Luxemburg / Pornosucht nimmt zu – auch bei Minderjährigen
Immer mehr Menschen schauen Pornos. Dabei bleibt oft unerwähnt, dass der übermäßige Konsum von pornografischem Material süchtig machen kann. Das gilt für Erwachsene wie Minderjährige. Die Konsequenzen dieser Sucht sind soziale Isolation, Beziehungsprobleme oder sogar körperliche Schmerzen.
Pornos sind immer und überall zugänglich. Das Smartphone macht es möglich. Laut einer französischen Studie greifen mehr als die Hälfte der Menschen nur auf das Handy zurück, um pornografische Seiten zu besuchen – bei Minderjährigen sind es sogar 75 Prozent. Auch in Luxemburg konsumieren Kinder und Jugendliche immer öfter Pornos. Die Trainer von Bee Secure besuchen jedes Jahr mehr als 1.200 Klassen und außerschulische Gruppen in Luxemburg. Ihr Fazit, laut einem thematischen Beitrag von Bee Secure: „Die meisten von ihnen haben den Eindruck, dass ein großer Teil der 12- bis 13-Jährigen bereits mit Pornografie in Berührung gekommen ist und dass dieser Kontakt immer früher stattfindet.“ Und das, obwohl es Minderjährigen nicht erlaubt ist, Pornoseiten zu besuchen.
Pornografienutzungsstörung
Die richtige Bezeichnung von „Pornosucht“ ist eigentlich Pornografienutzungsstörung. Aus Lesbarkeitsgründen benutzen wir den kürzeren Begriff „Pornosucht“.
Aus dem Bee Secure-Radar für das Jahr 2023 geht hervor: Nach Einschätzung der zwölf- bis 16-Jährigen ist fast ein Drittel der Gleichaltrigen zumindest „manchmal“ mit pornografischen Inhalten konfrontiert. Nach den Aussagen der 17- bis 30-Jährigen sind es sogar 81 Prozent ihrer Altersgenossen – mehr als ein Drittel ist ihnen „sehr häufig“ ausgesetzt. Doch was, wenn der Pornokonsum zur Sucht wird?
Das „Zenter fir exzessiivt Verhalen a Verhalenssucht“ (ZEV) beschäftigt sich mit dieser Frage. Das Tageblatt hat mit Psychologe und ZEV-Direktor Andreas König und Psychologe Hamadou Zarmakoye gesprochen.
Wie viele Menschen leiden in Luxemburg unter Pornosucht?
Andreas König: Pornosucht ist schwer zu messen und abzugrenzen. Verlässliche Daten gibt es also kaum. Meist wurde sie unter dem Dachkonstrukt der sogenannten hypersexuellen Störung gemeinsam mit exzessiver Nutzung von Cybersex und exzessivem Masturbieren erfasst. Deswegen schwanken die Schätzungen zwischen drei und sechs Prozent der Bevölkerung. Nach der bisher einzigen für die Bevölkerung repräsentativen Studie aus Australien bezeichnen sich vier Prozent der Männer und ein Prozent der Frauen selbst als pornosüchtig, und fast doppelt so viele schätzen ihren Konsum als problematisch ein. Im Fremdurteil durch Experten werden es vermutlich weniger sein, aber von mindestens einem Prozent der Bevölkerung würde ich auch in Luxemburg ausgehen. Wenn man sich die Nutzungsstatistiken der Anbieterplattformen anschaut, zeigen diese klar, dass der Konsum massiv gestiegen ist.
Ab wann wird der Konsum von Pornos zur Sucht?
Hamadou Zarmakoye:
Die Häufigkeit und die Art des Konsums sind allein nicht ausreichend, um festzustellen, ob eine Pornosucht vorliegt. Es gibt beispielsweise Männer, die viel Pornografie konsumieren, allerdings gar kein Problem damit haben. Umgekehrt gibt es welche, die wenig konsumieren, allerdings das Gefühl haben, keine Kontrolle über ihr Pornokonsumverhalten zu haben. Das Gefühl des Kontrollverlustes ist entscheidend für eine Diagnose. Und zwar wenn die Person immer wieder den Drang verspürt, Pornos zu schauen und es nicht schafft, ihn von selbst einzuschränken, trotz der starken negativen Konsequenzen.
Was sind die negativen Folgen von Pornosucht?
