit gefordert. Nun hat die Regierung eine Flexibilisierung der Arbeitszeit angekündigt.
Die Maßnahmen beim Arbeitsrecht empfinden wir im Allgemeinen als sehr schwierig. Das entspricht quasi eins zu eins dem DP-Wahlprogramm, bei dem die roten Linien des OGBL am häufigsten überschritten wurden. Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, Überstundenregelung, die Sonntagsöffnungszeiten, die Lockerung der „Plans d’organisations de travail“, das sind alles Punkte, in denen wir wohl viel streiten müssen in nächster Zukunft.
2023 hat Luxemburg zwei Wahlen hinter sich gebracht. Wie können Arbeitnehmer für eine dritte Wahl begeistert werden – wohl wissend, dass im Juni noch eine vierte folgen wird?
Die zahlreichen Wahlen mit den Werbekampagnen, Plakaten und allem, was damit einhergeht, steht uns tatsächlich etwas im Weg. Vor zehn Jahren wurden die Sozialwahlen und die politischen Wahlen innerhalb eines Monats abgehalten. Damals wurde dann beschlossen, die Sozialwahlen in den März zu verlegen. Das scheint aber immer noch nicht zu reichen, weil über Wochen noch über Koalitionsgespräche und die Anfänge der neuen Regierung geredet wird. Somit konnten wir erst im Januar richtig loslegen und erhalten dann natürlich auch nicht dieselbe mediale Aufmerksamkeit.
Auf der 100-Jahr-Feier der CSL wurde die geringe Wahlbeteiligung angesprochen. Sie sind nicht nur Präsidentin des OGBL, sondern auch der „Chambre des salariés“. Was unternehmen Sie konkret, um die Arbeitnehmer über die Sozialwahlen zu informieren?
Wir haben nach den vergangenen Wahlen sofort eine Studie in Zusammenarbeit mit dem Liser in Auftrag gegeben. Diese hat ergeben, dass die Wahlbeteiligung bei den ausländischen Pendlern noch geringer ist als bei den Einwohnern. Dann kann auch nach vereinzelten Arbeitssektoren unterschieden werden. Beispielsweise ist die Wahlbeteiligung in der Eisenindustrie vergleichsweise sehr hoch. Bei den Rentnern liegt die Wahlbeteiligung auch über dem Durchschnitt. Der Wahlmodus in Luxemburg unterscheidet sich von dem der Nachbarländer, sodass teilweise auch falsch gewählt wurde. Aufgrund des Umstandes, dass es sich um eine Briefwahl handelt, liegt der Verdacht nahe, dass ein Teil der Arbeitnehmer die erhaltenen Umschläge und Informationen unter Werbung abtut. Zudem werden ja zwei Wahlen abgehalten. Auf der einen Seite wählen die Arbeitnehmer ihre Delegierten in den Betrieben und müssten einmal per Briefwahl abstimmen. Auch können Kandidaten, die sich für den Posten des Betriebsdelegierten aufstellen, ebenfalls für ein Mandat in der CSL kandidieren. Das kann für zusätzliche Konfusion sorgen.
Sie treten noch einmal an, um erneut Präsidentin der „Chambre des salariés“ zu werden?
Ja, ich habe meine Kandidatur gestellt – wie auch schon bei den vergangene Wahlen, bei denen ich jedoch nicht damit gerechnet hatte, Präsidentin zu werden. Es liegt jedoch an den 60 Abgeordneten der CSL, dies zu entscheiden. Die 60 gewählten Abgeordneten wählen einen Verwaltungsrat, der den Kräfteverhätlnissen der Chamber entspricht. Dieser Rat bestimmt anschließend den Präsidenten. Es ist nicht unbedingt der Abgeordnete mit den meisten Stimmen, der den Präsidentenposten erhält. Ich stehe aber bereit, das Amt des Präsidenten noch einmal auszuführen.
Für mich sind die Gewerkschaften dazu da, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu wahren. Dazu gehört, dass man sich auf der Straße wehrt, wenn am Verhandlungstisch keine Einigung erzielt wird. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass nur der OGBL dazu bereit ist
Bei den vergangenen Wahlen der „Chambre des salariés“ hat der OGBL seine absolute Mehrheit verteidigt. Was ist das Ziel bei den diesjährigen Wahlen?
