Balkan / Pandoras Labyrinth: Die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien schwelen weiter
Der westliche Balkan ist zum Spielball globaler Mächte geworden. Während autoritäre Staaten wie Russland, China und die Türkei ihren Einfluss in der Region vergrößert haben, ist die Perspektive einer nahen Mitgliedschaft in der Europäischen Union geschwunden.
Die Schüsse wird er nicht vergessen. Josip Glaurdic war zwölf Jahre alt, als die jugoslawische Kriegsmarine am 15. November 1991 im Morgengrauen von einer Fregatte aus Granaten auf die Altstadt und den Flughafen von Split abfeuerte. Der Kroatien-Krieg*, der schon Monate zuvor am 31. März 1991 an den weiter nördlich gelegenen Plitvicer Seen ausgebrochen war, erreichte die dalmatinische Hafenstadt, in der Glaurdic aufwuchs.
Der Kroate, der heute als Politologe an der Universität Luxemburg lehrt, kann sich nicht nur an den Angriff, bei dem sechs Menschen starben, erinnern. „Auch an die vielen Flüchtenden, die aus den unterschiedlichen Landesteilen in die Stadt gekommen waren. Meine Großeltern waren selbst geflüchtet. Sie kamen aus einem Dorf, das an der Front lag, sodass sie fliehen mussten. Und ich hatte Familienangehörige, die im Krieg kämpften.“
Glaurdics Großvater starb wenige Monate nach der Flucht. Andere Mitglieder der Familie lebten in Vukovar. Die Stadt im nordkroatischen Slawonien war schwer umkämpft. „Meine Verwandten konnten entkommen, bevor Vukovar belagert wurde“, erzählt er. „Bis auf eine Cousine: Sie wurde von einer Kugel in den Kopf getroffen, überlebte jedoch.“ Der Krieg habe den Alltag seiner Familie bestimmt, sagt Glaurdic. „Auch als der Krieg in Bosnien ausbrach und noch mehr Flüchtende in Split eintrafen. Nicht zu vergessen, dass viele Menschen aus meiner Heimat sich an den Kämpfen beteiligten. Wie mein Cousin und mein Onkel, die an der Front waren. Meine Tante lebte in ständiger Angst um sie. Zum Glück haben beide Männer überlebt.“
Wenn mir jemand 1989 gesagt hätte, was zwei Jahre später geschehen würde, wäre ich geschockt gewesen. Niemand konnte wissen, dass alles in diesem Maße in kriegerischer Gewalt enden würde.Politologe
Hatte jemand die Jugoslawien-Kriege voraussehen können und erwartet, dass der Vielvölkerstaat, der unter Staatspräsident Josip Broz Tito während des Kalten Krieges einen Sonderweg eingeschlagen hatte und mit der Gründung des Bündnisses der blockfreien Staaten 1961 ein Gegengewicht zu den Großmächten bildete, auseinanderbrechen würde? „Wenn mir jemand 1989 gesagt hätte, was zwei Jahre später geschehen würde, wäre ich geschockt gewesen. Niemand konnte wissen, dass alles in diesem Maße in kriegerischer Gewalt enden würde“, betont Glaurdic. Dem Krieg sei „ein langsamer, aber stetiger Prozess“ vorausgegangen, der nach dem Tod von Tito im Jahr 1980 eingesetzt hatte.
Das nationalistische Feuer war im Laufe der 80er Jahre zunehmend angefacht worden, in Kroatien wie in Serbien, und die Hetze gegen die jugoslawischen Landsleute mit propagandistischen Mitteln angeheizt worden. Jeder Schritt in diese Richtung erscheint ihm im Nachhinein logisch, erklärt Glaurdic. „Als Student und als Politikwissenschaftler wurde mir bewusst, dass nichts unvermeidlich war“, sagt der heute 44-Jährige. „Die Entscheidungsträger hatten es in der Hand, den Krieg zu verhindern. Der Grund, weshalb sie sich für ihn entschieden, war ihre Machtgier. Der Krieg war ihnen nützlich.“ Glaurdic weiß: „Die Machthaber in Belgrad besaßen die Kontrolle über die Armee und verfügten über die Waffen. Und sie entschieden sich für die Gewalt. In ihrem Umfeld gab es Leute, die fest daran glaubten, dass im Falle eines Zerfalls des Vielvölkerstaates die Serben alle in einem kleineren Staat zusammenleben sollten.“ Die beiden Republiken Kroatien und Slowenien erklärten im Juni 1991 ihre Unabhängigkeit. Glaurdic weist auf die Massenproteste in Belgrad am 9. März 1991 hin, die von der Opposition unter deren Anführer Vuk Draskovic organisiert worden waren. Der damalige Präsident der Serbischen Republik, Slobodan Milosevic, schickte die Armee auf die Straße, um die Proteste niederzuschlagen. Die Spirale der Eskalation drehte sich immer schneller.
