Steuerhinterziehung / Professor für Strafverfahren: „LuxLeaks war ein Erdbeben, OpenLux nur ein Erdrutsch“
Für Stefan Braum, Professor für Strafverfahren an der Uni.lu, ist die Affäre OpenLux nicht mit LuxLeaks vergleichbar. Die Devise heiße jetzt ganz klar: „Kritik gelassen nehmen, Probleme angucken, Vollzugsdefizite beheben und den Compliance-Sektor in Luxemburg weiter stärken“.
Die LuxLeaks haben Luxemburg 2014 als Steuerparadies gebrandmarkt. Nach fast sieben Jahren steht das Großherzogtum nun wieder unter Beschuss. Der Grund: die OpenLux-Texte, die dem luxemburgischen Finanzplatz vorwerfen, weiterhin als Heimat für Steuerhinterziehung und Geldwäsche zu fungieren. Für Stefan Braum, Professor für Strafverfahren an der Uni Luxemburg, sind beide Skandale nicht vergleichbar. „Bei LuxLeaks ging es ja um illegale Aktivitäten“, sagt Braum dem Tageblatt gegenüber. Die aktuelle Affäre scheine wesentlich weniger Aufmerksamkeit von der internationalen Presse zu bekommen. „OpenLux ist in Deutschland kein Thema mehr – LuxLeaks war ein Erdbeben und OpenLux nur ein Erdrutsch“, so der Strafverfahrensexperte.
Stefan Braum sei nicht besonders überrascht über die OpenLux-Affäre. Luxemburg sei noch immer dabei, den europäischen Rechtsrahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung umzusetzen. Die europäischen Regeln seien sehr komplex. „Deswegen sind an der Bekämpfung nicht nur Strafverfolgungsorgane wie die Staatsanwaltschaft, die ‚Commission de surveillance du secteur financier‘ (CSSF), die ‚Cellule de renseignement financier‘ (CRF) und die Polizei beteiligt“, erklärt der Professor. Auch Finanzdienstleister seien Teil des Prozesses. Dazu gehören unter anderem die Banken, Versicherungen, Anwälte und Notare. „Es sind sehr viele Akteure, die da mitmischen – private und öffentliche.“
Die Privatakteure werden durch Regelungen zum Teil verpflichtet, verdächtige Bewegungen an die Staatsanwaltschaft zu übermitteln. „Das ist für eine Bank eine Gratwanderung: Auf der einen Seite befindet sich die Pflicht, an dieser Prävention mitzuwirken, auf der anderen sind die Regeln, die sie gegenüber ihren Kunden einhalten müssen“, sagt Braum. Dazu gehöre zum Beispiel der Datenschutz.
„Unabdingbarer“ Compliance-Sektor
Um bei dieser Gratwanderung nicht umzufallen, sei der Compliance-Sektor essenziell. Diese Abteilung arbeite in einer privaten Firma und kümmere sich um die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und unternehmensinternen Richtlinien. Der Bereich dient laut Braum also als Verbindungsglied zwischen privatem und öffentlichem Bereich. „Der Compliance-Sektor hat sich erst in den vergangenen paar Jahren in Luxemburg richtig entwickelt – im Ausland gibt es das schon länger“, sagt der Experte. Die schwierigen und komplexen EU-Geldwäsche-Richtlinien sollen die Notwendigkeit solcher Angestellten noch beschleunigt haben.
Ein Beispiel: Die Compliance-Abteilung wägt ab, welchen Risiken die Firma ausgesetzt ist, wenn sie bestimmte Informationen nicht an die Staatsanwaltschaft weitergibt. „Und umgekehrt: Welchen Haftungsrisiken sie gegenüber ihren Kunden ausgesetzt ist, wenn sie es tut – da entstehen zum Teil Konflikte“, erklärt Braum. An den Luxemburger Stellenanzeigen erkenne man, dass Compliance-Sektoren auch für kleine und mittelständige Betriebe unabdingbar seien.
Laut Stefan Braum sei es nun wichtig, diesen Sektor noch weiter zu fördern und vor allem die Zusammenarbeit zwischen den Justizbehörden, der CSSF und dem Compliance-Bereich zu verbessern. „Andere Länder haben Leitlinien und Modelle, wie man so ein Management-System in ein Unternehmen implementiert – es ist aber normal, dass Luxemburg da noch nicht so weit ist“, sagt der Professor. Luxemburg habe später als andere Länder angefangen, die Compliance einzuführen.
