„Op e Patt“ / Der Historiker Joé Hass zur Kneipenkultur in Luxemburg
Ins Wirtshaus gehen wir alle gelegentlich gerne, vom „after work drink” bis zum Absacker fehlt es nicht an Gelegenheiten und Vorwänden, um in seinem Lieblingslokal einzukehren oderein neues zu entdecken.In seiner Master-Arbeit ist der Historiker Joé Haas die Thematik wissenschaftlich angegangen. Er hat die Entwicklung des Schankwesens analysiert und sich dabei besonders für seine sozial-geschichtliche Rolle interessiert.
In unserem Interviewtermin steckt ein Widerspruch. Wir treffen uns nicht im Wirtshaus, sondern im Kulturministerium, wo der studierte Historiker inzwischen für die hiesige Musikszene verantwortlich ist. „Ich spiele in der Leudelinger Musik Saxofon und nach der Probe geht es stets auf einen Absacker ins Wirtshaus. Der gesellschaftliche Aspekt ist immer noch wichtig“, meint Haas mit einem leisen Lachen. Das Dorflokal habe zwar seine tragende Rolle als Nachrichtenbörse, Informationsort oder Treffpunkt für politische und gewerkschaftliche Tätigkeiten verloren, sei aber in Zeiten von Internet und Facebook weiterhin fähig, Menschen zu verbinden und zu versammeln. „Im Bistro spricht man noch miteinander“, sagt Haas.
Lange bevor er sich wissenschaftlich mit der hiesigen Kneipenkultur beschäftigte, verdiente sich der Historiker sein Taschengeld im Gastgewerbe. „Ich liebe diese Welt mit ihrer ganz besonderen Atmosphäre“, sagt der Sohn eines Handwerkers. Seine Vorfahren waren zwar im Schankwesen, er selbst kennt das Wirtshaus der Großeltern, das damals an die familieneigene Metzgerei angeschlossen war, aber nur mehr vom Hörensagen.
Das hat ihn jedoch nicht davon abgehalten, seine zwei Interessengebiete gewissermaßen unter einen Hut zu bringen und die Abschlussarbeit seines Geschichtsstudiums der Welt zu widmen, in der er sich immer noch zu Hause fühlt. Seinem wissenschaftlichen Betreuer konnte das nur recht sein. Professor Denis Scuto hatte bei seinen Arbeiten über das Entstehen der Gewerkschaftsszene ebenfalls in diese Richtung recherchiert.
Ein ziemlich altes Gewerbe
Erste Formen gastgewerblicher Aktivitäten gab es schon im Alten Orient, rund 3.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Der Begriff „Taverne“ geht auf das Mittelalter und den verstärkten Wander- und Reiseverkehr zurück, hält Haas fest. Dann kamen die „Cafés“, in denen anfangs tatsächlich nur Kaffee serviert wurde, die aber bald öffentliche Orte wurden, wo man das Gefühl hatte, zu einer Gemeinschaft zu gehören.
Um 1850 kamen zu den traditionellen Schankwirtschaften, die häufig einem Bauernbetrieb angegliedert waren, spezifische Bierlokale hinzu, wenig später gab es, besonders in Frankreich, das Bistro, wo im Stehen konsumiert wurde und es eine Kleinigkeit zu essen gab. Gastwirtschaft, Arbeiterkneipe, „Café-Concert“, Animierkneipe sind nur einige der Wirtshausformen, die Haas analysiert hat.
1854 bekam Luxemburg erstmals ein Wirtshausgesetz. Geschrieben wurde es auf Wunsch des damaligen Justizministers, der „die Wirtshäuser und den damit verbundenen Alkoholkonsum“ regeln wollte, weil sie in seinen Augen Schuld an der Kriminalität, der Armut und den sozialen Krankheiten waren.
Wohn- und Begegnungsstätte
Das erste hierzulande dokumentierte Wirtshaus gab es allerdings schon viel früher: Bereits im Jahr 1313 wird das Gasthaus „Zu den drei Tauben“ gegenüber dem heutigen Palast dokumentiert, 1733 öffnete das erste Hotel unter dem Namen „Hôtel des Sept Souabes“ in der rue Porte Neuve seine Türen. Seit 1824 gibt es die Gastwirtschaft „Ënnert de Steiler“ in der rue de la Loge, immer am selben Ort. Nach dem Londoner Vertrag von 1867 und der Schleifung der Festung wurden zahlreiche Schankwirtschaften eröffnet. Bei der Jahrhundertwende zählte Luxemburg mit rund 3.570 Lokalen die meisten Schankkonzessionen, das war ein Wirtshaus auf knapp 70 Einwohner. In Esch kam 1902 sogar ein Schanklokal auf 51 Bürger.
Zu Person: Joé Haas
Der 30-jährige Joé Haas ist im Kulturministerium für die heimische Musikszene verantwortlich, wo ihm die Konventionen und die finanzielle Unterstützung der verschiedenen Formationen unterstehen. Er versteht sich dabei als Mittelsmann zwischen dem Ministerium und der professionellen Musikszene. Obwohl er in Berlin und an der Uni Luxemburg Geschichte studiert hat, ist ihm die Musikwelt nicht fremd. Der begeisterte Saxofonist und Jazzliebhaber hat einen Ersten Preis am Konservatorium. Geschichte hat ihn zwar schon sehr früh interessiert, er schlug nach dem klassischen Abitur (mit Lateinstudium) zunächst jedoch einen ganz anderen Berufsweg ein und engagierte sich in der Armee. So wundert es nicht, dass seine Bachelor-Arbeit in Berlin den rund 80 Luxemburgern im Koreakrieg gewidmet war. Eine weitere Herzensangelegenheit, das Schankwesen, war dann der Ansporn für seine Masterarbeit in Luxemburg, die er den
„Alkoholschenken, Arbeiterkneipen und Amüsierlokalen“ gewidmet hat. Bei einem weiteren beruflichen Zwischenstopp im Nationalarchiv beschäftigte er sich mit der Zivilverwaltung im Zweiten Weltkrieg.
