Musik / Pascal Schumacher über „Luna“, kreative Momente und das Arbeiten mit anderen Kulturschaffenden
Nachdem Pascal Schumacher seine zweite Soloplatte „Luna“ im März veröffentlichte, folgt nun der zweite Teil der Tournee, während der ein paar letzte, wegen der Pandemie abgesagte Termine nachgeholt werden – und die den Luxemburger Musiker am kommenden Samstag auch in die Philharmonie führen. Wir haben den Vibrafonisten nach einer Unterrichtsstunde im hauptstädtischen Conservatoire getroffen und uns über die Entstehung der Platte, seine Liveshows und die Zusammenarbeit mit anderen Kulturschaffenden unterhalten.
Die Erleichterung, wieder normal touren zu dürfen, ist spürbar: Nach der Veröffentlichung seiner ersten Soloplatte „Sol“ wurde plötzlich ein Konzert nach dem anderen abgesagt, für viele Musiker brach damals eine Welt zusammen, zumal Liveauftritte im digitalen Zeitalter rasch zur Haupteinkommensquelle geworden waren.
„Einiges wurde nachgeholt, anderes nicht, neue Formate tauchten auf“, erinnert sich Pascal Schumacher.
„Irgendwann waren die vielen Streaming-Konzerte dann doch mit viel Aufwand und Stress verbunden, zumal ich bei solchen Konzerten, von denen man annehmen kann, dass sie irgendwo in einer Mediathek abgerufen werden können, dann doch verstärkt auf Nummer sicher gehe, weniger wagemutig bin, weniger herumexperimentiere. In dem Sinne war diese Art, Konzerte zu spielen, schon etwas einengend. Weswegen ich es genoss, dieses Jahr auf dem Salzburger Jazz & The City Festival auftreten zu dürfen – dort konnte man sich definitiv versichern, dass wieder eine gewisse Normalität eingekehrt ist.“
Das Album ist in einem schönen, warmen, glücklichen Moment entstanden
Auch wenn die Aufnahmen mitten in der Pandemie stattfanden, ist „Luna“ keineswegs eine Covid-Platte – unter anderem auch, weil sie zu einem Zeitpunkt entstand, an dem die Welt aufatmen konnte: Im Juli 2021 dachte oder hoffte man, das Virus hätte sich verdünnisiert, wovon der Menschenandrang auf den Terrassen unweit des Brüsseler Jet-Studios zeugte. „Das Album ist in einem schönen, warmen, glücklichen Moment entstanden“, erinnert sich Schumacher.
Paradoxerweise entstand trotzdem, wie der Plattentitel es bereits verrät, eine nächtliche Platte. Der nötigen Stimmung half es durchaus, dass es im Brüsseler Jet-Studio keine Fenster gab: „Während der Stunden, die man dort aufnimmt, weiß man eigentlich gar nicht, was draußen passiert. Es fühlte sich so an, als würde ich eine Art Doppelleben führen, zwischen der Ruhe des Studios und dem bunten Viertel draußen. Die alten Mauern des Studios strahlen eine unglaubliche Ruhe aus. So merkt man eigentlich kaum, dass man sich in einem Viertel befindet, das mehr nach Islamabad als nach Brüssel aussieht – was ich unglaublich schätzte.“ Dennoch waren die Mauern des Studios nicht undurchlässig: Der Track „Resilience“ war zu Beginn als ruhige Vibrafon-Komposition konzipiert, die allemal ein paar Streicher zieren sollte – „schlussendlich wurde es dann doch wilder, tribaler“.
Auf seiner Tour spielt Pascal Schumacher Auszüge aus den beiden Soloplatten „Sol“ und „Luna“, die quasi von Anfang an als Schwesteralben konzipiert waren: „Als ich ‚Sol‘ komponierte, spielte ich mit diversen Begriffen rund um den Begriff ‚Solo‘, bis ich mich für ‚Sol‘ entschloss – ein Titel, der gleichzeitig auf die Einsamkeit und auf die Sonne verweist. Als wir uns nach der Veröffentlichung mit dem Label trafen, schien es klar, wie der Nachfolger heißen würde. Da ich zu diesem Zeitpunkt noch keine Note komponiert hatte, hat der Titel mich nicht nur durch den Entstehungsprozess begleitet, er hat der Platte auch eine Klangfarbe und eine Richtung auferlegt, die für mich sehr inspirierend waren.“
Eklektisch und kohärent
Das Resultat kann sich hören lassen: Der Opener „Luna“ sowie „Charles Duke“ erinnern mit ihren Streichern, den Synthies und dem Glockenspiel fast ein wenig an die Platte „Hymns to the Immortal Wind“ der japanischen Postrock-Band Mon, streckenweise auch, speziell was die Synthies auf „Charles Duke“ anbelangt, an die ruhigeren Tracks der kompromisslosen Schotten von Mogwai, auf Tracks wie „Rhythmicon“ verweist die Mixtur von Klassik, Synthies und Beats auf Nils Frahm oder Ólafur Arnalds, noch anderswo klingt die Platte nach einem melancholischen Soundtrack zu einem Film, der noch nicht gedreht ist.