Josip Glaurdic hat mit „The Hour of Europe: Western Powers and the Breakup of Yugoslavia“ ein Buch darüber geschrieben, wie der Zerfall Jugoslawiens im Westen wahrgenommen wurde und wie westliche Entscheidungsträger reagierten. Der Titel geht auf die Worte des damaligen Präsidenten des Rates der Europäischen Gemeinschaft, des luxemburgischen Außenministers Jacques Poos, vom Frühsommer 1991 zurück, der die Krisenbewältigung in Jugoslawien zur „Stunde Europas“ erklärte. Glaurdic geht den Gründen für das Scheitern dieses Anspruchs nach. Er wertete dafür zahlreiche Dokumente etwa des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, aber auch Telefongespräche von Milosevic und seinen Gefolgsleuten aus und führte unzählige Interviews mit ehemaligen Akteuren. Und er rekonstruiert dabei die Wechselwirkungen zwischen der innerjugoslawischen und internationalen Ebene.
Trotz der Warnungen unter anderem des US-Auslandsgeheimdienstes CIA und von Politikern wie Poos vor einem ökonomischen Kollaps Jugoslawiens und den möglichen Folgen verhielten sich die USA wie auch die westeuropäischen Staaten lange Zeit passiv und schätzten die Lage falsch ein: So betrachteten das Weiße Haus und das US-Außenministerium Milosevic als Reformer und bezeichneten ihn gar als jugoslawischen Gorbatschow. Obwohl Glaurdic darauf pocht, dass „die Gründe für den Zusammenbruch Jugoslawiens und die Gewalt hausgemacht waren“, obwohl viele Menschen an den Einheitsstaat glaubten und ihn für eine gute Idee hielten – solange er funktionierte, betont er, dass der Westen Mitverantwortung am Zerfall Jugoslawiens hatte. Allerdings weist der Politologe die These zurück, dass die von Deutschland vorangetriebene Anerkennung Sloweniens und Kroatiens ihn ausgelöst habe. Vielmehr waren es die unterschiedliche Wahrnehmung und Bewertung des Zerfallsprozesses, die ihn beschleunigten. Weitreichende Konsequenzen dürften auch eine Reihe von Fehlern, Irrtümern und die Uneinigkeit der westlichen Länder gegen Ende und nach dem Ende der Balkan-Kriege mit sich gebracht haben. Um die Jahrtausendwende hatten die NATO-Bombardements auf Serbien von März bis Juni 1999 das Land in die russischen Arme getrieben.
Der Zerfall von Titos Reich hatte 1981, also ein Jahr nach seinem Tod, seinen Anfang genommen. 1990 ging die CIA davon aus, dass der Krieg, der Jugoslawien zerstören sollte, in Kosovo beginnen würde. Als etwa die Befreiungsarmee der Kosovo-Albaner (UÇK) damit anfing, Anschläge auf Serben und Sicherheitskräfte zu verüben, reagierten Polizei und Armee mit brutaler Repression. Sie begingen massive Menschenrechtsverletzungen. Als die jugoslawische Regierung ein Ultimatum der NATO abgelehnt hatte, begann die NATO – ohne Zustimmung der Vereinten Nationen – im März 1999 mit Luftangriffen. Die jugoslawische Armee zog sich aus Kosovo zurück. Für Russland und China war die NATO-Intervention ein Völkerrechtsbruch. Für beide Mächte bedeutete es auch eine Zeitenwende.
Der Luxemburger Politologe und Zeithistoriker Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Universität Graz, beschreibt in seinem im vergangenen Jahr erschienenen Buch „Pulverfass Balkan“, wie die beiden autoritären Staaten seither im ehemaligen Jugoslawien zunehmend Einfluss gewonnen haben. Bieber schildert, wie Russland Serbiens zumindest vermeintliche Schutzmacht wurde und China mit einer „Charmeoffensive“ wirtschaftlich an Einfluss in der Region gewann, mit türkischen Investitionen das „osmanische Erbe“ instandgesetzt werden soll und wohin Geld aus den Vereinigten Arabischen Emiraten fließt. Dem hätten die Europäer lange nur wenig entgegengesetzt.
