Corona-Maßnahmen / Oskar Lafontaine: „Polemik ist durch nichts gerechtfertigt“
Oskar Lafontaine (Die Linke) ist ein Kritiker der Corona-Politik. Der Diplom-Physiker blickt auf 50 Jahre Politikkarriere in verschiedenen Funktionen zurück. Gerade erst hat der 78-Jährige nicht nur die saarländische Regierung, die 2G-Regeln durchgesetzt hat, für ihre Politik gescholten.
Faktencheck zu den Aussagen
Das Tageblatt hat den Impfstoff-Experten Prof. Dr. Claude P. Muller mit einigen der Aussagen von Oskar Lafontaine konfrontiert. Der Virologe spricht dabei über Impfskeptiker, klassische Impfstoffe und die neue Omikron-Variante. Hier finden Sie den Artikel: Faktencheck
Tageblatt: Die Gretchenfrage zuerst: Haben wir die „Pandemie der Ungeimpften“?
Oskar Lafontaine: Der Begriff „Pandemie der Ungeimpften“ spaltet die Gesellschaft. Er ist durch die Fakten nicht gerechtfertigt. Mittlerweile weiß jeder, der bereit ist, Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, dass Ungeimpfte und Geimpfte sich gegenseitig anstecken können. Kritische Virologen in Deutschland weisen darauf hin, dass diese Polemik durch nichts gerechtfertigt ist.
Sie kritisieren die 2G-Regel, die im Moment im Saarland gilt. Warum?
Sie ist einfach dumm. 2G heißt, dass Geimpfte und Genesene ungetestet auf Veranstaltungen gehen können und die Beobachtung ist, sie tun das oft ohne weitere Schutzmaßnahmen wie Abstand oder Masken. Das heißt, 2G-Veranstaltungen sind Veranstaltungen zur weiteren Ausbreitung des Virus.
Der Königsweg aus der Pandemie ist die Impfung. Das wird mit wissenschaftlichen Aussagen belegt. Sie wünschen sich eine andere Art der Diskussion. Wie soll die aussehen?
EU-weit sind nur Impfstoffe zugelassen, die auf einer neuen genbasierten Technik beruhen. Ob es Langzeitfolgen gibt, weiß man nicht. Davon abgesehen wurde die Impfung lange Zeit überschätzt. Im Februar dieses Jahres sagte Biontech-Chef Ugur Sahin: „Die Zahl der Menschen, die potenziell ansteckend sind, geht nach der Impfung um 92 Prozent zurück.“ Die Impfung schützt, wie wir heute wissen, nicht vor Ansteckung, sondern vor einem schweren Verlauf und daran, an der Krankheit zu sterben. Es wäre von Anfang an wichtig gewesen, Medikamente zu entwickeln, die gegen das Virus wirken. Hätten wir solche Wirkstoffe, dann hätten wir jetzt eine andere Situation.
Medikamente gegen Corona sind laut Europäischer Arzneimittelbehörde (EMA) auf dem Weg der Zulassung. Ist das der Game-Changer?
Wenn sie wirken wie ein gutes Antibiotikum bei bakteriellen Infektionen, sind sie in der Tat ein Game-Changer. Dann wären wir in einer wirklich neuen Lage, weil die Ausbreitung des Virus deutlich verringert werden könnte.
Klassische Impfungen sind ebenfalls auf dem Weg der Zulassung …
Es gibt ja bereits einen klassischen Impfstoff aus China, der schon milliardenfach verimpft und erprobt wurde. Ich verstehe nicht, warum die europäische Behörde ihn bislang nicht zugelassen hat. Es entspräche dem Selbstbestimmungsrecht, wenn man es den Bürgern ermöglichen würde, zwischen verschiedenen Impfstoff-Arten auszuwählen.
Sie kritisieren im Zusammenhang mit der aktuellen Corona-Politik die Informationspolitik der BRD-Regierung. Was läuft schief?
Mein Hauptvorwurf ist, dass während der Pandemie Intensivbetten abgebaut wurden, weil es immer weniger Pflegepersonal gibt. Das ist ein Skandal. Bezahlung und Arbeitsbedingungen sind in der BRD seit Jahren schlecht. In Luxemburg werden Pflegekräfte viel besser bezahlt.
Sie kritisieren im Zusammenhang mit der Pandemie das Argument mit Solidarität. Warum?
Solidarität ist allumfassend. Es ist nicht zulässig, vom Solidaritätsbegriff ausgehend die Ungeimpften auszugrenzen und zu stigmatisieren. Diesen Vorwurf müssen sich die Regierenden und die Medien in Deutschland gefallen lassen. Damit wird vom Versagen der Politiker bei der Bereitstellung von Pflegekräften und Intensivbetten abgelenkt und die Schuld unverschämterweise den immer weniger werdenden Ungeimpften zugeschoben.