Unser Ziel ist ganz klar, unsere Mehrheit zu festigen und auszubauen. Für mich sind die Gewerkschaften dazu da, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu wahren. Dazu gehört, dass man sich auf der Straße wehrt, wenn am Verhandlungstisch keine Einigung erzielt wird. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass nur der OGBL dazu bereit ist. Wir sind für den Dialog, wünschen uns gute Resultate am Verhandlungstisch und einen stärkeren sozialen Zusammenhalt und Frieden in Luxemburg. Faule Kompromisse, so wie er bei der ersten Tripartite vorgelegt wurde, werden wir jedoch auch weiterhin nicht akzeptieren. Wir haben an unseren Idealen festgehalten und werden das auch weiterhin tun. Und wir waren die einzigen, die das getan haben. Auch waren wir die einzigen, die sich mit den Streikenden in Frankreich solidarisiert haben, als die Rentenreform von der französischen Regierung durchgedrückt wurde. Das ist aber nur eines von vielen Beispielen, wo nur der OGBL sich gewehrt hat.
Ein weiteres Beispiel ist der Streik bei Ampacet. Wie ist es dazu gekommen, dass der OGBL ohne den LCGB gestreikt hat?
Das müssen Sie am besten den LCGB fragen. Anders als bisher dargestellt, hatten wir sie nämlich im Vorfeld angerufen und gefragt, ob sie sich am Streik beteiligen würden. Wir haben jedoch nie eine Antwort erhalten. Außerdem hatten wir eine in den Medien angekündigte Urabstimmung über den Streik. Zudem hätte der LCGB sich in den 25 Streiktagen zu jeder Zeit anschließen können und seine Zelte neben unseren vor der Betriebszentrale aufrichten können. Der LCGB hätte die Streikenden zu jeder Zeit unterstützen können, indem er z.B. einfach nur Holz vorbeibringt. Die LCGB-Delegierten haben als Gewerkschafter den Streik gebrochen und haben weitergearbeitet.
Der Wunsch einer Einheitsgewerkschaft, in der alle Kräfte gebündelt werden, ist weiterhin ein fester Bestandteil der Programmatik des OGBL
Bei der Cargolux hat die Zusammenarbeit jedoch gut geklappt. Warum?
Ich denke, es ist der Tatsache geschuldet, dass Ampacet ein eher kleiner Betrieb ist, der keine tragende Rolle in Luxemburgs Wirtschaft spielt. Es ist ein Unternehmen, bei dem ein Konflikt um den Kollektivvertrag ausgebrochen ist. Das bedingt nicht unbedingt eine landesweite Aktion einer Gewerkschaft. Bei der Cargolux ist die Sache etwas anders gelagert. Es ist ein riesiges Luxemburger Unternehmen, das Luxemburg in der Pandemie versorgt hat. In dem Fall hatten der Präsident des LCGB, Patrick Dury, und ich uns gemeinsam abgesprochen. Allerdings spielen auch die Kräfteverhältnisse innerhalb des Unternehmens eine Rolle. Bei Ampacet ist der OGBL in der Personalvertretung klar in der Mehrheit, bei der Cargolux ist der LCGB die etwas stärker vertretene Gewerkschaft. Sie haben uns damals gefragt, ob wir beim Streik mitmachen und wir haben zugestimmt. Ich wünsche mir aber im Allgemeinen, dass wir immer an einem Strang ziehen, wie wir es auch im Rahmen der „Chambre des salariés“ machen. Der Wunsch einer Einheitsgewerkschaft, in der alle Kräfte gebündelt werden, ist weiterhin ein fester Bestandteil der Programmatik des OGBL. Das ist meines Erachtens das einzig Sinnvolle: „L’union fait la force.“ In solch turbulenten Zeiten ist ein Schulterschluss aller progressiven Kräfte eigentlich nötig. Jetzt sind wir Konkurrenten in den kommenden Wahlen, wo unnötig Zeit und Geld verloren geht, wo es doch eigentlich darum geht, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten.
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