/ Programm-Macher: Marc Scheer will der Kulturfabrik musikalisch „neues Leben einhauchen“
Seit Anfang September ist Marc Scheer für die Musikprogrammierung der Kulturfabrik verantwortlich. Wir haben uns mit dem gebürtigen Wiltzer, der zehn Jahre lang das Kulturprogramm im Prabbeli in Wiltz koordinierte, über eine mögliche neue musikalische Ausrichtung der Kulturfabrik und die hiesige Musik- und Festivallandschaft unterhalten.
„Meiner Meinung nach hat die Kulturfabrik die tollste Konzerthalle des Landes. Leider befindet die sich seit einiger Zeit im Dornröschenschlaf. Ich sehe es als meine Aufgabe an, diesem Ort wieder Leben einzuhauchen. Damit will ich aber keineswegs die von meinem Vorgänger Romuald Collard geleistete Arbeit schlechtreden. Ich stelle nur fest, dass Konzerthallen wie die Rotondes oder der Gudde Wëllen eine wichtigere Rolle in der rezenten Entwicklung der Luxemburger Musikszene gespielt haben.“
Seit Anfang September arbeitet Marc Scheer in der Kufa. Eine große Umstellung ist das für ihn nicht – die Distanzen und Unterschiede zwischen Norden und Süden sind in einem kleinen Land wie Luxemburg kaum überwältigend. „Irgendwie denke ich, dass Esch und Wiltz so einiges verbindet. Da wären beispielsweise die Mentalität und die Multikulturalität. Ich wohne zudem mittlerweile in Bonneweg – es scheint mir, als wären dies drei Deklinationen einer sehr ähnlichen Form des Zusammenlebens.“
In Wiltz hat Marc Scheer die kulturelle Entwicklung des Prabbeli maßgebend geprägt. Als er Ende 2008 dort eingestellt wurde, kümmerte er sich erst mal um die Organisation des Kinoprogramms und von Konzerten. Letzteres ist seit jeher Marc Scheers Leidenschaft. „Das hat mich mehr interessiert als meine schulische Ausbildung. Ich habe bereits im Gymnasium damit begonnen, Konzerte und Busreisen zu größeren Konzerten zu organisieren.“
Gut im Vernetzen
2011 wurde Scheer zum Hauptverantwortlichen des Kulturprogrammes – und stellte fest, dass es an der Zeit war, das Programm anders auszurichten. Dazu gehörte die Aufwertung der „Nuit des lampions“. „Damals lag der Schwerpunkt auf den Laternen, es gab ein kleines Spektakel, in einer Ecke spielte ein einsamer Musiker. Ich dachte, man müsste die Atmosphäre im Garten mit kulturellen Events hervorheben. Folglich habe ich mich auf Musik, Theater und Street Art konzentriert. Nebenbei förderten wir das Event – und zeitgleich die ‚Coopérations‘ in Wiltz –, indem wir verstärkt auf anderen Festivals wie dem Food for your Senses oder dem Siren’s Call vertreten waren.“
Dass diese Form von Vernetzung in Luxemburg überaus wichtig ist, weiß Marc Scheer. Eines der Nebeneffekte der Präsenz auf zentralen Festivals ist es, einem regionalen Kulturzentrum, das nicht jeder auf dem Radar hat, eine Vitrine zu geben.
„Im Norden gibt es neben dem Prabbeli noch das CAPE in Ettelbrück und den Cube in Marnach. Da wir bis zur Eröffnung des Brandbaus im Jahr 2017 keinen eigenen Veranstaltungsraum hatten und der Brandbau auch eher ein Raum für alternativere Kunstrichtungen ist, war es uns klar, dass wir in Wiltz keine klassischen Konzerte oder großen Theaterinszenierungen programmieren würden. Diese Ausrichtung passt ohnehin besser zum Konzept der „Coopérations“ – und so schliffen wir nicht nur unser Profil, sondern standen den stilistischen Tendenzen der anderen regionalen Kulturzentren nicht im Weg.“
Eklektizismus
In der hiesigen Musikszene ist Marc Scheer seit langem bekannt. Als er die Stellenausschreibung in der Kufa sah, war er vorerst unsicher, ob er sich melden sollte. „Einerseits mochte ich die Kollegen und die Arbeit in Wiltz. Andererseits war ich für eine neue Herausforderung bereit. Weil ich hin- und hergerissen war, postulierte ich dann quasi in letzter Minute. Und war schlussendlich mehr als froh, die Stelle bekommen zu haben.“ Marc Scheers musikalische Wurzeln, die im Posthardcore und in der Rockszene aus Seattle liegen, sollen dabei weder vernachlässigt werden noch einen zu prominenten Einfluss haben.