Von der Stunde Europas …
Das sah einmal anders aus: „Ein Gruppenbild am Meer zeigt den Höhepunkt europäischer Hoffnungen und Träume“, schreibt Bieber über den EU-Gipfel 2003 im nordgriechischen Porto Carras, knapp zwei Autostunden von Thessaloniki entfernt. Damals trafen sich alle Staats- beziehungsweise Regierungschefs der EU sowie der avisierten Mitglieder und des Balkans. Die EU hatte noch 15 Mitglieder, knapp ein Jahr später waren es zehn mehr, 2007 kamen Bulgarien und Rumänien hinzu, 2013 Kroatien. Die Pläne sahen vor, dass weitere folgen sollten. Der Kernsatz des Gipfeltreffens lautete: „Die Zukunft der Balkanstaaten liegt in der Europäischen Union.“ Vom Versprechen des Gipfels 2003 ist nicht viel übriggeblieben. Die EU habe in den Westbalkanstaaten, so Florian Biebers, „nicht mehr den Ruf, für die eigene demokratische Zukunft der Länder zu stehen. Zu oft haben EU-Politiker Autokraten auf dem Balkan hofiert, keine kritischen Worte gefunden, als diese angebracht gewesen wären, und eigene Interessen bei Migration und Terrorismus über die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gestellt.“
Betritt man Indira Mehics Haus in Luxemburg, fallen einem die zahlreichen Gemälde an den Wänden auf. Die Künstlerin verarbeitet das Erlebte und den Krieg in ihren Bildern. So auch das Massaker von Srebrenica. Gerichte der Vereinten Nationen haben es als Genozid klassifiziert. Über mehrere Tage, vom 11. bis zum 19. Juli 1995, wurden dort mehr als 8.000 Menschen ermordet, fast ausschließlich bosnische Jungen und Männer, aber auch ein Mädchen im Säuglingsalter. Die Täter der Armee der Republik Srpska, der Polizei und des serbischen Paramilitärs unter Führung von Ratko Mladic verscharrten die Leichen in Massengräbern. Das Massaker gut zweieinhalb Stunden nordöstlich von Sarajevo gilt als das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die bosnische Hauptstadt selbst wurde fast vier Jahre lang von der Armee der bosnischen Serben, Überresten der jugoslawischen Armee sowie Paramilitärs belagert. In diesen 1.425 Tagen wurden etwa 11.000 Menschen getötet, darunter 1.600 Kinder. Begonnen hatte die Belagerung mit der Einnahme des internationalen Flughafens durch die jugoslawische Armee in der Nacht zum 5. April 1992, offiziell spätestens, als die bosnischen Serben am 2. Mai die Blockade verhängten und die Ausfallstraßen sperrten, um die Versorgung der Stadt zu stoppen. „Wir wohnten in einem Viertel in der Nähe des Flughafens. Dort war es besonders gefährlich“, erzählt Indira Mehic. Während sie spricht, muss sie mehrmals innehalten. „Wir leben in der Gegenwart und denken an die Zukunft, aber vergessen können wir nicht. Jedes Mal, wenn wir uns erinnern, öffnet sich die Büchse der Pandora.“
Wir leben in der Gegenwart und denken an die Zukunft, aber vergessen können wir nicht. Jedes Mal, wenn wir uns erinnern, öffnet sich die Büchse der Pandora.Künstlerin
Sie selbst stammt aus Podgorica, der Hauptstadt Montenegros, lebte aber wie ihre Schwestern schon seit mehreren Jahren in Sarajevo, wo sie auch ihren Mann kennengelernt hatte. Gerne denkt sie an die freudigen Tage, als noch Frieden herrschte und als das multikulturelle Leben in der bosnischen Metropole erblühte, an das bunte Treiben in der zur Hälfte von Muslimen bewohnten Stadt. Einen Höhepunkt stellten die Olympischen Winterspiele 1984 dar, bei denen auch Indira mitarbeitete. Das Zusammenleben von muslimischen Bosniaken, katholischen Kroaten und orthodoxen Serben in Bosnien-Herzegowina erschien vorbildlich. „Wir feierten die religiösen Feste, ohne besonders religiös zu sein“, sagt Indiras Freundin Selma Cimic. Nichts lag weiter entfernt, als an einen Krieg zu denken.
