Forum / Palästina: Anerkennung, ja oder nein?
Eine Antwort auf die Frage, warum ein definitiver Frieden zwischen Israelis und Palästinensern bisher ausblieb, ist komplex. Als Ursache wird oft die nach dem früheren britischen Außenminister Arthur Balfour genannte Deklaration vom 2. November 1917 zitiert, die in Palästina die Schaffung einer eigenen Heimat für die jüdische Bevölkerung vorsah. Die bestehenden zivilen und religiösen Rechte der nicht-jüdischen Population sollten respektiert werden. In den Augen der meisten Zionisten ebnete dieses Dokument den Weg zu dem 1948 gegründeten modernen Staat Israel. Viele Araber sahen ihrerseits in der Deklaration einen gewaltigen Rückschritt und den Beginn ihrer Misere.
Seit dem vergangenen 7. Oktober wütet erneut ein grausamer Krieg im Nahen Osten. Eine zum Teil bestialische Terrorattacke der Hamas entzündete eine weitere Mine in dieser seit Jahrzehnten von Kriegen und Anschlägen heimgesuchten Region. Israel machte gemäß Artikel 51 der UN-Charta Gebrauch von seinem Selbstverteidigungsrecht und übersät seit dem Ausbruch dieses neuen Konfliktes den 360 Quadratkilometer zählenden Gazastreifen mit Bomben. Im Visier stand seit Anfang Mai die Stadt Rafah, vermuten die Israelis ja dort eine letzte Bastion der Hamas, die mit aller Härte ausgerottet werden soll. Sowohl die Forderung des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag nach einer sofortigen Einstellung der Militäroffensive in Rafah als auch der Antrag von Karim Khan, Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes, auf einen Haftbefehl gegen Netanjahu haben keinen Einfluss auf das mörderische Vorgehen Israels. Leider bleibt das Ignorieren internationaler Regeln ohne Konsequenz. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der israelischen Verteidigung gewinnt dementsprechend zusehends an Bedeutung.
Am 15. November 1988 hatte Jassir Arafat, Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), die Gründung des Staates Palästina ausgerufen. Es folgte eine Fülle von Anerkennungen des neuen Staates durch zahlreiche Länder, unter ihnen China, Indien, die Türkei, die Sowjetunion sowie ein Großteil des afrikanischen Kontinents. Bedingt durch die rezente Entwicklung im Nahen Osten hat die Frage um eine Anerkennung erneut an Bedeutung gewonnen. Auch die EU-Mitgliedstaaten Schweden (seit 2014), Spanien und Irland haben diesen Schritt vollzogen. Und Luxemburg? Diese Diskussion hat in den letzten Wochen ebenfalls in unserem Land Fahrt aufgenommen.
Diskussionen in der Chamber
Nach der Debatte um eine diesbezügliche, von der LSAP am 14. Mai in der Abgeordnetenkammer vorgelegten Motion, mussten die politischen Parteien hierzulande Farbe bekennen. Der Antrag wurde mit 40 Nein- und 17 Ja-Stimmen abgelehnt. Drei Abgeordnete enthielten sich. Es darf an dieser Stelle aber nicht unerwähnt bleiben, dass in derselben Sitzung eine Resolution über den Konflikt im Nahen Osten einstimmig verabschiedet wurde. In einer Motion vom 14. Dezember 2014 hatte die Luxemburger Abgeordnetenkammer bereits die damalige Regierung aufgefordert, einen Staat Palästina anzuerkennen, allerdings mit dem wichtigen Zusatz „au moment qui sera jugé le plus opportun“. Eine am 26. Juni stattgefundene Diskussion anlässlich einer Petition zu demselben Thema, die größtenteils sachlich geführt wurde, ließ keine neuen Momente in der Luxemburger Position erkennen. Und zu Recht! Wer ist der aktuelle palästinensische Ansprechpartner? Die 1987 nach Beginn der ersten Intifada als Zweig der Muslimbruderschaft in Gaza-Stadt gegründete Hamas, die auf ihrer Verfassung von 1964 ruhende Fatah oder die 1994 als Teil des Gaza-Jericho-Abkommens zwischen der PLO und Israel eingerichteten Palästinensischen Autonomiebehörde? Die zurzeit fehlende politische Führung in Palästina – im Januar 2005 wurde zum letzten Mal ein Präsident direkt gewählt, seit Januar 2006 fanden keine Parlamentswahlen mehr statt – stellt einen der Hauptgründe dar, warum Luxemburg bisher zögert, Palästina als autonomen Staat anzuerkennen. Und welches Territorium stelle ein Staat Palästina dar? Dient die am 22. November 1967 vom UNO-Sicherheitsrat gestimmte Resolution Nr. 262 als Basis, um die Grenzen Palästinas abzustecken? Nur die Befürwortung einer Zweistaatenlösung kann als Schlüssel zur Lösung des ewig dauernden Konflikts angesehen werden. Bisher sind leider alle Versuche in diese Richtung gescheitert. Luxemburg ist ein klarer Befürworter einer Zweistaatenlösung und fordert einen sofortigen Waffenstillstand sowie die Freilassung aller Geiseln. Eine derzeitige Anerkennung Palästinas könnte ebenfalls als Belohnung für die Hamas bewertet werden. Terror darf sich aber nicht lohnen.