Sie kritisieren auch, dass der Minderheitenschutz offensichtlich nicht mehr gilt …
Eine Politik kann sich nur demokratisch nennen, wenn sie auch Minderheiten schützt. Es geht um das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das im Grundgesetz verankert ist. Jeder sollte selbst entscheiden können, in welcher Form er sich gegen Covid-19 schützt. Viele Ungeimpfte weisen darauf hin, dass sie in vorbildlicher Form Abstandsregeln einhalten, ihre Kontakte einschränken und im Übrigen auf klassische Impfstoffe warten. Dass der Staat das nicht respektiert und die Ungeimpften unter Druck setzt, ist totalitäres Verhalten.
Sie sagen, wenn Sie 30 wären, würden Sie sich nicht impfen lassen. Warum?
Die Statistiken zeigen, dass die schweren Krankheitsverläufe in der Regel ab 50 aufwärts stattfinden. Bei jungen Menschen gibt es sie auch, aber dann liegen oft Vorerkrankungen vor. Zu Recht weist das Robert-Koch-Institut darauf hin, dass die Spätfolgen der jetzigen Impfungen nicht bekannt sind. In der Abwägung zwischen möglichen Spätfolgen und Nebenwirkungen einer Impfung und den Risiken einer Infektion kommen viele Jüngere zu dem Ergebnis, dass das Risiko einer Infektion das geringere ist.
Ihre Aussagen sind sehr umstritten. Sie gelten manchen sogar als „Verschwörungstheoretiker“ …
Der Vorwurf, man sei „Verschwörungstheoretiker“ kommt oft von Dumpfbacken, die ihre Meinung für allein seligmachend halten. Ich befürworte differenzierte Haltungen und Diskussionen und informiere mich täglich über neueste Entwicklungen. Angesichts der Fehlurteile in der Politik – ich denke an den Wortbruch bei der gesetzlichen Impfpflicht und an das Versprechen, wenn alle ein Impfangebot hätten, sei die Pandemie überstanden – wäre es angebracht, zumindest einzuräumen, dass es unterschiedliche Meinungen geben kann. Die Heilsversprechen der Pharmaindustrie haben nicht gehalten und wir müssen zu einer sachlichen Debatte zurückkehren.
In Luxemburg kommt 3G am Arbeitsplatz und wird kontrolliert. Ihre Einschätzung?
Wenn man wirklich konsequent ist, gibt es nur eine Lösung: Alle, ob geimpft, nicht geimpft, oder genesen, müssen sich testen lassen.
Am 4. Dezember ist eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in der Hauptstadt aus dem Ruder gelaufen. Ist die Spaltung der Gesellschaft längst keine Prophezeiung mehr?
Die Spaltung ist seit Jahrzehnten zu beobachten. Sie verläuft zwischen Arm und Reich – auch während der Pandemie. In Wohnvierteln mit sozial schlechteren Bedingungen infizieren sich die Menschen öfter als in den Wohnvierteln der Wohlhabenden. Sie sind auch von den Maßnahmen stärker betroffen.
Kommt die Impfpflicht? Für das Pflegepersonal ist sie in Deutschland auf dem Weg …
Es wäre sinnvoller gewesen, auch in diesem Fall eine Testpflicht statt einer Impfpflicht einzuführen, weil auch Geimpfte Alte und Kranke anstecken können. Es besteht die Gefahr, dass sich viele Pflegekräfte gegen ihren Beruf entscheiden, weil sie Angst vor der genbasierten Impfung haben.
Es ist ja die Abwägung Freiheit gegen Sicherheit …
Das ist in Demokratien immer ein Spannungsverhältnis. Wenn die Angst die Debatte beherrscht, dann ist die Neigung groß, Maßnahmen zu treffen, die Freiheit und Selbstbestimmung außer Acht lassen. Es ist die Angst vor Krankheit und Tod einerseits und andererseits die Angst vor einem Impfstoff, dessen Spätfolgen man nicht kennt. Die Impfpflicht wird, wie es jetzt aussieht, in Deutschland wohl kommen. Damit maßt sich der Staat Rechte an, die im Widerspruch zur Verfassung stehen. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben, ohne die Grundrechte der Menschen in unverhältnismäßiger Weise einzuschränken. Nicht ohne Grund sagte Benjamin Franklin einst: „Diejenigen, die ihre grundlegende Freiheit aufgeben würden, um ein wenig vorübergehende Sicherheit zu erkaufen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.“
Diejenigen, die ihre grundlegende Freiheit aufgeben würden, um ein wenig vorübergehende Sicherheit zu erkaufen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheitamerikanischer Politiker und Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung
Oskar Lafontaine
Geb. 1943; von 1985 bis zum 9. November 1998 war er Ministerpräsident des Saarlandes, von 1995 bis 1999 SPD-Vorsitzender, von September 1998 bis März 1999 BRD-Finanzminister; 2005 wechselte er zur neu gegründeten Partei „Die Linke“ und war bis 2009 mit Gregor Gysi Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Deutschen Bundestag; bei der Landtagswahl im Saarland 2009 errang „Die Linke“ mehr als 20 der Stimmen; seitdem ist er Fraktionsvorsitzender der Partei im Saarländischen Landtag. Er hat im Oktober 2021 angekündigt, zur nächsten Wahl 2022 nicht mehr als Spitzenkandidat der Partei anzutreten.
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