Mit den Bombardements verschlechterte sich die Lage in Sarajevo weiter. „Wir waren eingekesselt. Eine Evakuierung war fast unmöglich“, schildert Indira die Situation. Mit einer internationalen Luftbrücke wurde die Versorgung der Bevölkerung aufrechterhalten. Doch die Stadt stand fast dauernd unter Granatbeschuss, was ständige Lebensgefahr bedeutete. Heckenschützen schossen wahllos auf Menschen und Fahrzeuge. „Jeder wollte aus Sarajevo raus“, erinnert sich Indira, „es herrschte ein völliges Chaos.“ Schließlich gelang es ihr, zusammen mit ihren Schwestern zu entkommen. Ein Flug sollte sie nach Montenegro bringen. „Als wir bei dem Flugzeug ankamen, schloss sich die Tür vor mir“, erzählt sie. „Ich stand wie unter Schock. Plötzlich sah ich den Piloten. Er schaute mich an und ließ mich noch rein.“ Der Aufenthalt in Podgorica sollte nicht von langer Dauer sein. Montenegro bildete mit Serbien ein Staatenbündnis, was die Situation der Geflüchteten erschwerte.
„Das Virus des Nationalismus hatte alle erfasst. Und uns ein Gefühl der Machtlosigkeit ergriffen“, sagt Indira. Während ihr Mann noch eine Zeit lang in Sarajevo blieb, kam sie zusammen mit zwei ihrer Schwestern 1993 nach Luxemburg. Bereits in den 1970er Jahren hatte es aufgrund des Arbeitskräftemangels hierzulande ein bilaterales Abkommen zwischen Luxemburg und Jugoslawien gegeben, nach dem jugoslawische Arbeiter ins Großherzogtum kamen. Die Balkankriege lösten eine zweite große Einwanderungswelle aus dem Land aus. Tausende Geflüchtete aus den früheren Republiken des zerfallenden Vielvölkerstaates wurden aufgenommen. Von 1992 bis 1994 kamen 2.500 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina an, 1998 und 1999 folgten 4.000 unter anderem aus dem Kosovo und Montenegro. Im Jahr 2001 lebten in Luxemburg insgesamt 11.000 Menschen aus Ex-Jugoslawien.
Wenn man heute von Stabilität im ehemaligen Jugoslawien spreche, sagt Josip Glaurdic, dann sei dies – vor allem in Montenegro, Kosovo und Bosnien – eine „prekäre Stabilität“. Der Bosnien-Krieg endete am 14. Dezember 1995 mit der Unterzeichnung des Abkommens von Dayton, einem Luftwaffenstützpunkt im US-Bundesstaat Ohio. Der Bundesstaat Bosnien-Herzegowina besteht heute aus der Föderation Bosnien und Herzegowina, der Republika Srpska und dem Brcko-Distrikt als Sonderverwaltungsgebiet. Und das Abkommen von Dayton steht nicht zuletzt für die heutige Verfassung von Bosnien und Herzegowina, in der die Grundsätze einer friedlichen Koexistenz zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen verankert sind. An der Spitze des bosnischen Staates befindet sich ein aus jeweils einem Vertreter von bosniakischen, kroatischen und serbischen Bosniern gebildetes Staatspräsidium und eine Regierung mit Sitz in Sarajevo.
Die Zukunft des von Korruption und einer langen ökonomischen Krise gebeutelten Landes ist ungewiss. Die internationale Gemeinschaft ist mit einem Hohen Repräsentanten in Person des deutschen CSU-Politikers und ehemaligen Agrarministers Christian Schmidt im Land vertreten, der die Umsetzung und Einhaltung des Abkommens überwachen soll, ebenso mit der militärischen EU-Mission Eufor Althea mit 600 Soldaten. Zugleich schwelt der innerbosnische Konflikt weiter. Hauptzündler ist Milorad Dodik, Präsident der Republika Srpska, der bereits Pläne für deren Abspaltung verkündete.
Im August vergangenen Jahres klagte die bosnische Staatsanwaltschaft den Serbenführer wegen der „Nichtbeachtung“ der Entscheidungen des Hohen Repräsentanten an. Zudem erklärte er das Gesetz, das die Verherrlichung oder Leugnung der Kriegsverbrechen unter Strafe stellt, auf dem Boden der Republika Srpska für ungültig. Dodik kündigte an, eine Verurteilung nicht anzuerkennen. Im Dezember musste er vor Gericht. Der 64-Jährige spricht von einem „politischen Prozess ohne Rechtsgrundlage“.
