Russland / Putins Faustpfand für einen Auftragskiller
In Jekaterinburg, fern von Moskau, steht der US-Journalist Evan Gershkovich wegen angeblicher Spionage vor Gericht. Ein Schuldspruch gilt als sicher, dürfte ihn aber näher zu einem Austausch bringen.
Den Kopf kahl rasiert, die Arme verschränkt, ein kurzes Lächeln huscht über sein Gesicht. So steht Evan Gershkovich am Mittwochmorgen in einer Glasbox des Swerdlowsker Gebietsgerichts in Jekaterinburg, etwa 1.800 Kilometer östlich von Moskau entfernt. Sagen darf der 32-jährige US-Korrespondent nichts, es ist nur das Klicken der Fotoapparate zu hören. Nur wenige Minuten geben Gerichtsdiener einigen Fotografen und Kameraleuten, um den aus Moskau hierhergekarrten Journalisten zu filmen. Die kurze Sitzung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Es könnten die vorerst letzten Bilder des inhaftierten Amerikaners sein. Gefangen gehalten von einem absurden wie unmenschlichen System, weil der Mann seinen Job machte, einen „hervorragenden Job“, wie die Chefredakteurin des Wall Street Journal, für das Gershkovich seit Januar 2022 arbeitete, in einem Brief vor der Verhandlung schrieb. Von einem Prozess zu sprechen, sei unfair gegenüber Evan, führte Emma Tucker weiter aus.
Was in der Millionenstadt am Ural aufgeführt wird, ist in der Tat eine Justizfarce. Der russische Geheimdienst FSB, der Gershkovich im März 2023 aus einem Restaurant in Jekaterinburg abführte, will ihn auf frischer Tat ertappt haben. Der Vorwurf: Spionage. Gershkovich, so sagt es der russische Generalstaatsanwalt, soll „im Auftrag des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA geheime Informationen über Herstellung und Reparatur von Militärtechnik durch den Rüstungsbetrieb Uralwagonsawod gesammelt und dabei sorgfältige Methoden der Konspiration beachtet“ haben. Doch auch nach knapp 15 Monaten U-Haft haben die russischen Behörden keine Beweise vorgelegt. Jedwede Belege dürften ohnehin hinter verschlossenen Türen bleiben. Auch Anwälte müssen in solchen Fällen eine Verschwiegenheitsklausel unterschreiben. Gershkovich bestreitet jede Schuld. Er ist der erste ausländische und vom russischen Außenministerium akkreditierte Journalist, der sich wegen Spionage verantworten muss. Sein Fall ist auch ein Zeichen an alle noch verbliebenen ausländischen Korrespondenten in Russland. „Alles ist möglich“, teilt das russische Regime so mit.
20 Jahre Strafkolonie
2018 war der joviale Journalist nach Moskau gekommen. Er war geradezu gierig darauf, Russland zu bereisen und es kennenzulernen. Er fand schnell den Zugang zu den Menschen, stellte auch den zugeknöpftesten Beamten beharrlich seine Fragen. Für die bis vor Kriegsbeginn in Moskau erscheinende englischsprachige Zeitung The Moscow Times schrieb er seine ersten Reportagen, wechselte später zur Agentur Agence France Press, danach zum Wall Street Journal. „Wanja“ nennen ihn seine russischen Freunde, so rufen ihn auch seine Eltern. Es ist die Kurzform von Iwan. Evan klinge ähnlich, aber eben nicht russisch, erzählte Evan Gershkovich stets etwas belustigt in Gesprächen mit Kollegen.
In den 1970ern waren seine jüdischen Eltern, Michail Gershkovich und Ella Milman, aus der Sowjetunion in die USA emigriert, die beiden Kinder, mit denen sie stets Russisch sprachen, sollten es besser haben. Sollten in Freiheit leben, keine Repressionen erleben müssen. Nun dürfte ihr Jüngster zu 20 Jahren Strafkolonie verurteilt werden, keine Anklage wegen Spionage endete in Russland jemals mit einem Freispruch.
Die Verurteilung aber dürfte Gershkovich dennoch auf Freiheit hoffen lassen. Fast schon unverhohlen erklärte Russland Präsident Wladimir Putin in einem Interview mit dem US-Fernsehmoderator Tucker Carlson im Februar, die Geheimdienste beider Seiten verhandelten über die Bedingungen eines möglichen Austauschs. In einem der mit den USA verbündeten Länder sitze schließlich ein Mensch im Gefängnis, der aus patriotischen Motiven in einer europäischen Hauptstadt einen Banditen liquidiert habe, sagte der Kremlchef damals. Damit meinte er wohl den sogenannten Tiergarten-Mörder, der im August 2019 den früheren tschetschenischen Feldkommandeur Selimchan Changoschwili getötet hatte. 2021 wurde der FSB-Killer Wadim Krassikow in Berlin zu lebenslanger Haft verurteilt, diesen will Putin freipressen. Gershkovich ist so zu einem Faustpfand des Kremls geworden. Die Verhandlung soll am 13. August fortgesetzt werden.
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