Editorial / Putin holte sich Verbrecher, andere bekamen die Freiheit
Wir sollten uns keinen Illusionen hingeben, die Kritiker des jüngsten Gefangenenaustauschs zwischen Russland und dem Westen dürften Recht behalten: Die westlichen Staaten machen sich erpressbar und könnten vermutlich früher oder später erneut von Moskau, Belarus oder sonstigen Diktaturen zu solch umstrittenen Abmachungen genötigt werden. Der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, hat bereits wissen lassen, dass sich noch weitere russische Häftlinge in den USA nach Mütterchen Russland sehnten. An politischen Gefangenen mangelt es dem Putin-Regime seit Beginn der umfassenden Invasion in der Ukraine nicht. Seit der Niederschlagung der Demokratiebewegung im Jahr 2020 hält auch sein belarussischer Vasall, Alexander Lukaschenko, noch viele Politische in seinen Straflagern fest. Unter ihnen Maria Kolesnikowa, die im Bunde mit Svetlana Tichanowskaja und Weranika Zepkala bei den Präsidentschaftswahlen im August 2020 dem damals letzten Diktator Europas die Stirn bot. Von Maria Kolesnikowa gibt es seit mehr als einem Jahr kein Lebenszeichen mehr.
Der menschenverachtende Umgang mit Frauen und Männern, die für eine freiheitliche und demokratische Entwicklung in ihren Ländern einstehen, ist nur einer der Wesensmerkmale der Regime jener russischen Welt, „Russki Mir“, in die Putin nun auch noch die Ukraine hineinziehen will. Der Kremlherrscher degradiert Oppositionelle, Menschenrechtler und andere ihm unliebsame Personen zu Tauschobjekten. Sie werden, wie im russischen Strafvollzug üblich, einer entwürdigenden und nicht selten lebensbedrohlichen Behandlung ausgesetzt. Damit soll insbesondere im Fall der als Geiseln gehaltenen Gefangenen aus westlichen Ländern, der Druck auf die Herkunftsstaaten erhöht werden, ihre Leute freizubekommen.
Wer nun aus dem Gefangenenaustausch einen Sieg Putins herauslesen will, lässt sich zu sehr auf dessen Denkweise ein. Vielmehr werden in einem wiederum anderen Kontext jene Gegensätze deutlich, die zwischen den Systemrivalen auf dem europäischen Kontinent bestehen. In den Westen kehrten nicht nur Menschen zurück, die sich als Journalisten, Schüler oder Wissenschaftler nichts vorzuwerfen hatten und einem willfährigen Machtapparat ausgeliefert waren. Es wurden auch Bürgerinnen und Bürger Russlands aufgenommen, die sich selbstlos als politische Aktivisten und Menschenrechtler für ein „schönes Russland der Zukunft“ (Alexej Nawalny) eingesetzt haben, das ihnen Putin nicht gönnen will. Der hingegen holt „die Seinen“ zurück: Geheimdienstler, Mörder, Betrüger, Schmuggler. Mit ihnen glaubt der Kremlherrscher, sich auf dem roten Teppich schmücken zu können. Doch die Bande, die er sich da bemüht hat, zurückzuholen, ist nicht nur ein Sinnbild für seinen, sondern auch für den Charakter des ganzen Regimes. Die Welt ist nun davon Zeuge geworden und jeder kann ob der Unterschiede, die dabei wieder einmal sichtbar wurden, seine eigenen Schlüsse ziehen.
In jenen Ländern, die nach ordentlichen und rechtsstaatlichen Prinzipien gefallenen Gerichtsurteilen Straftäter haben freigeben müssen, dürfte dies als eine Kapitulation vor der Willkür eines Diktators empfunden werden. Sie können sich jedoch mit dem Gedanken trösten, dass somit Menschen davor bewahrt wurden, in den Kerkern des Moskauer Regimes zugrunde zu gehen und ihre Freiheit uns und vermutlich ebenfalls vielen Menschen in Russland mehr bedeuten sollte als der Verbleib von Putins Verbrechern in hiesigen Gefängnissen.
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