Berlinale (Tag 4) / Plus c’est gros, plus ça passe: „Der Passfälscher“ von Maggy Peren
Nach dem Goldenen Bären für die luxemburgische Koproduktion „Good Luck Banging or Looney Porn“ im letzten Jahr kehrt das Großherzogtum mit einer „Amour fou“-Koproduktion auf die Berlinale zurück, in deren Zentrum ein leichtsinniger Passfälscher steht, dem es gelingt, die Nazis in die Irre zu führen – und der mit viel Glück und Verstand überlebt.
Mimikry, nennt er es. Sich die Haare so schneiden lassen, dass er wie ein guter deutscher Soldat ausschaut. Seiner Geliebten Blumen schenken. Sich anpassen. Mimikry ist, wenn auf den Flügeln eines Schmetterlings die Augen eines Raubtieres abgebildet sind, um einem möglichen Prädator Angst einzujagen. Mimikry ist eine Überlebenshaltung, eine Nachahmung des Feindes, um nicht aufzufallen. Mimikry ist auch das biologische Verhaltensmuster, dem der Mensch seine Fähigkeit zur Fiktion verdankt: Ohne Mimikry gäbe es keine Mimesis, also weder Theater noch Kino*. Im Fall von Cioma Schönhaus (Louis Hofmann), einem knapp 22-jährigen Juden, der 1942 in Berlin auf sich allein gestellt ist – noch weiß er nicht, dass seine Eltern in ein KZ deportiert wurden –, bedeutet Mimikry allerdings schlicht und einfach: blankes Überleben.
„Der Passfälscher“ basiert auf dem gleichnamigen Buch von Cioma Schönhaus, in dem der Grafiker erzählt, wie er nach der Deportation seiner Eltern in den Untergrund taucht und vom Erlös der elterlichen Wertsachen, dann vom Fälschen von Ausweisen überlebt. Seine Lebensgeschichte ist eine erstaunliche Erzählung jugendlichen Leichtsinns inmitten der dunkelsten aller Zeiten – wie ein Chamäleon schlüpft Schönhaus in die unterschiedlichsten Rollen und schafft es, der Gefahr mit einem im wahrsten Sinne des Wortes entwaffnenden Lächeln ins Gesicht zu starren.
Anfangs lebt er noch mit seinem besten Freund Det (Jonathan Berlin) in der elterlichen Wohnung und arbeitet in der Waffenfabrik des Antisemiten Gustav Genschov, bis die Lage aufgrund der Spitzeleien der aufdringlichen Nachbarin Frau Peters (Nina Gummich) und der Investigationen von Herrn Dietrich (André Jung) zu brenzlig wird und er zudem von seinem Arbeitgeber entlassen wird. Nachdem seine ersten Gehversuche in seiner Karriere als Passfälscher für Franz Kaufmann (Marc Limpach) wegen seiner Unachtsamkeit misslingen, klappt es dann beim zweiten Anlauf. Und so wandert der Jude Cioma durch das Minenfeld Berlin, ganz getreu dem Prinzip von Poes gestohlenem Brief: Wer etwas zu verstecken hat (in diesem Fall: seine Identität), sollte dies so auffällig machen, dass niemand ernsthaft Verdacht schöpfen wird. So wird vermeintliche Tölpelhaftigkeit im Nazideutschland zu einer Form von Torheit.
Dreister Charme
„Der Passfälscher“ erzählt eine fast schon obszöne Geschichte von Glück im Unglück, von einer Art befremdlichem Kairo und einer im Endeffekt lebensrettenden Unachtsamkeit: In seiner Notlage wird Cioma kreativ und wagemutig, tanzt wie ein Trapezkünstler auf dem Drahtseil über dem Abgrund des Antisemitismus. So gelingt es Cioma, als er ohne Ausweispapiere in einer Warteschlange des Fundbüros sitzt, wo er hofft seinen verlorenen Geldbeutel zurückzubekommen, und in eine Kontrolle gerät, sich selbst aus dieser Todesfalle zu mogeln.
Da, wo das souveräne Lächeln von Schönhaus dank der überzeugenden Darstellung von Louis Hofmann beeindruckt, ist diese Mühelosigkeit auf filmischer Ebene manchmal problematisch: Peren will die quasi unerträgliche Leichtigkeit von Schönhaus, der er sein Überleben verdankt, auch formal begleiten, was ihr zwar meist gelingt – die tragischeren Momenten überzeugen jedoch etwas weniger. Weil die Fassade von Schönhaus nie abbröckelt, nie abbröckeln darf, wirkt der eine kurze Moment, in dem sie es tut, etwas aufgesetzt, sodass der lobenswerte Ansatz, eine Shoah-Geschichte ohne Pathos und Gravitas zu erzählen, nicht immer ganz aufgeht: Der Drahtseilakt zwischen Komik und Ernst gelingt paradoxerweise wegen der Unbeschwertheit von Cioma nicht durchgehend.
Die formale Mimesis, wegen der sich der Film teilweise wie ein spannender Abenteuerfilm anschaut – in einer Szene schlüpfen Cioma und sein bester Freund Det in Marineuniformen und bezirzen auf einem Galaabend nichtsahnende Frauen, deren Männer an der Front sind –, funktioniert, ein bisschen wie Ciomas Mimikry, so gut, dass man erst beim Abspann, in dem der Zuschauer erfährt, dass Cioma quasi die einzige aller in der Geschichte auftauchenden Personen ist, die den Holocaust überlebt hat, wirklich feststellt, wie glimpflich der junge Mann davongekommen ist.
Leider wirken die Nebenfiguren und -handlungsstränge manchmal etwas zu skizzenhaft. Seine Geliebte Gerda, sein Arbeitskollege Ludwig Lichtwitz und selbst die spannende Figur des Franz Kaufmann, von dem Det irgendwann sagt, dass er durch reinen Zufall, weil seine Mutter Jüdin war, anderen Juden aus der Patsche hilft und andernfalls vielleicht ein überzeugter SS-Soldat gewesen wäre: All diese Figuren haben zu wenig screen time, als dass sie in ihrer Komplexität charakterisiert würden – mit dem Resultat, dass sie hauptsächlich dazu beitragen, die Figur von Cioma zu vertiefen und als eigenständige Figuren etwas verblassen.
Das Passfälschen selbst, dank dessen Cioma Hunderte von Schicksalen gerettet hat, kommt angesichts der zahlreichen Schicksalswenden, die die Figur erlebt, etwas zu kurz – etwas mehr historischer Hintergrund, auch was die Figur von Franz Kaufmann, die souverän von Marc Limpach interpretiert wird, hätte hier nicht geschadet. Nichtsdestotrotz: Dank eines hervorragenden Hauptdarstellers und einer erfrischend anderen Perspektive ist „Der Passfälscher“ ein sehenswerter Film.
* Mehr dazu in: „Pourquoi la fiction“ von Jean-Marie Schaeffer, Editions du Seuil, Collection „Poétique“, 1999
„Der Passfälscher“ von Maggy Peren, Berlinale Special, 3/5
Info
„Der Passfälscher“ läuft auch auf dem kommenden LuxFilmFest. Kurz davor wird das Tageblatt in einem Interview mit der Produzentin Bady Minck und dem Schauspieler Marc Limpach auf die Entstehungsgeschichte und Hintergründe des Films eingehen.
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