Spätestens der Angriff am 6. Juli auf eine Schule in Nuseirat mit etwa 16 Toten erhöhte den Druck auf Israel. Der Weg des Judenstaates in die Isolierung scheint jedenfalls vorgezeichnet zu sein. Sollte Israel ungeniert seine Tötungsmaschine im Gazastreifen weiter einsetzen – und ein Ende ist nicht abzusehen –, muss allerdings ernsthaft über ein Ultimatum und eventuell Sanktionen gegenüber diesem Land nachgedacht werden. Großer Verlierer ist die unter einer Hungersnot leidende Zivilbevölkerung. Inakzeptabel ist auch die auf Betreiben des extremen Ministers Bezalel Smotrich ungebremst geförderte israelische Kolonisation des Westjordanlandes. Auch sollen drei „wilde“ Kolonien legalisiert werden. Diese Vorgehensweise belastet zweifellos die angestrebte Zweistaatenlösung. Eine härtere Gangart ist ebenfalls gegenüber dem Iran angesagt, auch wenn dem neuen Präsidenten Massud Peseschkian eine Galgenfrist eingeräumt werden muss.
Bedauernswert ist das Manko an effizienter EU-Zusammenarbeit im Nahostkonflikt. Die neue EU-Kommission muss ihrer Außenpolitik einen höheren Stellenwert geben. Das sakrosankte Einstimmigkeitsprinzip in außenpolitischen Fragen sollte endgültig der Vergangenheit angehören. Auf Kaja Kallas wartet eine schwierige, aber nicht unlösbare Aufgabe: Die noch amtierende estnische Premierministerin ist gefordert, der EU-Außenpolitik endlich ein Gesicht mit Charakterzügen zu verleihen. Der israelische-palästinensische Konflikt bietet ihr eine ideale Plattform. Lichtblicke gibt es zumindest in der geplanten Neubelebung des Projektes Eubam, das die EU 2005 als Unterstützung des Grenzschutzes in Rafah zwischen Ägyptern und Palästinensern gestartet hatte, 2007 aber wieder auf Eis gelegt wurde.
Ein friedliches Zusammenleben im Nahen Osten vor der US-Wahl am kommenden 5. November ist quasi ausgeschlossen, umso mehr auch noch ein Krieg zwischen Israel und der 1982 geschaffenen Hisbollah in der Luft hängt. Vor allem die USA müssen eine Allianz von Ländern wie Katar, Ägypten, Saudi-Arabien und der EU anführen, um die notwendigen Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. In der Zwischenzeit könnte ein steigender Druck auf die Regierung Netanjahu für eine gewisse Abkühlung des Konfliktes sorgen. Des Weiteren sind rezente Angebote der Hamas als positive Zeichen zu deuten, die allerdings nicht überbewertet werden sollen.
- Sandy Artuso macht mit „Queer Little Lies“ Esch zum queeren Kultur-Hotspot - 26. November 2024.
- Gewerkschaften und Grüne kritisieren „Angriffe der Regierung“ auf Luxemburgs Sozialmodell - 26. November 2024.
- Sozialwohnungen statt Leerstand: Was die „Gestion locative sociale“ Eigentümern bieten kann - 26. November 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos