Politologe Poirier / Die Übermacht Jean-Claude Juncker und die kriselnde CSV
Die CSV stellt sich neu auf. Mit dem Abgang von Frank Engel wird die christlich-soziale Partei in Zukunft von einer anderen Person angeführt. Der Politologe Philippe Poirier hat mit dem Tageblatt über die mögliche Fragmentierung der Parteilandschaft, „Catch-All-Parteien“ und Jean-Claude Juncker geredet.
Die politische Landschaft Luxemburgs ist im Wandel: Frank Engel hat sich von der CSV getrennt und denkt öffentlich darüber nach, eine eigene Partei zu gründen. Gleichzeitig arbeitet die CSV daran, die Partei neu zu strukturieren und die verlorenen Stimmen der vergangenen Wahlen wiederzugewinnen. Das Tageblatt hat eine Momentaufnahme mit Prof. Philippe Poirier von der Universität Luxemburg gewagt. Wie sieht der Politikwissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für parlamentarische Studien die aktuelle Entwicklung der Luxemburger Parteilandschaft nach dem CSV-Fiasko?
Lehrstuhl für parlamentarische Studien
Prof. Dr. Philippe Poirier ist Inhaber des Lehrstuhls für parlamentarische Studien an der Universität Luxemburg. Der Lehrstuhl fördert in Zusammenarbeit mit dem Parlamentspräsidenten, dem Generalsekretär des Parlamentes, dem Ehrengeneralsekretär und dem „Comité de pilotage“ das Studium des Parlamentarismus im nationalen und europäischen Entscheidungsprozess. Der Lehrstuhl trägt zu Forschungsaktivitäten vor allem in der Politikwissenschaft in den Bereichen Demokratie, nationale Gesetzgebung und vergleichende Politik in Europa bei.
Frank Engel und die Fragmentierung der Parteien
Laut Poirier ist es nicht das erste Mal, dass sich aus einer großen Partei eine kleinere abspaltet. „Das ist Teil einer Demokratie“, sagt Poirier. Parteien seien nicht in Stein gemeißelt und würden sich mit der Zeit verändern. Das Wahlsystem Luxemburgs würde das Gründen einer neuen Partei allerdings nicht vereinfachen. „Wenn man eine politische Familie verlässt – so wie Frank Engel das macht – riskiert man, etliche Vorzugsstimmen zu verlieren“, erklärt Poirier. Engel sei bis jetzt nur bei den Europawahlen gewählt worden und habe dort von Vorzugsstimmen der nationalen Liste profitiert. „Er hat sich nie den Parlamentswahlen in dem Wahlkreis gestellt, in dem er wohnt – mit einer neuen Partei kann er nun nicht mehr auf die Stimmen der CSV zählen“, sagt Poirier.
Während der Europawahlen von 2019 habe man dies an der gesamteuropäischen Partei Volt beobachten können. „Die Partei bestand aus CSV- und DP-Politikern – sie haben mit einem Pro-Europa-Programm schlecht abgeschnitten, weil der Wählermarkt schon ausgeschöpft war“, sagt Poirier. Man brauche ein soziokulturelles, sozioökonomisches und soziopolitisches Programm, das sich von der Konkurrenz abhebe. „Der Markt ist schon ziemlich voll“, meint Poirier. In Luxemburg ist laut dem Politikwissenschaftler trotzdem noch Platz für antieuropäische und liberale Parteien. „Wenn man sich den politischen Werdegang von Engel anschaut, wird er sich dort wohl nicht einreihen“, sagt Poirier.
Zum Kommentar von LSAP-Arbeitsminister Dan Kersch, dass die Zersplitterung der Parteien der Demokratie nicht dienlich sei, meinte Poirier, dass auch eine Regierung mit vielen kleinen Parteien funktionieren könne. Wichtig sei schlussendlich, dass im Voraus ein guter Koalitionsvertrag ausgehandelt werde. Laut Poirier weiß Kersch, dass eine weitere Partei auch der LSAP Stimmen kosten könnte. „Alle Parteien wollen die Tür hinter sich schließen“, sagt Poirier.
Die CSV und die „Catch-All-Parteien“
Luxemburgs ehemaliger Premier Jean-Claude Juncker hatte am Samstag in einem Interview mit dem Radiosender RTL gesagt, dass die CSV noch immer eine Volkspartei sei – trotz eines Ergebnisses von weniger als 30 Prozent bei den vergangenen Wahlen. Auch Philippe Poirier stimmt dieser Aussage zu. Die CSV sei in ihren Statuten, Zielen und in der sozialen Zusammenstellung ihrer Mitglieder und Wähler sehr divers. „Es geht bei einer Volkspartei darum, Wähler mit unterschiedlichen Hintergründen zu mobilisieren“, sagt Poirier. Um dies zu erreichen, habe die CSV bis jetzt auch auf starke Ideologien verzichtet.
