Editorial / Putins Wiederwahl: eine politische Spezialoperation
Es ist nicht ganz klar, wie man die Veranstaltung bezeichnen soll, die die russische Führung vom heutigen Freitag bis Sonntag im Land abhalten lässt. Das offizielle Russland spricht von einer Präsidentenwahl. Der russisch-deutsche Schriftsteller Wladimir Kaminer meinte hingegen gegenüber dem Spiegel, auch in Russland gebe es Menschen, die ihre Schwierigkeiten damit hätten, den angesetzten Urnengang als „Wahl“ zu bezeichnen. Sie würden vielmehr von einer „elektoralen Maßnahme“ sprechen. Vielleicht kommt auch die Bezeichnung „politische Spezialoperation“ dem vermeintlich legitimitätsstiftenden Prozess am nächsten, mit dem der Kreml die Amtszeit seines Chefs vorläufig bis zum Jahr 2030 verlängern lässt.
Immerhin, vom Praktischen her wurde so manches aufgeboten, was es zu einer Wahl braucht: Es gibt den Amtsinhaber, der eine weitere Mandatsperiode anstrebt, und drei Herausforderer. Die sind zwar von der Systemopposition, und damit ein Anhängsel des Regimes – an Putins einstiger Wirkungsstätte, der DDR, waren sie als „Blockflöten“ bekannt. Doch sie erfüllen ihren Zweck. Dann gibt es Wahlplakate und Wahlbüros, mit Stimmzetteln und Urnen, und Wahlhelfer. Die sind in manchen Gegenden zwar bewaffnet, doch auch in den besetzten ukrainischen Gebieten will Moskau sein Demokratieverständnis umsetzen. Außerdem gibt es noch eine nationale Wahlkommission, die über den einwandfreien Verlauf des Urnengangs wacht. Und schließlich ist da noch das Wahlvolk, der Souverän, der wider Erwarten eine sehr wichtige Rolle zu spielen hat.
Nicht umsonst hat sich der Kremlchef am Donnerstag persönlich noch einmal an das Volk gewandt und es aufgefordert, seiner „patriotischen und staatsbürgerlichen Pflicht“ nachzukommen. Nicht etwa, weil er damit zusätzliche Wählerinnen und Wähler für sich mobilisieren will, um seine Stimmenzahl zu maximieren. Nein, um das Wahlresultat geht es nicht, das dürfte mittlerweile feststehen. Es geht vielmehr darum, dass möglichst viele an der Wahl teilnehmen. Denn wie soll man Wahlen manipulieren, wenn niemand abstimmt?
Wichtig für den Kreml ist daher eine hohe Wahlbeteiligung, wenn auch diese Zahlen letztendlich frisiert werden können. Doch wenn am Ende die Vorstellung einer hohen Zustimmung für den Wahlsieger erzeugt werden kann, dann regiert es sich leichter. Selbst für einen zusehends sich zum totalitären Herrscher gewandelten Wladimir Putin, der mittlerweile ein Regime installiert hat, das mittels Lügen und Propaganda seine Bevölkerung offenbar für einen sinnlosen Krieg begeistern kann, in dem die eigenen Leute zu Hunderttausenden, wenn nicht umkommen, so doch fürs Leben gezeichnet werden.
Dass diese „Wahlen“ eine Farce sind, braucht also nicht weiter beschrieben zu werden. Inwieweit der Urnengang als zusätzliches Instrument der Kontrolle der Bevölkerung genutzt wird, da unter anderem auch die Möglichkeit der elektronischen Wahl ausgeweitet wurde, kann nur vermutet werden. Für eine Opposition gibt es in Russland längst keinen Raum mehr. Ob der von der Exil-Opposition gemachte Aufruf, am Wahlsonntag mittags vor den Wahllokalen zu erscheinen, ohne jedoch unbedingt zu wählen, von den Menschen befolgt werden wird, dürfte noch das Spannendste an dem Polit-Manöver sein.
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Eine blutige Seifenoper!