Hamadou Zarmakoye:
– Schul-, Studien- oder Arbeitsalltag werden nicht mehr adäquat bewältigt. Es passieren viele flüchtige Fehler wegen Konzentrationsproblemen, da die Gedanken des Betroffenen permanent um Pornokonsum kreisen.
– Der Betroffene zieht sich immer mehr zurück. Soziale Kontakte werden kaum gepflegt, man wird unzuverlässig und Freizeitaktivitäten werden vernachlässigt. Der Pornokonsum wird stattdessen zum Lebensmittelpunkt.
– Dadurch, dass die Person geistig kaum anwesend, uninteressiert, lust- und motivationslos ist, kommt es in der Beziehung oft zu Konflikten. Auch das Sexleben wird immer mehr vernachlässigt. Der Betroffene entwickelt im Laufe der Zeit eine erektile Dysfunktion bei realem Sex. Beim Anschauen von Pornos und gleichzeitigem Masturbieren kann er weiterhin eine solide Erektion erreichen. Das hat zur Folge, dass die Partnerin sich zurückgewiesen und nicht geliebt fühlt.
– Der Betroffene leidet stark unter seinem Pornokonsum. Er hat oft mit Schuld- und Schamgefühlen zu kämpfen. Er ist meist angespannt und innerlich unruhig. Der Schlaf wird in der Regel beeinträchtigt. Der Konsum kann sogar zu körperlichen Schmerzen führen.
Welche Menschen sind besonders oft von dieser Sucht betroffen?
Andreas König:
Bei uns im ZEV melden sich hauptsächlich Männer im Alter von 20 bis 40 Jahren, was auch mit der Studienlage übereinstimmt. Als weitere Risikofaktoren haben sich in Studien wiederholt Faktoren wie Religiosität, häufige Internetnutzung, negative Stimmungslagen, Neigung zu (sexueller) Langeweile, Vermeidungsverhalten, emotionale Defizite, niedriger Selbstwert, Stress und Einsamkeit erwiesen. Da diese bei Betroffenen in unterschiedlichen Kombinationen vorliegen können, kann man da nur schwer einen „Typ“ identifizieren und in Zahlen ausweisen.
Wie bekämpft man diese Sucht?
Hamadou Zarmakoye:
Es ist wichtig, mit einer vertrauten Person oder einem Professionellen wie einem Hausarzt darüber zu reden. In der Beratungsstelle ZEV bieten wir Therapie und Beratung für die Betroffenen und ihre Angehörigen an. Der Aufbau einer tragfähigen, therapeutischen Arbeitsbeziehung im Sinne von Empathie, Wertschätzung und bedingungsloser Akzeptanz ist entscheidend für einen günstigen Therapieverlauf. Dies hilft dem Betroffenen, um u.a. seine Ängste und Unsicherheiten sowie seine Schuld- und Schamgefühle zu überwinden. Der Klient wird zudem über exzessiven Pornokonsum als Suchterkrankung aufgeklärt, damit er die Krankheit besser versteht und Akzeptanz entwickelt. Um den Konsum zu reduzieren, kann zum Beispiel ein Suchttagebuch helfen, in dem die Person notiert, wann und wie lange sie Pornos schaut. Auch technische Tools wie Filter-Softwares oder Zeitschlösser sind hilfreich. Damit ist es möglich, Pornoseiten nicht oder nur für eine begrenzte Zeit nutzen zu können. Der Klient wird außerdem ermutigt, vernachlässigten Freizeitaktivitäten in der Zeit des exzessiven Konsums erneut nachzugehen. Ein Rückfallplan ist auch wichtig. Dabei wird mit dem Klienten in Detail über konkrete Strategien besprochen, wie beispielsweise was tun, wenn er den Impuls verspürt, Pornos zu schauen oder wenn er bereits rückfällig würde.
Situation in Frankreich
Laut einer von Arcom erstellten Studie aus Frankreich sind immer mehr Minderjährige pornografischen Inhalten im Internet ausgesetzt. Im Jahr 2022 besuchten 2,3 Millionen Minderjährige pornografische Websites – eine Zahl, die innerhalb von fünf Jahren um 36 Prozent gestiegen ist. Ab zwölf Jahren besucht demnach im Durchschnitt mehr als die Hälfte der Jungen und ein Drittel der Mädchen jeden Monat solche Seiten. Im Alter von 16 bis 17 Jahren sind es fast zwei Drittel der Jungen. Im Durchschnitt sind zwölf Prozent der Besucher von Internetseiten mit pornografischen Inhalten Minderjährige.
