Luxemburg / „PUT(A)IN A$$A$$IN“ – 3.000 Menschen demonstrieren gegen Krieg in der Ukraine
„Slava Ukraini“ hallt es am Samstagnachmittag mehrfach über den Clairefontaine-Platz in Luxemburg. „Heroiam Slava“ – wie ein Echo schallt die Antwort von den Mauern rund um die Statue von Großherzogin Charlotte zurück. 3.000 Menschen haben am Samstagnachmittag gegen den Krieg in der Ukraine demonstriert. Das Tageblatt hat sich unter die Protestierenden gemischt und mit ukrainischen Expats über die Invasion in ihrem Heimatland gesprochen.
„Stop de Krich“ prangt auf einem Banner über einem Meer aus blau-gelben Fahnen, Plakaten und Schildern, gehalten von Menschen, die sich dicht an dicht um die Statue von Großherzogin Charlotte drängen. Die Kulisse wird an diesem kühlen Spätwintertag von einem strahlend blauen Himmel und einigen Sonnenstrahlen komplettiert, die den Clairefontaine-Platz zumindest am nordöstlichen Rand leicht touchieren und den dort anwesenden Demonstranten etwas Wärme spenden. „Luxembourg says no to war“, skandiert die Menge, immer wieder gefolgt von einem „Slava Ukraini!“ – Ruhm der Ukraine, worauf die anwesenden Ukrainer inbrünstig mit einem „Heroiam slava! – Ruhm den Helden“ antworten. Ein Ausruf, der bis zum Unabhängigkeitskrieg der Ukraine vor 100 Jahren zurückverfolgt werden kann, während der Sowjet-Ära in der Ukraine als verboten galt und seit dem Einfall der russischen Streitkräfte zum nationalen Schlachtruf der Ukraine wurde.
Die ASTI, der OGBL, die Friddens- a Solidaritéitsplattform, „Mouveco“ und die Vereinigung „LUkraine“ haben am Samstagnachmittag zu einer Friedensdemo aufgerufen. Laut Organisatoren sollen fast 3.000 Menschen dem Aufruf gefolgt sein. Darunter haben sich auch zahlreiche Abgeordnete gemischt, Luxemburgs Kardinal Jean-Claude Hollerich war ebenso zugegen wie der Luxemburger EU-Kommissar Nicolas Schmit. Auch zahlreiche Familien mit ihren Kindern haben sich in die friedlich protestierende Menschenmenge gemischt. Kinder, die scheinbar unbedarft in der Menge herumlaufen und miteinander spielen, als entginge ihnen der Ernst des Anlasses.
Angst um Familie
Zwei dieser unbesorgten Kinder gehören zu Andrey. Andrey ist gebürtiger Ukrainer und lebt seit 2016 mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Luxemburg. Wegen der Arbeit hat es ihn damals nach Luxemburg verschlagen, erzählt der Familienvater dem Tageblatt. „Ich bin zumindest ängstlich“, sagt Andrey über seine derzeitige Gemütslage. Seine Eltern seien noch in der Ukraine, wenngleich Planungen laufen würden, sie nach Luxemburg zu holen. „Noch ist ihre Region nicht direkt betroffen – aber wer weiß, wie lange noch.“ Angst habe er, zugleich fühle er mit den Menschen, die noch in der Ukraine sind und den Krieg hautnah miterleben. Seine Eltern müssen das Land verlassen, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht haben – ohne Gewissheit, wann oder ob sie jemals zurückkehren können. „Die Situation entwickelt sich leider nicht in die richtige Richtung.“
Die Flucht aus der Ukraine – eine Odyssee, die nach Angaben der Vereinten Nationen mittlerweile über eine Million Menschen auf sich genommen haben. „Ich würde das Gleiche für meine Familie tun“, sagt Andrey. „Wir versuchen deshalb von hier aus zu helfen.“ Diese Menschen seien verzweifelt, haben alles verloren, so der zweifache Familienvater. Ob er seinen Kindern erklärt habe, was in der Heimat der Großeltern gerade passiere? „Ja, wir haben es ihnen erklärt“, sagt Andrey. Zumindest die ältere Tochter habe verstanden, was in ihrem Geburtsland vor sich gehe – das Küken der Familie hingegen wisse nicht, was sich in der Ukraine abspiele. „Sie weiß, dass gerade etwas passiert“, meint Andrey. „Sie weiß aber nicht, dass Menschen oder auch ihre Großeltern wirklich zu Schaden kommen können.“
„Krieg ist ein abscheuliches Verbrechen an der Menschheit“, ruft zwischendurch Raymond Becker, Mitorganisator von der „Friddens- a Solidaritéitsplattform“, durchs Mikrofon. Berichte würden sich häufen, dass sich tschetschenische Mörderbanden in den Krieg einmischen würden. Das Schlimmste würde noch bevorstehen, befürchtet der französische Staatspräsident. „Quelle horreur!“ Luxemburgs Solidarität gelte in diesen Zeiten der Ukraine.
