Belgien / Parlamentswahl wird zu Zitterpartie: Sieben-Parteien-Regierung muss um Mehrheit bangen
Premierminister De Croo und seine Sieben-Parteien-Regierung müssen um ihre Mehrheit bangen. Denn in den Umfragen liegen die flämischen Separatisten vorn. Sie könnten sogar den nächsten Regierungschef stellen.
Belgien wählt und halb Europa zittert. Denn das kleine Königreich zwischen Nordsee und Ardennen könnte mitten in der Europawahl – und kurz vor Abschluss des belgischen EU-Vorsitzes Ende Juni – in eine tiefe Krise rutschen. Ausgerechnet am Tag der Europawahl, dem 9. Juni, stehen Neuwahlen auf regionaler und föderaler Ebene an. Die Umfragen zeichnen das Bild eines tief zerrissenen Landes, das – wieder einmal – unregierbar werden könnte.
In Flandern, der größten Region, liegen die Separatisten des Vlaams Belang nach Zahlen des Ipsos-Instituts mit 26,8 Prozent der Wahlabsichten vorn. Die ebenfalls nationalistische Partei N-VA folgt mit 20,6 Prozent auf Platz zwei. Gemeinsam kommen sie auf annähernd 50 Prozent – mehr als genug, um Belgien zu blockieren. In der französischsprachigen Wallonie liefern sich Sozialisten und Liberale vom „Mouvement réformateur“ (MR) mit je 22,6 Prozent ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen.
In der Hauptstadt Brüssel liegt der MR mit 23,3 Prozent vorn. Die linksradikale „Parti des travailleurs belges“ (PTB) folgt auf Platz zwei mit 19,8 Prozent, Tendenz steigend. Die Grünen sind von 21,6 auf 12,5 Prozent abgesackt; der Belgische Rundfunk spricht von einem „Debakel“.
Regierung gesucht
Wie sich aus diesem bunten Flickenteppich eine tragfähige föderale Regierung für das ganze Land bilden lässt, ist unklar. Für die derzeit regierende Vivaldi-Koalition um den liberalen Premierminister Alexander De Croo zeichnet sich jedenfalls keine tragfähige Mehrheit mehr ab. Statt bisher sieben könnten künftig acht oder mehr Parteien nötig sein, um eine Regierung zu bilden. Eine Möglichkeit wäre, dass die wallonische Oppositionspartei „Les Engagés“ (ehemals Christdemokraten CDH) nach der Wahl in die Regierungskoalition eintritt – und Vivaldi so doch noch zu einer zweiten Amtszeit verhilft.
Allerdings versuchen die Nationalisten in Flandern, genau dies zu verhindern. N-VA-Chef Bart De Wever mobilisiert seine Anhänger mit der Warnung vor einer Vivaldi-2.0-Regierung, die unter dem Motto „Tous ensemble contre l’extrême droite“ (Gemeinsam gegen die Rechtsextremen) die bisherige liberale Politik weiterführen könnte.
Noch radikaler gibt sich der Führer des Vlaams Belang, Tom Van Grieken. „Es ist an der Zeit, mit den Systemparteien abzurechnen“, fordert er. Zugleich macht Van Grieken Druck auf die N-VA: Sie habe es in der Hand, den „Cordon sanitaire“ aufzubrechen. Gemeinsam könnten die separatistischen flämischen Parteien auch auf Bundesebene eine Rolle spielen.
Rechtsliberale Zukunft?
Heißt das, dass die Spaltung des Landes droht? Auf dem Papier ja, in der Praxis nein. Denn für eine Loslösung Flanderns aus der Föderation wäre eine radikale Staatsreform nötig. Entsprechende Verfassungsänderungen erfordern im Parlament eine Zweidrittelmehrheit der 150 Sitze. Diese ist derzeit nicht in Sicht. Wahrscheinlicher scheint, dass die N-VA die Führung einer rechtsliberalen Regierung übernimmt und auch den nächsten Premier stellt. De Croo erklärte in einer TV-Debatte mit N-VA-Chef De Wever, dies sei die logischste Lösung. „Gemeinsam können wir die Reformen anpacken, die die Menschen erwarten“, erklärte der liberale Politiker.
De Wever wies das Angebot zurück; er beharrt vorerst auf einer tiefgreifenden Staatsreform, die Flandern weiter stärken und die belgische Föderation noch mehr schwächen würde. So oder so stellt man sich in Brüssel auf langwierige Verhandlungen ein. Nach den letzten Parlamentswahlen 2019 dauerte es fast 500 Tage, bis die amtierende Vivaldi-Regierung endlich stand. Diesmal könnte sogar der Negativ-Rekord von 541 Tagen gebrochen werden, der nach der Wahl 2010 aufgestellt wurde.
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