Serbien / Opposition streitet sich über Wahlboykott in Belgrad
Geeint hatte Serbiens Opposition mit wochenlangen Protesten gegen massive Manipulationen bei der Belgrader Stadtratswahl die Neuansetzung des verfälschten Urnengangs erzwungen. Doch vor dessen Wiederholung am Sonntag hat sie sich im Streit um einen Wahlboykott selbst geschwächt.
Manipulierte Urnengänge, gekaperte Staatsinstitutionen und ein begrenzter Zugang zu den von der Regierung kontrollierten Medien: Probleme hat Serbiens gegängelte Opposition im zunehmend autoritär regierten Balkanstaat eigentlich genug. Doch ausgerechnet in ihrer Hochburg Belgrad bringen sich die Gegner des allgewaltigen Präsidenten Aleksandar Vucic selbst ins Straucheln: Der eskalierte Oppositionsstreit um einen Boykott der am Sonntag steigenden Neuwahl des Stadtrats scheint seiner regierenden SNS bereits vorab den Weg zu einem erneuten Triumph zu ebnen.
Bei den Parlaments- und Stadtratswahlen im Dezember war das proeuropäische Oppositionsbündnis „Serbien gegen die Gewalt“ noch geeint in den Stimmenstreit gezogen – und hatte mit der Bündelung ihrer Kräfte zumindest im Belgrader Rathaus fast den Machtwechsel erzwungen. Doch mit Hilfe von zehntausenden aus anderen Städten und aus den Nachbarstaaten angekarrten „Phantomwählern“ mit fiktiven Meldeadressen konnte sich die SNS als stärkste Kraft im Stadtrat behaupten – und löste eine wochenlange Protestwelle gegen den offensichtlichen Wahlbetrug aus.
Auch auf Druck der EU-Partner kündigte Belgrad schließlich im März die Wiederholung des manipulierten Urnengangs an – und setzte Anfang April die Neuwahl auf den 2. Juni an. Offizielle Begründung: die fehlenden Mehrheiten im Stadtrat.
Doch an der Frage, wie die wenigen, der SNS abgerungenen Zugeständnisse zur Verbesserung der Wahlbedingungen zu bewerten seien, sollten sich die Oppositionsgeister bald scheiden – und das Bündnis „Serbien gegen die Gewalt“ zerbrechen. Eine Mehrheit der Oppositionsparteien sprach sich für, eine starke Minderheit gegen die Wahlteilnahme aus: Statt geeint gegen die übermächtige SNS zu streiten, beharken sich die oppositionellen Gegner und Befürworter eines Wahlboykotts seit Wochen vor allem gegenseitig.
„Die Opposition verpasst keine Gelegenheit, Gelegenheiten zu verpassen“, klagt das Wochenmagazin Radar. Während den wahlwilligen Oppositionsparteien in ihrem wenig sichtbaren Stimmenstreit die Finanz- und Organisationskraft der die Wahlen boykottierenden SSP sichtlich fehlt, zeigt sich das Publikum nicht nur von den endlosen Oppositionsstreitigkeiten ermattet – und verwirrt.
Fadenscheinige Gründe gegen Wahllisten
Widersprüchlich wirkt, dass die Befürworter eines Boykotts in Belgrad an gleichzeitig steigenden Kommunalwahlen in anderen Städten teilnehmen, obwohl dort die Wahlbedingungen keineswegs besser wirken. Für zusätzliche Wählerverwirrung sorgen zudem die lokalen, von der SNS kontrollierten Wahlkommissionen.
Unter fadenscheinigen Gründen – wie beispielsweise ein angeblich zu hoher Frauenanteil – wurden Oppositionslisten zunächst abgelehnt und erst wieder zugelassen, als auch genervte Wahlbefürworter mit einem Wahlboykott drohten. Zudem wurden von den Wahlkommissionen mehrere Phantomlisten abgesegnet, deren Namen denen der Opposition auffallend ähneln.
„Ganz Serbien macht sich über sie lustig: Die Opposition dreht eine Ehrenrunde“, titelt siegesgewiss das regierungsnahe Boulevardblatt Srpski Telegraf. Tatsächlich dürfte die zunehmende Entmutigung und Orientierungslosigkeit der Oppositionswähler der regierenden SNS zumindest in Belgrad entscheidend in die Karten spielen.
Doch nicht nur der nach wie vor mögliche Machtwechsel in mehreren Stadtbezirken der Hauptstadt, sondern auch der offene Wahlausgang in zwei wichtigen Großstädten lassen Platzhirsch Vucic und seine SNS ebenso heftig wie nervös die Wahlkampftrommeln schlagen. In Nis und Novi Sad scheint das Ende der SNS-Ära keineswegs ausgeschlossen: In beiden Städten tritt die Opposition nach wie vor in weitgehend geeinten Bündnissen an.
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