Lëtzebuerg City Museum / „Pure Europe“: Die Ausstellung bricht mit Klischees über Europa
Was ist Europa? Das ist das Thema, dem die Ausstellung „Pure Europe“ im hauptstädtischen City Museum nachgeht. So eindeutig es dem einen erscheint, so schwierig ist es in der Sache. Wenige Wochen vor der Wahl ist die Schau ein „Must see“ und regt zum Nachdenken an.
Besucher haben am Ende der Ausstellung ihre Vorstellung von Europa zu Papier gebracht. Ein Besucher fordert die direkte Wahl des Kommissionspräsidenten auf der Pinnwand. Ein anderer hat „Heimat“ und „Schönheit“ aufgeschrieben. Schlagworte wie „Diversity“, „Peace“ oder „Freiheit“ tauchen in vielen anderen der Notizen auf. Es sind viele und dass jemandem nichts dazu eingefallen ist, gibt es nicht.
Auf der „Aire de Berchem“ befragte Lkw-Fahrer auf der Durchreise haben noch mal eine andere Sicht. Der in die Ausstellung integrierte Film mit „mini-sondage“ an Europas größter Tankstelle liefert spannende Zeitzeugnisse. Die Kuratoren Pit Péporté und Sophie Neunkirchen arbeiten mit Kontexten, die man so nicht erwartet. Es provoziert und inspiriert.
Der in Marmor gearbeitete David steht zwischen den Hitlergruß zeigenden Faschisten in Italien und weinenden Flüchtlingskindern im Camp Moria. „Cultivated“ steht unter dem David. Wirklich? Die Makellosigkeit der bekannten Skulptur aus dem 16. Jahrhundert entlarvt die politischen Makel des 21. Jahrhunderts.
Was heißt eigentlich Europa – geografisch?
Alles spielt in Europa, von dem mal noch zu klären wäre, was eigentlich damit gemeint ist, wenn man davon spricht. Ist Europa das geografisch definierte kontinentale Europa bis an den Ural? Oder ist Europa das höchst heterogene, politische Projekt der 27? Oder ist es in erster Linie ein Zivilisationsraum, der einen ähnlichen Lebensstil hervorgebracht hat, wo Australien beispielsweise dazugehört?
Dafür spricht die Teilnahme des Landes beim – Achtung! – Eurovision Song Contest. Gar nicht so einfach, die Sache mit Europa. Es bleibt jedem Einzelnen überlassen, darauf eine Antwort zu finden. Die Klischees hingegen, an denen sich die Ausstellung entlanghangelt, sind klar. Europa gilt vielen als kultiviert, weiß, reich, christlich und national. Stimmt das denn so?
Das ist eine Frage, die im Verlauf der sechs Kapitel, in die die Ausstellung aufgeteilt ist, immer wieder aufgeworfen wird. Ein paar Schritte weiter stehen dem „weißen“ Europäer mit dem nationalen Pass „people of colour“ mit dem gleichen Pass gegenüber: der Musiker Stromae aus Belgien, der französische Schauspieler Omar Sy oder die deutsche Schauspielerin Sibel Kekilli.
Wie weiß, reich und alt ist die Region?
Einzig das Foto der überwiegend „weiß“ besetzten Kommission hält, was das Klischee verspricht. Konfrontation und Infragestellen ist die Intention der Kuratoren, um sich dem Thema zu nähern. Beide vertrauen auf die Kraft der visuellen Eindrücke. Die Fotomotive und Installationen stehen für sich, die Zusammenstellung wirft oft erstaunliche Gräben auf.
Beim Thema „reich“ steht das luxemburgische „Cube“-Haus mit rasenmähendem Bewohner und Mittelklassewagen u.a. einem schlafenden „clochard“ vor einem Rolex-Geschäft in Paris gegenüber. Nicht nur, seit das kontroverse Thema „Heescherten“ in der Politik angekommen ist, steht das Thema in der Diskussion. Sind alle Europäer wirklich reich, wie manch einer in anderen Weltregionen glauben mag?
Und ist Europa wirklich „alt“? Während die demografische Entwicklung schon lange absehbar ist – immer weniger Erwerbstätige stehen immer mehr Rentnern gegenüber –, widerlegt zumindest die Architektur das Klischee. Das von Häusern aus der Gründerzeit umrahmte „Tanzende Haus“ in Prag, die Oper in Oslo oder die „Pilze von Sevilla“ widerlegen, dass Europa nur eine Art Disneyworld für Touristen und zumindest auf diesem Gebiet nicht innovativ ist.
Die Auseinandersetzung mit der Vielfalt an Bedeutungen, die dem „alten Kontinent“ zugeschrieben werden, ist eine spannende Erfahrung. Das findet auch der Präsident der „Association luxembourgeoise des enseignants d’histoire“ (ALEH), Max Schmitz, der gerade eine Führung mitgemacht hat. Er findet, dass die gezeigten Fotomotive ein guter Einstieg in den Unterricht zum Thema Europa sind – auch wenn sie viel Wissen voraussetzen. Das zu vermitteln, ist dann die Aufgabe der Pädagogen.
Die Kuratoren hatten den Mut, den Finger in scheinbar selbstverständlich geltende Innen- wie Außenansichten über Europa zu legen. Bleibt noch die Aufforderung „Europe is dreaming“, die auf einer der Treppenstufen am Eingang der Ausstellung steht. Mit einer Antwort darauf will Kurator Pit Péporté allerdings lieber passen. „Dafür gibt es hier nicht genug Papier“, sagt er, lacht vielsagend und verschwindet Richtung Ausgang und nächsten Termin.
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