Rufe erklingen aus der Menge, die mit deutlichen Botschaften für Russlands Autokraten aufwarten. „Stop Putin, Stop War“ ist auf gleich mehreren Plakaten zu lesen. „Putin – Killer. You Failed, Get Out!“ steht auf einem anderen Schild, das eine Frau mit steinerner Miene gen Himmel hält. „PUT(A)IN, A$$A$$IN“ steht auf einem Schild, das am Zaun befestigt wurde, der das Staatsministerium vom Clairefontaine-Platz trennt. Neben mehreren Aufforderungen an die NATO, eine Flugverbotszone über der Ukraine einzurichten – „Close Sky, Save Ukraine“, hatte es ein Demonstrant direkt auf die Männlichkeit des russischen „Dick-tators“ abgesehen.
Böse Erinnerungen
Unter die Protestierenden hat sich auch Frau Bukvic Repusic gemischt. „Dieser Blödsinn, dieser Krieg soll aufhören“, sagt sie ruhig, aber bestimmt. Die Dame mit grauen Haaren, schwarzer Hornbrille hat eine Luxemburger Fahne im Mantel zum Protest mitgebracht, ihre Beweggründe sind klar: „Wir haben den Krieg am eigenen Leib miterlebt“, erklärt die gebürtige Kroatin. „Dieser Krieg ist das Schlimmste, was es überhaupt gibt, und muss so schnell es geht gestoppt werden.“ Die Politik müsse sich in Acht nehmen und endlich aufhören, das Regime in Moskau zu unterstützen. Die Solidarität, die in Luxemburg herrsche, sei hingegen „immens“. „Vor 30 Jahren herrschte 1.000 Kilometer entfernt Krieg – nie wieder soll es dazu kommen“, sagt Frau Bukvic Repusic.
Inzwischen hat auch Nicolas Zharov von der „LUkraine asbl“ die Bühne betreten. Auf ein „Slava Ukraini“ folgt ein begeistertes „Heroiam slava!“. „Für viele von uns liegen die zehn längsten Tage unseres Lebens hinter uns“, sagt Zharov. Die Ukraine kämpfe und widersetze sich, während man in Luxemburg und auf der ganzen Welt helfe, wo man nur helfen könne. Das alles verblasse jedoch im Vergleich zum Leid und Kampf der Menschen, die die Ukraine gegen die russischen Invasoren verteidigen. „Wir verteidigen nicht nur die territoriale Integrität und den Frieden in der Ukraine, sondern den Frieden in Europa und auf der ganzen Welt.“
Als sich die Demo am Clairefontaine-Platz aufzulösen beginnt und Richtung Innenstadt zieht, mischen sich unter den Protestzug auch zwei Damen mit gelben Protestplakaten, auf denen in blauer Schrift „Stop Putin Stop War“ und „No appeasement Putin, Hands off Ukraine“ steht. Eine der beiden Damen heißt Mariia Polieshko. „Meine ganze Familie ist noch in der Ukraine“, sagt Mariia sichtlich erregt. Ihre kleine Schwester befinde sich derzeit noch in Kiew, ihre Eltern in einem Dorf an der weißrussischen Grenze. Ihre Freunde seien ebenfalls noch alle in der Ukraine. „Der Vater einer Freundin ist vor ein paar Tagen im Kampf gefallen“, erzählt Mariia mit zittriger Stimme. Eine weitere Bekannte wohne in der Nähe des ukrainischen Atomkraftwerkes Saporischschja, das vor zwei Tagen bombardiert wurde, bricht es aus der jungen Ukrainerin heraus, als habe sich alles über die letzten Tage aufgestaut.
Zwischen Bangen und Fake News
„Wenn ich Nachrichten schaue, dann checke ich alle Nachrichtenseiten, weil ich fast überall Familie habe“, erzählt Mariia. Ständig wache sie nachts auf und habe dann den Drang, das Netz nach Neuigkeiten abzugrasen. Ist etwas in der Nähe eines Familienmitglieds passiert, ist es Fake News oder doch eine verlässliche Information. „Das bisher schlimmste Gefühl war, als ich gelesen habe, dass das Viertel, in dem meine Schwester lebt, bombardiert wurde“, sagt die sichtlich aufgewühlte Ukrainerin. „Das Nachbarhaus meiner Schwester wurde getroffen – ich bin sofort in Tränen ausgebrochen.“
Für die willkommene Ablenkung zwischendurch sorgen Memes des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – schnell würden einen die Realität und das traurige Gefühl wieder einholen und übermannen. „Es ist unmöglich, sich auf etwas zu konzentrieren.“
Vor zweieinhalb Jahren ist die 26-Jährige nach Luxemburg gezogen und arbeitet seitdem als Auditorin im Großherzogtum. Die Solidarität, die ihr auf der Demo und im noch neuen Freundeskreis entgegenschlägt, hilft ihr durch diese schwierige Zeit. „Es ist schön, zu sehen, dass wir als Ukraine nicht alleine gelassen werden.“ Auf die ungewisse Zukunft der Ukraine angesprochen, flammt ein Fünkchen Hoffnung bei der Wahl-Luxemburgerin auf. „Wir werden wieder nach Hause in unser Land gehen können“, ist sich Mariia sicher. Eine weitere Stütze soll demnächst aus der Ukraine eintreffen. Dann soll ihre Schwester ins sichere Luxemburg kommen.
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