Chancengleichheit / Politik auf Augenhöhe: Taina Bofferding zählt auf die Gemeinden
Die Chancengleichheit steht zwar in der Verfassung, sie ist gemeindepolitisch jedoch noch nicht vollständig umgesetzt. Dem will Taina Bofferding in ihrem doppelten Mandat als Innenministerin und Titularin des Ministeriums für Chancengleichheit Abhilfe verschaffen. Ein „elektronischer Handwerkskasten“ gibt die Richtung vor.
„Nachtigall, ick hör dir trapsen“ … In zwei Jahren sind Gemeindewahlen und damit beginnt in den nächsten Wochen und Monaten die Suche nach Kandidaten und vor allem Kandidatinnen für die gemeindepolitischen Ämter. Bislang bleibt Luxemburg hier nur recht bescheiden: Von den 102 Bürgermeisterposten sind 13 von Frauen besetzt, das sind gerade mal 12,7% der Mandate. Die 226 Schöffenämter sind zu 18% von Frauen besetzt und von den 777 Gemeinderäten sind mit 216 Frauen nur ein gutes Viertel in weiblicher Hand. Das Gleiche gilt für die politische Ausrichtung, die selten den partnerschaftlichen Aspekt einschließt. „Wir brauchen hier eine Bewusstseinsbildung, müssen mit praktischen Beispielen den Weg aufzeichnen“, stellt sich die Ministerin vor.
„Die Gemeinden sind am nächsten am Bürger dran. Sie müssen Abhilfe schaffen“, führt sie weiter aus. Die Bereitschaft der 102 Gemeindeoberhäupter, sich stärker in die Gleichstellung einzubringen, liest sie aus einer Bestandsaufnahme heraus, die das Ministerium für Gleichstellung von Frauen und Männern (MEGA) durchgeführt hat und an der sich 79 Gemeinden beteiligt haben. Für 92% von ihnen ist die Chancengleichheit elementar, 89% fühlen sich verpflichtet, Diskriminierungen zu bekämpfen, 66% erklären sich zur Zusammenarbeit mit dem MEGA bereit. Zwei Drittel der größeren Gemeinden, aber nur 17% der kleineren fühlen sich gut genug aufgestellt, um die Chancengleichheit voranzutreiben. „Genau diese wollen wir mit unserer ‚Toolbox’ ermutigen“, erklärt die Ministerin.
Rückgrat dieses Handwerkskastens ist eine Konvention mit den Gemeindeverwaltungen, die individuell und mit Blick auf die lokalen Besonderheiten, von ausgebildetem Fachpersonal des Ministeriums begleitet und beraten werden. Ein Pilotprojekt läuft aktuell mit Clerf, Mertert und Steinfort. Es soll zeigen, wie die vom Ministerium definierten „actions positives“ umgesetzt werden können. Gleichzeitig soll auch das Amt des Gleichheitsbeauftragten, das es seit 2017 in 48 Gemeinden gibt, aufgewertet werden. „Sie sollen sich stärker als bisher untereinander und auch mit unseren Amtsstellen konzertieren“, so die Vorstellung von Taina Bofferding. Unterstützt wird diese Arbeit von einer neuen Internet-Plattform www.megacommunes.lu.
Unter drei Stichworten können die Politiker vorgehen: Sie können die Gleichstellung politisch angehen, können aber auch die Organisation ihrer Amtsstellen unter die Lupe nehmen und die Arbeit in den Kommissionen und mit den Bürgern verbessern. Das Ganze versteht sich auf interner und externer Ebene. Erfahrungsberichte und kurze Videoaufnahmen zeichnen einzelne Vorgehensmöglichkeiten auf. Eine interaktiven Karte zeigt, wie die 102 Gemeinden des Landes in Sachen Gleichstellung aufgestellt sind.
Ausgetretene Pfade
Mit dieser attraktiven modernen Plattform geht das MEGA eigentlich keine neuen Wege. Bereits seit 2006 hat der europäische Rat der Gemeinden und Regionen eine „Europäische Charta für die Gleichstellung von Frauen und Männern auf kommunaler und regionaler Ebene“. Sie wurde mittlerweile von mehr als 1.700 Kommunen in 35 Ländern unterzeichnet, darunter auch 25 Luxemburger Gemeinden. Die ersten waren Düdelingen und Esch/Alzette im Jahr 2008, gefolgt von der Stadt Luxemburg, Mamer, Petingen, Steinsel und Bettemburg, der Vorzeigestadt in Sachen Gleichstellung schlechthin. Seit 1989 hat die Eisenbahnerstadt im Süden eine Gleichstellungsbehörde. Die Unterzeichner der Charta verpflichten sich zur schnellen Umsetzung einzelner Maßnahmen wie Beseitigung der Stereotypen und Einbeziehung der Geschlechterperspektive in die politische Arbeit. Der nationale Frauenrat CNFL, der Gemeindezusammenschluss Syvicol und das MEGA begleiten dieses Projekt, das unter dem Stichwort „égalité dans ma commune“ auf der Internet-Plattform des CNFL eingesehen werden kann.
Taina Bofferding versteht die neue Strategie ihres Ministeriums deshalb auch als Ergänzung dieser Charta. Sie habe bei ihrer Arbeit als Innenministerin einzelne Probleme und Hemmnisse festgestellt, vor allem in kleineren Gemeinden, betont sie. Deshalb sei mehr Zuspruch gefordert. Der eigens ausgebildete Staff zur Begleitung ist ihr besonders wichtig. „Diese Strategie ist ein erster Schritt“, unterstreicht sie. In einer zweiten Etappe soll jetzt den Parteien nahegelegt werden, sich früh genug um ausgewogene Listen zu bemühen und eventuelle Kandidatinnen rechtzeitig aufzubauen. Sie können in einer ersten Etappe in einzelne Arbeitsgruppen integriert werden und als Expertinnen auftreten. Hier zählt die Ministerin wiederum auf das Syvicol, dessen Mitglieder eventuellen Interessentinnen zeigen können, wie ein Gemeindemandat in der Praxis funktioniert. Verstärkt wird auch die Arbeit mit dem Erziehungsministerium, wo seit 2019 gemeinsam gegen die immer noch in unserer Gesellschaft vorherrschenden Stereotypen vorgegangen wird. „Die Basis existiert. Jetzt braucht es weitere Schritte“, so die Ministerin abschließend.
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