„Faith-no-More-Sänger Mike Patton hat mal gesagt: ‚Es gibt keine Musikgenres. Es gibt nur gute und schlechte Musik.‘ Ich sehe das genauso. Im Laufe der Zeit ist mein Musikgeschmack immer eklektischer geworden. In erster Instanz geht es mir darum, dass die Kufa wieder moderner wird. Das bedeutet nicht, dass man gar keine alteingesessenen Bands programmieren soll. Und ich will jetzt auch nicht das Metal-Genre, das ja in den letzten Jahren eine wichtige Rolle in der Kufa gespielt hat, aus der Programmierung streichen. Die Schwerpunkte müssen allerdings ausgeglichener gelegt werden.“
Trotz seines eklektischen Geschmacks wird es Marc Scheer auch in der Kufa um das Profilschärfen gehen. „Ich werde mich mit der Leitung der Kufa über die künstlerische Vision und Strategien unterhalten – um die erstmals zu verstehen. Dann will ich wissen, wie die Mitarbeiter, die in den Bereichen der Literatur oder der darstellenden Kunst arbeiten, ihren kulturellen Auftrag verstehen. Ich habe den Eindruck, dass die Kufa in diesen Bereichen in den letzten Jahren definitiv Pionierarbeit geleistet hat. Während in der Musik etwas rückständiger programmiert wurde.“
Das „Out of the Crowd“-Festival, das jedes Jahr eklektische, zeitgenössische und vor allem spannende Bands in die Kufa bringt, sieht Marc Scheer durchaus als mögliches Vorbild für seine Programmierung. „Das OOTC bietet ein bunt zusammengewürfeltes, und dennoch kohärentes Programm – von Indie-Rock über Post-Metal bis hin zu Jazz. Die Ästhetik des OOTC könnte man auch über das Festival hinaus als Richtlinie für die zukünftige Programmierung andenken.“
Bilden und aufrütteln
Marc Scheer sieht durchaus die Notwendigkeit, wieder verstärkt Luxemburger Bands in die Kufa einzubeziehen. Dabei sollen die keineswegs nur kurz im Vorprogramm auftreten. „Wir haben ausreichend Bands, die man auf fast jeder Bühne auftreten lassen kann. Eigentlich würde ich sehr gerne den kleinen Saal der Kufa wieder verstärkt nutzen – während des OOTC merkt man ja, wie toll der ist. Dies würde einem erlauben, Konzerte spontaner zu planen – man könnte eine Band, die im Ausland auf Tournee ist, in die Kufa bringen, eine der Bands, die hier ihren Proberaum haben (darunter befinden sich Größen wie The Disliked, Mutiny on the Bounty oder Ryvage), in das Vorprogramm nehmen und ein qualitativ hochwertiges Abendprogramm anbieten – und das ohne den technischen Aufwand und die Zuschaueranzahl, die für ein Konzert in der großen Halle benötigt werden.“
Die Zukunft der Festival-Landschaft in Luxemburg sieht Marc Scheer trotz des Dahinschwindens des Food for your Senses nicht pessimistisch: „Das ‚Food‘ war ungemein wichtig. Nicht nur, weil es eine Alternative zum Mainstream-Programm bot, sondern auch, weil es für die persönliche Entwicklung vieler junger Menschen ausschlaggebend war. Viele fanden durch das ‚Food‘ heraus, was sie später hauptberuflich machen würden – und sind nun zu wichtigen Akteuren der Kulturlandschaft geworden. Ich denke dabei an Luka Heindrichs und sein Kulturprogramm im ‚Gudde Wëllen‘ oder an Fanny Weinquin, die in der Kunstszene eine wichtige Figur ist. Des Weiteren war das ‚Food‘ auch ein Arschtritt für größere Festivalorganisatoren. Weil es zeigte, dass ein Festival eine Gesamterfahrung ist, und es wichtig ist, dass abseits der Bühne mehr als nur eine Frittenbude und ein Bierstand angeboten werden. Das ‚Siren’s Call‘ hat dank des ‚Food‘ aus den Fehlern des ‚Rock-A-Field‘ gelernt. Sowohl Künstler wie Festivalbesucher verbringen ihre Zeit viel lieber auf einem Gelände, das liebevoll gestaltet wurde. Die kleinen Festivals, die es heute noch gibt – das ‚Last Summer Dance‘, das ‚Pangea‘, das ‚Koll an Aktioun‘ –, übernehmen nun diese bildende und aufrüttelnde Funktion des ‚Food‘.“
Vielleicht ist Marc Scheer der musikalische Arschtritt, den die Kufa benötigt.
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