Stichwort: Professionalisierung
OpenLux hat laut Stefan Braum allerdings eine Sache noch einmal ganz klar gezeigt: Das Großherzogtum brauche eine Professionalisierung der Strafverfolgung. „Professionalisierung bedeutet, dass man sich das nötige Fachwissen suchen geht – und Luxemburg steht da noch ganz am Anfang“, sagt der Strafverfahrensexperte. Andere Länder sollen das schon vor 20 Jahren eingeführt haben. In Frankreich gebe es zum Beispiel auch eine eigene Strafkammer, die sich nur um Wirtschaftsstrafsachen kümmert. „Bei so einer Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft arbeiten nicht nur Juristen, sondern auch Steuerberater, Finanzmathematiker, Informatiker und jetzt natürlich seit neustem Leute, die sich mit künstlicher Intelligenz auskennen“, erklärt Braum.
Das sind eigentlich Sachen, die einer geschulten Strafverfolgungsbehörde auffälltProfessor für Strafverfahren
Die fehlende Professionalisierung habe sich beim „Registre des bénéficiaires effectifs“ (RBE) bemerkbar gemacht. In der OpenLux-Recherche wurde Luxemburg unter anderem an den Pranger gestellt, weil die Liste unvollständig und fehlerhaft sei. „Da erkennt man dann das Luxemburger Vollzugsdefizit – das sind eigentlich Sachen, die einer geschulten Strafverfolgungsbehörde auffällt“, sagt Braum. Das sei kein Vorwurf, aber die Regierung müsse nun darüber nachdenken, wie man das beheben könne.
Eine Lösung sei die spezialisierte Ausbildung und Weiterbildung. „Die Luxemburger Uni bildet viele kluge junge Menschen aus, die unter anderem für den Compliance-Sektor mehr als qualifiziert sind“, erklärt der Professor für Strafverfahren.
OpenLux kurz vor einer GAFI-Kontrolle
„Ich würde zu mehr Gelassenheit raten anstatt zu dieser politischen Aufregung, die da herrscht – man soll die Kritik einfach mal annehmen, sich anschauen, was davon zutreffend ist, und sich damit für die Zukunft wappnen“, sagt der Experte. Vor allem mit dem Blick auf die bevorstehende Kontrolle der „Groupe d’action financière“ (GAFI). Die GAFI überprüft ihre Mitgliedsländer regelmäßig auf die ergriffenen Maßnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Die Kontrolle vom März wurde wegen Covid-19 nach hinten verschoben. „So ein GAFI-Bericht kann gravierende Folgen haben: Zum einen geht es um den politischen Ruf und zum anderen um die Bedeutung des Finanzplatzes und deren Stellung in Europa und der Welt“, sagt Braum.
Ich würde zu mehr Gelassenheit raten anstatt zu dieser politischen Aufregung, die da herrschtProfessor für Strafverfahren
Für den Bericht verlangt die GAFI laut Stefan Braum eine Art kritische Selbsteinschätzung. Luxemburg müsse die Vollzugsdefizite dann auch selbstkritisch gegenüber der GAFI aufbringen. „Das ist keine Schande – im Gegenteil, das belegt eine sachgerechte Selbsteinschätzung“, sagt der Professor. Dadurch könne die Regierung dann auch zeigen, wie sie plane, diese Probleme zu beheben. Trotzdem müsse man sich angesichts der momentanen Berichterstattung darauf vorbereiten, dass das „kein Spaziergang“ werde. Die Regierung könne der GAFI nämlich nicht einfach sagen, die Kritik sei unberechtigt. „Dann sagen die: ‚Nö, die ist sehr berechtigt – und was wollen Sie dagegen machen?’“, betont Braum.
Die Problematik der Steuerhinterziehung wird für Stefan Braum nach der Corona-Krise noch akuter werden. „Der finanzielle Druck auf Europa wird nach der Pandemie so groß sein, dass die EU sich eine Politik der Steuervermeidung nicht mehr leisten kann“, sagt Braum. Konsequenz: eine Optimierung des Steueraufkommens und das Verhindern der Steuerhinterziehung. Es sei also möglich, dass Covid-19 den Übergang zu einem sozialeren Steuersystem beschleunigt habe. „Dazu bedarf es nämlich einer gesamteuropäischen Lösung“, erklärt er.
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Kritik gelassen hinnehmen?
Kritik ist die preiswerteste und ehrlichste Beratung.
Aus Kritik kann man lernen, Herr Professor.
Professor ist übrigens nur ein Titel aber kein Beruf.