Gleichzeitig versuche die Partei, alle politischen Themen abzudecken. Das nenne man dann eine „Catch-All-Partei“. In Luxemburg sei es grundsätzlich ein Problem, dass es nicht viele „Catch-All-Parteien“ gebe – in anderen Ländern sei dies anders. „Da es die Aufgabe der Politik ist, unterschiedliche soziale Gruppen und Interessen im Parlament zu vereinigen, ist es wichtig, Parteien dort zu haben, die ein weites politisches Spektrum abdecken“, sagt Poirier. Die Luxemburger Bevölkerung sei momentan vielfältiger als die politische Repräsentation im Parlament. Deswegen sei es wichtig, dass es „Catch-All-Parteien“ gebe.
„Wenn eine ‚Catch-All-Partei‘ sehr divers ist – also Arbeiter und höhere Beamten repräsentiert –, muss sie gute Vermittler aufweisen“, sagt Poirier. Bis jetzt sei dies nur wenigen luxemburgischen Parteien gelungen. Dazu würden die CSV und LSAP gehören. Autoritätsfiguren können laut Poirier hilfreich beim Vermitteln sein. „Das kann eine sehr autoritäre Figur wie Juncker sein oder eine moralische Autoritätsperson, wie Claude Wiseler es vorgibt, zu sein“, meint Poirier.
Jean-Claude Juncker und die Identitätsfrage
Juncker habe die christlich-soziale Partei damals mit eiserner Hand geführt. Das könnte laut Philippe Poirier auch ein Grund sein, warum die CSV nicht mehr auf ihren früheren Spitzenkandidaten zurückgreifen wolle. Juncker hatte am Samstag im Interview mit RTL-Radio gesagt, dass er sich in den vergangenen Wahlen „mehr eingefügt hätte, wenn man ihn gefragt hätte“. „Es ist schwierig für die CSV, sich ohne Juncker zu definieren, weil er für lange Zeit die größte politische Figur Luxemburgs war“, sagt Poirier.
Seit dem Abgang Junckers fehle es der CSV an Identität. Das sei allerdings immer ein Problem für die Parteien im mittleren politischen Spektrum. „Die CSV muss sich dieser Identitätsfrage offensichtlich stellen – doch für die LSAP ist diese Problematik vielleicht noch dringender“, meint Poirier. Er frage sich, was die LSAP im Vergleich zu den anderen Parteien ausmache. Auf die Frage, ob Gesundheitsministerin Paulette Lenert bei den nächsten Wahlen als Spitzenkandidatin für die LSAP antreten könnte, meinte er, dass sie sich zuerst erholen müsse.
Momentan sei es allerdings noch zu früh, den Blick auf die nächsten Wahlen zu werfen. Die Menschen würden sich jetzt vor allem für die wirtschaftliche und sanitäre Krise interessieren. Nach der Pandemie würden die Wähler Bilanz ziehen – die zukünftigen Wahlresultate und Spitzenkandidaten seien vom Ausgang der Pandemie abhängig. „Die Menschen bewerten schlussendlich die politischen Fakten“, meint Poirier.
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Parlamentarische Studien. Mon Dieu. Was es nicht alles gibt.Aber es gibt ja auch Zukunftsforscher.
@HTK
Wir wären ganz schön blöd, wenn wir die zentrale Institution der repräsentativen Demokratie nicht wissenschaftlich untersuchen würden, meinen Sie nicht?
@Tom Haas:Repräsentative Demokratie ist eine Hierarchie in der befristete Oligarchen manipulieren um in den nächsten Perioden weiter zu regieren.( nach UnArt)
@Tom Haas,
die repräsentative Demokratie funktioniert seit den alten Griechen.Vorausgesetzt sie wird nicht durch kriminelle Tendenzen zerstört.
@HTK
„die repräsentative Demokratie funktioniert seit den alten Griechen.“
So lange man keine Frau, arm oder ein Sklave war.
Juncker ist nicht eben unschuldig an dem Schlamassel in der C.S.V. Er hat seine Schafe im trockenen und sollte zurückhaltender sein. “ On l’a assez vu „!