… zum „Appeasement“
Kürzlich hat Dodik einmal mehr provoziert – ausgerechnet am 9. Januar, dem Gründungstag der Republika Srpska, der als Auslöser des Bosnien-Krieges gilt. Zwar hatte das bosnische Verfassungsgericht 2015 entschieden, dass das Gründungsdatum der Serben-Republik illegal sei, weil es Bosniaken und Kroaten diskriminiere. Dodik reagierte auf seine für ihn typische Manier: „Das Urteil können sie sich in die Haare schmieren.“ Er ließ nicht nur am 9. Januar mit Pomp sowie Polizei- und Militärparade inklusive Drohnenshow feiern, sondern holte den unter US-Sanktionen stehenden früheren serbischen Geheimdienstchef und prorussischen Scharfmacher Aleksandar Vulin in den Senat der Republika Srpska. Unterstützer hat Dodik in Russland und Serbien – und in Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban.
Die Grenzen werden auch im Dauerkonflikt zwischen Serbien und Kosovo weiter ausgetestet. Nach gewaltsamen Protesten von Serben infolge der Kommunalwahlen in Kosovo wurden im Mai mehr als 30 Soldaten der internationalen KFOR-Friedenstruppe verletzt. Befürchtungen vor einem erneuten Krieg weckte der Angriff auf kosovarische Polizisten im Norden des Landes am 24. September. Eine serbische paramilitärische Gruppe hatte die Attacke von langer Hand geplant. Nachdem das US-Außenministerium kürzlich bekannt gegeben hatte, dass es den Kauf von 246 Raketen vom Typ Javelin an Kosovo für 75 Millionen Dollar genehmige, gab Serbiens Präsident Aleksandar Vucic zwar vor, nicht die „Verwaltungsgrenze“ zum Kosovo zu überschreiben – obwohl er Truppen an der Grenze hatte stationieren lassen. Und er verwies auf eine große Anzahl von Panzern, die das Land von Russland erhalten hatte und kündigte an, dass er weiter Kampfflugzeuge, Drohnen und Flugabwehrsysteme aus China kaufen werde. Einmal mehr brachte er auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht ins Spiel.
Vucic zeigt sich, auch wenn er nach den oppositionellen Protesten „Serbien gegen Gewalt“ infolge der zwei Amokläufe im vergangenen Mai und nach den Protesten wegen der von Manipulationen überschatteten Parlaments- und Kommunalwahlen unter Druck geraten ist, weiter als der starke Mann in der Region. Er setzt auf die Investitionen aus China und auf die traditionelle Freundschaft seines Landes zu Russland. Derweil macht der russische Präsident Wladimir Putin seinen Einfluss auf dem Balkan geltend. So erhält Serbien von Russland Gas zum Vorzugspreis. Derweil gibt die Europäische Union in der postjugoslawischen Gemengelage ein schwaches Bild ab. Der Westen betreibe eine halbherzige „Appeasement-Politik“, kommentiert Vedran Dzihic vom Österreichischen Institut für internationale Politik. Nach dem vorläufigen Scheitern des Kosovo-Dialogs schrillen wieder die Alarmglocken. Die Balkan-Kriege Ende des vergangenen Jahrhunderts sind noch längst nicht Geschichte, erinnert der Co-Vorsitzende der luxemburgischen Grünen, Meris Sehovic. „Die Konflikte spielen noch heute eine Rolle“, sagt der in Belgrad geborene Politiker, der im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern – sein Vater stammt aus Bosnien – nach Luxemburg kam. „Die Wunden sind längst noch nicht alle verheilt.“
* Im Kroatien-Krieg (1991-1995) – dem zweiten der Jugoslawien-Kriege, nach dem Zehn-Tage-Krieg in Slowenien (1991) und vor dem Bosnien-Krieg (1992-1995) sowie dem Kosovo-Krieg (1998-1999) – kamen nach unterschiedlichen Angaben ungefähr zwischen 15.000 und 25.000 Menschen ums Leben, zwei Drittel davon waren Zivilisten, im Bosnien-Krieg etwa 100.000 Menschen. Die Zahl der Toten und Vermissten im Kosovo-Krieg belief sich nach Angaben des Humanitarian Law Center (HLC) auf etwa 13.500.
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Zum teils kuenstliche oder willkuerlich gezogene grenzen zwischen provinzen oder teilrepubliken im bundesstaat Jugoslawien wurden auf einmal zu internationalen grenzen…das konnte kaum gut ausgehen.
Selbiges passierte zeitnah im viel groesseren rahmen in der Sowjetunion.
Die freude in etlichen kreisen ueber das auseinanderbrechen dieser grossen staaten war nicht gerechtfertigt ,obwohl das natuerlich gewissen interessen diente.
Aehnliches droht uebrigens auch anderswo…in Spanien z.bsp.