Trotz des Eklektizismus klingt die Platte wie aus einem Guss. „Das kommt daher, dass ich mir bereits vor den Aufnahmen sehr viele Gedanken darüber mache, welche Instrumente sich im Studio befinden und wie ich all dies später live umsetzen kann. Es wäre sehr leicht, eine ganze Menge an Gästen einzuladen und dann zu sagen: Hier könnte man noch eine Trompete gebrauchen, diese Passage verträgt noch eine Tuba. Die Platte mag maximalistich klingen, ist aber in der Tat sehr reduziert. Auf ‚Luna‘ gibt es zwei Synthies, die auch auf der Bühne stehen werden. Das schränkt schon sehr ein.“
Auf die Marimba, die es bei „Sol“ gab, verzichtet der Musiker hier, einerseits weil die Songs in ihrer Live-Umsetzung auch sehr gut ohne sie auskommen, andererseits aber auch, „weil ich nur über zwei Arme verfüge“, sagt er. „Auf jeden Fall schränkt all dies die Klangfarbe meiner Platte ein: Für ‚Luna‘ habe ich den Yamaha Reface CS gegen den Juno-60 von Roland eingetauscht, auf der nächsten Platte gibt es wahrscheinlich dann wieder einen anderen Synthesizer, der den Klang leicht ändert, die Türen zu anderen Ideen, zu anderen Klängen öffnen wird.“
Oft denken die Menschen ganz romantisch, der Musiker würde auf den großen kreativen Moment warten. Dem ist nicht so: Manchmal verfüge ich über Zeit, bin jedoch nicht sonderlich inspiriert.
Diese Türen öffnet Pascal Schumacher immer dann, wenn er über ausreichend Zeit verfügt: „Da ich nicht jeden Tag komponieren kann, schreite ich dank Zufallsmomenten und Deadlines voran. Der kompositorische Moment passiert, wenn er passiert“, kommentiert der Vibrafonist. Ideen, die ihm spontan dann kommen, wenn er gerade eben nicht über ausreichend Zeit verfügt, um über eine längere Zeitspanne zu komponieren, singt oder, falls ein Instrument vorhanden ist, spielt er und zeichnet sie so auf.
„Oft denken die Menschen ganz romantisch, der Musiker würde auf den großen kreativen Moment warten. Dem ist nicht so: Manchmal verfüge ich über Zeit, bin jedoch nicht sonderlich inspiriert. Ich habe gelernt, dass man dann trotzdem arbeiten soll. Eine unfertige Idee kann man immer Monate später wieder aufnehmen, feilen, weiterentwickeln – und für das Handwerk ist es unabdingbar.“ Auf welchem Klangplaneten Schumacher zunächst landen wird, kann er uns jedoch noch nicht verraten – nach Abschluss der Tour Ende November gedenkt er jedoch, dies zu erforschen.