Mit der Industrialisierung wurde das Wirtshaus – mit dem Schlaf- und Kostgängerwesen – zur Wohnung, aber auch zur Freizeiteinrichtung und dadurch zur Begegnungs- und Bildungsstätte. Hier verbrachten die Arbeiter ihre „freie Zeit“, machten aber auch ihrem Frust über schlechte Arbeitsbedingungen und geringe Löhne Luft. So wurde die Gastwirtschaft sehr schnell Auskunftsstelle und Jobbörse, ein Ort der politischen und sozialen Kommunikation. Hier wurde, bis zum Zweiten Weltkrieg, häufig die Zeitung gelesen, die sich die wenigsten Familien zu Hause leisten konnten.
Die Wirtshäuser und ganz besonders ihre Festsäle wurden Dreh- und Angelpunkte des gesellschaftlichen Lebens. Es wurde zum Tanz aufgespielt, es wurden Sportveranstaltungen organisiert und auch das politische Leben fand größtenteils dort statt, wobei der Wirt mitunter eine nicht unbeachtliche Rolle spielte.
Politische Hochburgen
„Im Süden des Landes hatten die meisten Wirtschaften eine ‚politische Färbung‘“, schreibt Haas in seiner Arbeit und verweist auf die Escher Wirte Didert, Bernardo und Marabese, bei denen sich die italienischen Sozialisten trafen. Im Café der Familie Goerens-Müller in der hauptstädtischen rue du Conservatoire wurde am 26. Januar 1902 der „Sozial demokratische Verein für Luxemburg und Umgebung“ gegründet. In den Sitzungsberichten von Parteien, Vereinigungen und Gewerkschaftsgruppen ist immer wieder vom „Café um Piquet“ die Rede. Aus dem „Café Jentgen“ auf der place d’Armes berichtet der Dichter Batty Weber, selbst Stammgast, wie sich dort die Spitze der Gesellschaft, Politik und Wissenschaft genau wie Büro beamte trafen. „Im Durst sind alle gleich“, hat er daraufhin festgehalten.
600 bis 700 Menschen wohnten im März 1902 im Hotel Medinger der ersten öffentlichen Versammlung der neu gegründeten sozialistischen Partei bei. Der Vorläufer der heutigen CSV hielt im „Café Ferring“ auf Limpertsberg seine ersten Versammlungen ab. Im Saal der Gastwirtschaft „Hoferlin“ in Esch wurde am 30. August 1916 der erste Berg- und Hüttenarbeiterverein gegründet. Interessant ist auch die Geschichte des „Café-Hôtel Maison Rouge“ in Martelingen, wo die Grenze mit Belgien mitten durch den Gastraum verlief und Zöllnern und Grenzbeamten manches Kopfzerbrechen bereitete.
Haas hat vornehmlich die Zeit von 1854 bis 1933 untersucht, weiß aber auch vom Rückgang des Schankwesens, das in den 1970er Jahren einsetzte, als die Bevölkerung mobiler wurde und die wirtschaftliche Tätigkeit sich verlagerte.
Zentrum des lokalen Lebens
„Es gibt allerdings immer noch die typischen Dorfwirtschaften und sie sind immer noch ein bedeutsames Zentrum des lokalen Lebens“, unterstreicht er. Sie sind vor allem noch im Norden anzutreffen. Im Süden hingegen ist das Schankwesen, genau wie die Bevölkerung, multikulturell geworden. So wundert es nicht, dass das erste italienische Restaurant seine Wurzeln im Café „Toni“ in Schifflingen hat.
„Diese Welt hat meines Erachtens nichts von ihrer speziellen Aura und Atmosphäre verloren, die damals durch Animierkneipen, Arbeiterkneipen und jenen verschwundenen Schanklokalen aus einer anderen Zeit geschaffen wurde. Auch wenn hier und da Stimmen laut werden, die versuchen, den Gastwirtschaften einen negativen Stempel aufzudrücken, so hat zumindest meine persönliche Erfahrung gezeigt, dass die Menschen vor allem aus positiven sozialen Gründen ein Café aufsuchen, hier eine reale und direkte freundschaftliche Interaktion mit anderen Mitmenschen zustande kommt“, schreibt Haas in seinem Schlusswort.
Er weiß aber auch, dass Facebook das klassische Kneipengespräch abgelöst hat, dass man sich heute virtuell ver abredet, statt ins Wirtshaus zu gehen. Wer noch ausgeht, sucht häufig ein anderes Erlebnis, erwartet ein besonderes Flair, eine besondere Küche und eine besondere Stimmung. Erlebnisgastronomie hat die Arbeiter- und Eckkneipen abgelöst. „Trotz der sozialen Medien, langen Arbeitstage und einer stetig steigenden Individualisierung der Freizeitgestaltung wird sich wohl auch in Zukunft immer noch zum Austauschen, Diskutieren und Pläneschmieden auf Terrassen und am Tresen verabredet.“ Daran glaubt Joé Haas nach wie vor ganz fest. Und lebt es auch.
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…wird bald billiger als in der Hauptstadt ´Op e Patt´ und essen gehen. Die ticken nicht mehr richtig, aber die Leute scheint es nicht zu stören ?