Welche Rolle spielt Pornografie im Leben von Minderjährigen?
Andreas König:
Das kommt stark aufs Alter an. Bei den Jüngeren ist der anfängliche Kontakt oft noch mit einem gewissen Schock und Ekel verbunden. Das ist schwierig, wenn man mit niemandem darüber reden zu können glaubt. Später spielt dann neben der sexuellen Gratifikation vor allem die Neugierde über Sex und das andere Geschlecht eine große Rolle. Wenn Pornofilme Zeitschriften wie früher die „Bravo“ ersetzen, besteht die große Gefahr, dass problematische Vorstellungen darüber vermittelt werden, welche Art von Sex, Brust- und Penisgrößen „normal“ sind, welche „Performance“ Männer zu liefern haben und dass Frauen „allzeit bereit“ sind und die Befriedigung des Mannes als oberstes Ziel beim Sex verfolgen. Das kann bei echten sexuellen Erfahrungen dann auch zu Leistungsdruck, Ängsten, Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühlen führen.
Wie häufig ist Pornosucht bei Minderjährigen?
Andreas König:
Bei uns melden sich in der Tat auch Volljährige, die bereits über eine mehrjährige problematische Nutzungsphase berichten. Da sich unser Angebot aber explizit auch an Jugendliche richtet, wären wir froh, wenn diese sich lieber früher als später an uns wenden. Zahlen über die Prävalenz bei Minderjährigen gibt es nicht, nicht zuletzt, weil der Konsum für Minderjährige illegal ist, auch wenn das nicht der breiten Realität entspricht.
Haben Sie schon von Minderjährigen gehört, die während des Unterrichts Pornos schauen?
Andreas König:
Ja, wobei das weniger mit Sucht zu tun hat, als vielmehr mit einem rebellischen Reiz am Verbotenen und mit einer problematischen Nutzung von Social Media, bei der auf jede Benachrichtigung gleich reagiert und blind einem Link gefolgt wird.
Umfrage in Deutschland
Jede dritte Person im Alter von 11 bis 17 Jahren (35 Prozent) in Deutschland hat bereits einen Porno gesehen. Das geht aus der Befragung „Erfahrung von Kindern und Jugendlichen mit Sexting und Pornos“, die 2023 von der Landesanstalt für Medien NRW in Auftrag gegeben wurde. Die Studie befragte über 3.000 in Deutschland lebende Kinder und Jugendliche im Alter von 11 bis 17 Jahren. „Besorgniserregend ist, dass die Konfrontation Minderjähriger mit pornografischen Inhalten häufig unfreiwillig geschieht und die eigene Sexualität und das eigene Sexting-Verhalten potenziell beeinflusst“, geht aus der passenden Pressemitteilung hervor. Minderjährige würden bereits im frühen Alter in Kontakt mit Pornos kommen. Den ersten Porno sahen die meisten Befragten zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr. Mädchen und Jungen würden sich in dieser Hinsicht kaum unterscheiden. Laut Umfrage ebenfalls problematisch: Nur 33 Prozent der Befragten, die solche Inhalte schon einmal gesehen haben, bezeichneten die meisten Pornos als unrealistisch. Unter den 11- bis 13-jährigen Jungen waren es sogar nur 19 Prozent.
Hat Pornosucht bei Minderjährigen in den vergangenen Jahren zugenommen?
Andreas König:
Die Zahlen sprechen dafür. Der am meisten angegebene Konsumgrund ist übrigens Langeweile. So ist z.B. während der Covid-19-Pandemie der Konsum altersübergreifend deutlich angestiegen. Jungen Menschen scheint es immer schwerer zu fallen, Langeweile auszuhalten, weil jeglichem Anflug sofort per Smartphone mit Ablenkung begegnet werden kann. Dies trifft dann auf ein Internet, in dem sich Pornos in Hülle und Fülle kostenlos, anonym, sowie leicht zugänglich ohne effektive Alterskontrolle konsumieren lassen.
Ist Pornografie grundsätzlich gefährlich?
Andreas König:
Alles, was Lust bereitet, kann verantwortlich genutzt werden. Je nach Ausmaß und Umständen kann es auch gefährlich sein. Je geringer das Bewusstsein über mögliche schädliche Auswirkungen eines gesteigerten Konsums und je geringer die Impulskontrolle, desto höher das Risiko für negative Entwicklungen. Damit sind zumindest Jugendliche einem höheren Risiko ausgesetzt.