Für seine Liveauftritte verfügt der Musiker nun über ein Programm, das zwei abendfüllende Konzerte ausmacht: „Ich kann mein Programm an den jeweiligen Ort anpassen und weiß manchmal gar nicht recht, wofür ich mich entscheiden soll. Das ist aber ein Luxusproblem: Letztlich entscheide ich, worauf ich gerade Lust habe – oder vielmehr spiele ich das, was im Rahmen des jeweiligen Konzertsaals am meisten Sinn macht.“
Während der Proben redete Elisabeth Schilling mit ihren Tänzer*innen, Anne Simon mit ihren Schauspieler*innen und ich mit meinen Musiker*innen. Dabei ging es hauptsächlich um technische Details, Harmonien, Rhythmik. […] Das interessiert mich: nicht alleine entscheidungstragend für die Gesamtdramaturgie zu sein, sondern die großen Linien mit anderen zu verhandeln.über seine Zusammenarbeit mit anderen Kulturschaffenden
Auch wenn die „Luna“-Tour mit den Streichern des Echo Collective die Freiheit des Musikers dann doch ein klein wenig einschränkt: „Bei meiner Soloarbeit schätze ich vor allem die enorme Freiheit. Ich kann die Stücke so gestalten, wie es mir lieb ist. Von jedem Track gibt es eine 90-Sekunden-Version und eine, die zehn Minuten dauert. Ich kann danach jedes Stück an den Rhythmus des jeweiligen Konzerts anpassen: Nach zwei längeren Stücken tut es definitiv gut, ein kürzeres zu spielen – auch wenn diese kürzere Komposition am Vorabend vielleicht eine lange war. Manchmal merkt man: Diese Passage funktioniert in jenem Raum eher weniger, dann spielt man darüber hinweg. Ein anderes Mal klappt etwas sehr gut – dann lässt man sich einfach darauf ein. Mit dem Echo Collective gibt es Stellen, an denen alles durchgetaktet ist, ich also weniger Freiheiten haben. Aber auch hier öffnen wir Improvisationsräume, in denen wir Sachen ausprobieren können.“
Räume öffnen
Es ist diese Zusammenarbeit, die Schumacher gerne aufsucht – mit anderen Musikern, aber auch und vor allem mit Kulturschaffenden aus anderen Bereichen. Einerseits erlaubt dies, die Rezeption der Musik zu verfärben, sie in andere Richtungen zu leiten, sie zu verschieben, weitere Deutungs- und Erfahrungsebenen zu öffnen: „Da ich während der Tour Tracks aus ‚Sol‘ und ‚Luna‘ spiele, habe ich mich gefragt, was passieren würde, wenn man eine Komposition von ‚Sol‘ nehmen und im Hintergrund einen großen Mond auf eine Leinwand projiziert würde. Das würde die Zuhörer anders stimulieren, ihre Rezeption in eine andere Richtung lenken. Genau das passiert, wenn du mit Menschen aus anderen Kulturbereichen zusammenarbeitest.“
Pascal Schumacher erinnert sich an seine Zusammenarbeit mit der Autorin Elise Schmit, der Tänzerin und Choreografin Elisabeth Schilling und Anne Simon für das Kindermärchen „All d’Déieren aus dem Bësch“, das im kommenden Dezember wiederaufgeführt wird: „Während der Proben redete Elisabeth mit ihren Tänzer*innen, Anne mit ihren Schauspieler*innen und ich mit meinen Musiker*innen. Dabei ging es hauptsächlich um technische Details, Harmonien, Rhythmik – Sachen, die ungemein wichtig sind, aber mit der Gesamtdramaturgie wenig zu tun haben, in der es dann in Absprache mit Anne und Elisabeth galt, zu entscheiden, wo das Tempo angezogen oder reduziert werden soll, wo zu viel und wo zu wenig Musik ist. Das interessiert mich: nicht alleine entscheidungstragend für die Gesamtdramaturgie zu sein, sondern die großen Linien mit anderen zu verhandeln. Auch wenn ich danach wieder an die musikalischen Details heranzoome und mit den Musikern entscheide, ob dieser oder jener Paukenschlag nicht fehl am Platz ist.“
„CTRL Variations“, eine weitere Zusammenarbeit mit dem Grafikdesigner Michel Welfringer und dem Autor Ian Monk rund um die Anfänge der Chatrooms, entstand 2009 im Rahmen einer der ersten Auflagen des Rainy-Days-Festivals und wurde kürzlich im Rahmen des 33,7-Festivals in der Kufa gezeigt. Die Aufzeichnung soll demnächst auch als Platte erscheinen und zu mindestens einem Live-Event führen, für das dann auch drei Schirme benötigt werden, um Welfringers wahnwitzigem Spiel mit den Buchstaben sowie das Zusammenwirken von Buchstaben und Klang den notwendigen Raum zu lassen.
Apropos Zusammenarbeit: Zurzeit arbeitet Pascal Schumacher an einer Visual Show mit dem Berliner Kollektiv Magnificient Matter – dabei handelt es sich um einen Chemiker und einen Künstler, die analog chemische Reaktionen filmen. Begeistert zeigt mir der Musiker erste Bilder, für das Konzert in der Philharmonie wird die Show fertiggestellt sein: „Wiederum stellt sich die Frage, wie mich diese Bilder inspirieren, welche Rezeptionsebenen sie beim Publikum aufmachen.“ Antwortelemente dazu erhalten wir am kommenden Samstag in der Philharmonie.
- Barbie, Joe und Wladimir: Wie eine Friedensbotschaft ordentlich nach hinten losging - 14. August 2023.
- Des débuts bruitistes et dansants: la première semaine des „Congés annulés“ - 9. August 2023.
- Stimmen im Klangteppich: Catherine Elsen über ihr Projekt „The Assembly“ und dessen Folgeprojekt „The Memory of Voice“ - 8. August 2023.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos