Rede zur Lage der Nation / Politologin: Klima-Bürgerrat könnte Vertrauen in Politik stärken – oder schwächen
Premierminister Xavier Bettel hat am Dienstag in seiner Rede zur Lage der Nation einen Klima-Bürgerrat angekündigt. Das Ziel: Bürgerpartizipation und Vertrauen in die Politik steigern. Das ist laut Politologin Léonie de Jonge und Tommy Klein, Direktor des Kundenservices bei TNS Ilres, auch möglich. Entscheidend sei die Umsetzung.
Premierminister Xavier Bettel (DP) hat seine Rede zur Lage der Nation am Dienstag nicht etwa mit einem Vortrag über die Pandemie begonnen, sondern mit einer Erklärung zum Klimawandel. Ein gesellschaftlicher Konsens, wie wir die Klimakrise angehen, sei nötig. Deshalb wolle der Premier einen Klima-Bürgerrat einberufen, der aus 100 Menschen bestehen soll und dem Experten zur Seite stehen werden. „Als Signal fand ich das sehr positiv und auch spannend“, sagte Dr. Léonie de Jonge am Mittwochmittag gegenüber dem Tageblatt. Die luxemburgische Assistenzprofessorin für europäische Politik und Gesellschaft an der Universität Groningen findet es schade, dass das Gremium nur mit dem Klimawandel beauftragt werde. Aber: „Es ist schon ein Anfang.“
„Biergerkommitee Lëtzebuerg 2050“
Das „Biergerkommitee Lëtzebuerg 2050“ hat folgende Aufgaben:
– Die Ergebnisse des Prozesses „Luxembourg in Transition“ diskutieren und bewerten.
– Während der Projektentwicklungsphase für Rückmeldungen an die verschiedenen Teams zur Verfügung stehen.
– Ein Verständnis dafür entwickeln, wie Luxemburg sich bis 2050 positionieren soll, um Klimaneutralität zu erreichen.
– Am Ende des Prozesses Empfehlungen an die politischen Entscheidungsträger formulieren und so zur Ausarbeitung des Masterplans für Raumplanung (PDAT) beitragen.
Luxemburg habe noch nicht so viel Erfahrung mit nationalen Bürgerräten – de Jonge beteiligt sich allerdings an einem dieser wenigen Projekte als wissenschaftliche Begleiterin. Der Name: „Biergerkommitee Lëtzebuerg 2050“. Dieser Rat bestehe aus 30 Menschen aus ganz Luxemburg und beschäftige sich mit dem Klimawandel und Luxemburgs Landesplanung im Jahr 2050. „Ich bekomme nichts dafür, ich finde es – als Wissenschaftler – nur spannend, mit dabei zu sein und dann nachher vielleicht eine Studie darüber zu publizieren“, sagte de Jonge. Raumentwicklungsminister Claude Turmes („déi gréng“) habe den Rat vergangenes Jahr im Rahmen von „Luxembourg in Transition“ ins Leben gerufen.
Diese Bürgerkomitees sind laut de Jonge besonders gut geeignet, um komplexe Probleme zu lösen, die die Gesellschaft spalten. Diese Art der Bürgerpartizipation könne auch über mehrere politische Mandate hinweg gute Ergebnisse bringen. Vor allem bei der Klimafrage sei so ein Gremium interessant. „Da besteht nämlich die Gefahr, dass die Entscheidung undemokratisch von oben nach unten genommen wird“, sagte die Politologin. „Wir müssen nachher wahrscheinlich alle auf etwas verzichten, aber vor allem dann ist es wichtig, dass die Menschen mitentscheiden können, auf was und wie.“
Vertrauen steigern, demokratische Defizite mindern
Bürgerräte hätten die Fähigkeit, das Vertrauen in die Politik zu stärken – vor allem bei demokratischen Defiziten „wie in Luxemburg, wo sehr viele Menschen nicht wählen können“. Damit so etwas funktioniere, müsse der Prozess einwandfrei durchdacht und transparent sein. „Von Anfang an muss klar sein, welches politisches Mandat der Bürgerrat hat und wie die Ideen, die dort entwickelt werden, nachher von den Politikern umgesetzt werden“, so de Jonge. Bei einer schlechten Umsetzung könne ein Rat das Vertrauen in die Politik allerdings auch weiter untergraben.
Dem stimmt auch Tommy Klein, Direktor des Kundenservices von TNS Ilres, zu. Das Luxemburger Meinungsforschungsinstitut hat die 30 Teilnehmer des „Biergerkommitee Lëtzebuerg 2050“ ausgewählt. „Wenn ich den Menschen verspreche, dass das Feedback des Rates mit in die politischen Entscheidungen einfließt, dann muss das auch so geschehen“, erklärte Klein gegenüber dem Tageblatt. Wenn das nämlich nicht geschehe, dann würde das die Bürger entmutigen. „Es reicht schon, dass man den Menschen die Möglichkeit gibt, mitzudiskutieren – das alleine motiviert die Menschen“, so Klein weiter. Denn: Die Einbindung der Bevölkerung existiere momentan in Luxemburg zum Teil überhaupt nicht.