Was sollte unternommen werden, um die Zahl der Pornosüchtigen zu reduzieren?
Andreas König:
Der strukturpräventive Ansatz wäre, vor allem für Minderjährige und an Arbeitsplätzen eine Zugangsbeschränkung zu etablieren. Das ist aber mit erheblichen rechtlichen und technischen Herausforderungen verbunden. Auf verhaltenspräventiver Seite gilt es zunächst, das Thema in die öffentliche Diskussion zu bringen und besprechbar zu machen. Darüber hinaus müssen gefährdete Zielgruppen für Wirkmechanismen und Folgen sensibilisiert werden. Beides hilft nicht nur primärpräventiv, den verantwortlicheren Konsum zu fördern, sondern insbesondere auch die Schamgrenze und damit die Schwelle zur Inanspruchnahme von Hilfe zu senken. Nur so kann rechtzeitig geholfen und tragische Entwicklungsverläufe verhindert werden.
Wie das Bildungsministerium über Pornos aufklärt
Dem Bildungsministerium liegen ebenfalls keine konkreten Zahlen zur Pornosucht bei Minderjährigen in Luxemburg vor. „Aufgrund der Schambesetzung des Themas und der wahrscheinlichen, nicht zu beziffernden Dunkelzahl, gibt es keine offiziellen Zahlen“, schreibt eine Sprecherin auf Tageblatt-Nachfrage. Um Minderjährige und andere Schüler über die Gefahren von Pornos aufzuklären, setzt das Bildungsministerium auf „eine frühe Sensibilisierung und Auseinandersetzung mit den digitalen Lebenswelten“. Die Initiative Bee Secure hat beispielsweise eine Informationsbroschüre für Eltern und Personal aus dem Bildungswesen zusammengestellt. Erzieher und Lehrer können ebenfalls an der Weiterbildung „Sexuelle Darstellungen im Netz: Was reizt Jugendliche?“ teilnehmen.
Laut ZEV-Psychologe Andreas König kann Pornografie „problematische Vorstellungen“ vermitteln. Um dagegen vorzugehen, setzt das Bildungsministerium auf die „éducation sexuelle et affective“, die sowohl in der Grund- als auch der Hochschule Bestandteil des Schulprogramms sind. „Hierbei geht es zum einen um Sexualität aus biologischer Sicht, aber auch um den Menschen als ‚sexuelles, fühlendes oder Zuneigung spendendes Wesen’“, heißt es aus dem Bildungsministerium. Das fängt bereits im Zyklus 1 an, allerdings „ohne Bezug zur Sexualität“.
Die Bücherreihe „Chmenki – Ech sinn de Chef vu mengem Kierper“ vom „Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques“ (SCRIPT) soll das Selbstwertgefühl von Grundschülern stärken. Und: Der SCRIPT veröffentlicht diesen Herbst das Unterrichtsmaterial „Sexuelle Bildung in der Grundschule“, in dem „der affektive Aspekt sehr prominent ist“. Das Hochschul-Fach „Vie et société“ thematisiert unter anderem auch den Umgang mit Bildern, die die modernen Massenmedien von der Sexualität vermitteln.
Hinzu kommen weitere Ausbildungen vom „Institut de formation de l’éducation nationale“ (IFEN), Beiträge vom „Planning familial Lëtzebuerg“ und Kurse vom „Service national de la jeunesse“ (SNJ). Das über 150 Seiten starke Handbuch „Let’s talk about sex“ ist ein Nachschlagewerk, das sich mit der Förderung der emotionalen und sexuellen Gesundheit befasst. Und: „Es ist vorgesehen, in Zusammenarbeit mit dem ‚Zentrum fir d’Promotioun vun der affektiver a sexueller Gesondheet’, dem ZEV und dem ‚Kannerjugendtelefon’ ein neues Kapitel auszuarbeiten, das spezifisch Pornografie thematisiert“, schreibt das Bildungsministerium. Diese Ergänzung soll kommendes Jahr hinzugefügt werden.
Das Bildungsministerium hebt dann auch das ZEV als wichtige Anlaufstelle für Menschen, die unter Pornosucht leiden, hervor – auch für Minderjährige.
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