Interview / Pandemie-Experte Skupin: „Die Inzidenzen bei den Kindern sind mit die höchsten“
Die Omikron-Welle schwappt mit aller Heftigkeit über Luxemburg. Vor allem in den jüngeren Altersgruppen sind die Inzidenzen hoch. Die Grundschulen und die meisten Lyzeumsklassen im Land sind dennoch im Präsenzbetrieb. Was bedeutet das für die Schüler? Ein Interview mit dem Luxemburger Pandemie-Experten Alexander Skupin.
Tageblatt: Welche Altersgruppen bestimmen derzeit das Pandemiegeschehen?
Alexander Skupin: Wenn man sich die Altersverteilung anschaut, sieht man, dass viele junge Menschen unter den Positiven sind. Sprich: Schüler und dann vielleicht noch die nach Leben sehnsüchtigen Teenager. Für diese Altersgruppe scheint es sich zu bewahrheiten, dass man zumindest statistisch nicht mit großartigen Komplikationen zu rechnen hat.
Es gibt aber auch in jüngeren Altersklassen Einzelne, die auch mit Omikron einen schweren Verlauf haben. Aber insgesamt verdichten sich doch die Aussagen, dass Omikron wesentlich milder verläuft.
Zur Person
Alexander Skupin ist Biophysiker an der Universität Luxemburg und Mitglied der Covid-19-Taskforce von Research Luxembourg, die die Luxemburger Regierung während der Pandemie berät. In der Taskforce ist er vor allem für die Pandemie-Projektionen zuständig.
Nehmen wir die Durchseuchung unserer Kinder in Kauf?
Das ist nicht nur bei den Kindern so, das ist allgemein so. Wenn wir wirklich versuchen würden, die Infektionszahlen niedrig zu halten, dann müssten wir bei der höheren Übertragungsrate der Omikron-Variante starke Einschränkungen im öffentlichen Leben einführen. Ich sehe das so, dass man versucht, eine absolute Explosion zu verhindern – aber ohne drastische Einschränkungen.
Kinder können auch Ältere anstecken.
Auch da sind es momentan eher Einzelfälle. Aber es sind sehr kleine Stichproben, die wir haben. Am Montag haben wir acht Covid-Intensivfälle. Die Dynamik kann nicht sonderlich stark sein. Wenn wir den Effekt der Impfung und der Fallzahlen anschauen, sehen wir, dass die Inzidenzen bei den Älteren relativ niedrig sind. Das kann auch bedeuten, dass diese sich zum Glück an Maßnahmen halten und vorsichtiger agieren, weil sie zur Risikogruppe gehören.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, sich in der Klasse anzustecken, wenn ein Schüler infiziert ist?
Eine Infektion kommt sehr auf das Setting an – wie groß ist der Raum, wie groß sind die Interaktionen zwischen den Kindern. Für Omikron haben wir das nicht durchexerziert, weil wir die Daten nicht hatten. Letztendlich kann man das ja am R-Wert ablesen. Wenn eine Person im Mittel 1,5 andere Personen ansteckt, dann kommt es darauf an, wie viele sie sieht. Wenn man die sozialen Interaktionen durchschnittlich bei 20 sieht, heißt das, dass die Wahrscheinlichkeit ungefähr zwischen fünf und 10 Prozent ist. Aber das ist anders, wenn es mein Banknachbar ist, als bei jemandem, mit dem ich nichts zu tun habe. Ohne Masken und ohne Distanzierung kann ein Omikron-Träger sicherlich 100 Prozent der Klasse anstecken. Mit Masken und Hygienemaßnahmen wird das wesentlich schwieriger. Es gibt durchaus auch Settings, bei denen sich niemand ansteckt. Und es hängt auch davon ab, wann eine Infektion erkannt wird.
Wie sehen die Inzidenzen in den Schulen aus? Sind Maßnahmen wie die Stufenpläne nicht anachronistisch?
Die Inzidenzen bei den Kindern sind hoch, mit die höchsten. Sie sind gerade die Pandemietreiber und dieser Mischform zwischen den verschiedenen Stufenplänen ist eben auch ein bisschen geschuldet, dass man momentan die Lage nicht wirklich gut einzuschätzen weiß. Wir gehen davon aus, dass wir in dieser oder der kommenden Woche den Peak erreicht haben und dann hoffentlich einen weiteren Abfall der Omikron-Welle sehen – vorausgesetzt, dass sich nichts maßgeblich am sozialen Verhalten ändert. Damit ist jetzt ein bisschen die Frage: What next? Wie stellt man sich weiter auf die Pandemie ein?
Wieso nehmen nicht alle die Masken ab, damit wir schneller durchseucht sind?
Einerseits sollte man Long Covid weiter im Hinterkopf behalten. Deshalb denke ich, es ist eine gute Idee, wenn man nicht zu einer aktiven Durchseuchung greift, sondern versucht, die Fälle gering zu halten oder zu vermeiden. Zudem würde eine Abkehr von allen Maßnahmen bedeuten, dass wir dann nicht eine Abnahme der Fallzahlen sehen würden, sondern einen Anstieg. Wir sehen derzeit einen Rückgang bei den belegten Intensivbetten, aber einen Anstieg bei den Betten auf der Normalstation. Normalerweise würden wir bei 80 bis 90 Betten insgesamt einen Peak haben. Wenn wir jetzt aber „durchfeuern“, kann es sein, dass wir bei 200 landen. Das ist eine bisschen eine Frage der Relation und des Kompromisses.
Ab wann sind die Schüler denn mit der jetzigen Strategie durchseucht?
Je nachdem, wie lange die Immunität anhält, gehen wir davon aus, dass wir vermutlich im Laufe des März oder April durch sein müssten mit der Welle. Dann sind alle Schüler infiziert gewesen beziehungsweise diejenigen geimpft, die geimpft werden konnten und dadurch ihre Immunität haben.
Riskieren die Lehrer nicht ihr Leben?
In dieser Hinsicht spielen wir eigentlich alle mit dem Leben. Bei den Lehrern ist die Aussetzung sicherlich groß. Bei solchen Gruppen ist es essenziell wichtig, sich über Booster so viel Immunität zu holen, wie nur geht. Besonders gefährdete, ältere Jahrgänge und Risikogruppen sollten sich herausziehen lassen.
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