Deswegen sei es wichtig, aus den bestehenden Modellen Lehren zu ziehen. „Nicht unbedingt inhaltlich, das soll jede Gruppe für sich machen, aber es geht vorwiegend darum, zu verstehen, wie ich es hinbekomme, dass so eine Gruppe gut funktioniert und worauf ich aufpassen muss, wenn ich rekrutiere“, sagte Klein. Die Gemeinde Düdelingen habe bereits einen guten allgemeinen Bürgerrat. „Die Bevölkerung wird wirklich eingebunden und debattiert regelmäßig“, so Klein. Im Ausland seien die Bürgerräte verbreiteter.
Bürgerräte im Ausland
In Frankreich gebe es etwa die „Convention Citoyenne pour le Climat“. Dort betreibe der Bürgerrat laut Klein eine sehr gute Arbeit: „150 Menschen haben dort während sechs Monaten 149 Vorschläge gemacht.“ Léonie de Jonge nennt genau dieses Gremium allerdings als Beispiel für eine schlechte Umsetzung eines Bürgerkomitees. Denn der Rat sei dort nur eine „Marionette“, die benutzt werde, um Bürgerpartizipation vorzutäuschen. Die französische Regierung habe viel versprochen, doch schlussendlich sei wenig dabei herausgekommen.
Ein Beispiel für einen gut funktionierenden Bürgerrat kommt laut de Jonge aus Irland: „Im Parlament gab es eine Blockade und 2016 hat die Regierung dann ein Bürgerkomitee mit 99 Menschen aus der irischen Bevölkerung ins Leben gerufen“, erklärte die Assistenzprofessorin. Der Grund: Die konservativen und progressiven Menschen wurden sich nicht über den Schwangerschaftsabbruch einig. Der Rat habe sich dann mit Experten, Betroffenen und anderen Vertretern getroffen und sich schlussendlich für eine Lockerung des Abtreibungsverbotes eingesetzt. Seit dem 13. Dezember 2018 ist der Schwangerschaftsabbruch in Irland erlaubt. „Ein Bürgerrat kann beim Lösen einer Blockade-Situation, in der die Politiker sich nicht einigen können, helfen“, so de Jonge.
Klein und de Jonge sind sich einig: Essenziell für den Erfolg eines Bürgerrates ist, dass die Gruppe auch wirklich die Bevölkerung repräsentiert – „und das ist sehr schwer“, so de Jonge.
„Zusammensetzung ist von essenzieller Wichtigkeit“
Genau mit dieser Problematik hat sich Tommy Klein beim „Biergerkommitee Lëtzebuerg 2050“ beschäftigt. Für das Projekt habe die TNS Ilres unter anderem über mehrere Kanäle einen öffentlichen Aufruf gestartet. „Und das hat gut funktioniert“, sagte Klein. „Das Auswahlverfahren darf sich nicht nur auf eine kleine Datenbank reduzieren – jeder soll die Möglichkeit haben, sich einzuschreiben.“ Wo dieser Aufruf stattfindet, entscheide schlussendlich auch, welche Menschen sich melden. Über die sozialen Medien erreiche man zum Beispiel nur ein gewisses Profil an Menschen. „Alleine mit der Wahl der Einschreibungsmethode definiere ich das Spektrum der Menschen, die ich erreiche“, so Klein.
Die ideale Vorgehensweise sehe allerdings anders aus: Eine zufällige Stichprobe aus einem Register – wie etwa dem der Krankenkasse. Das sei wegen Datenschutzes nur möglich, wenn das Benutzen des Registers im Interesse der Öffentlichkeit sei. „Eine klassische Umfrage fällt zum Beispiel nicht unter diese Kriterien“, präzisierte Klein.
Nach der Einschreibungsphase müsse dann eine Wahl getroffen werden – und genau dort sei eine unabhängige und erfahrene Bewertung wichtig. „Das ist nicht eine Frage der Person, sondern des Profils. Welche Profile brauche ich in meiner Gruppe, damit diese repräsentativ für die Gesellschaft ist?“ Klein betonte: „Der Erfolg von einem Bürgerrat steht und fällt mit der Rekrutierung – die Zusammensetzung ist von essenzieller Wichtigkeit.“ Bleibt also abzuwarten, wie die Mitglieder des Klima-Bürgerrates ausgewählt werden.
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„Bleibt also abzuwarten, wie die Mitglieder des Klima-Bürgerrates ausgewählt werden.“ Genau.
Willkommen in der Räterepublik . Das Experiment partipizativer Demokratie der Pariser Kommunarden endete an der Kommunardenmauer auf dem Père Lachaise.
Wie wäre es mit etwas mehr gesundem Menschenverstand, anstatt unsere demokratischen Staatsstrukturen mit „Räten“ aufzuweichen? Weniger „Klimapolitik“, mehr Schauen auf echte Probleme. Leute, die glauben, sie könnten oder müssten die globale Temperatur anno 2050 oder 2100 kontrollieren, gehören nicht in eine Regierung.