Europa / Radikalisierte Feindschaft: Antisemitismus als auch Islamophobie nehmen zu
Während die Zahl antisemitischer Vorfälle in vielen Ländern Europas gestiegen sind, auch in Luxemburg, hat ebenso der antimuslimische Rassismus zugenommen.
Seit einiger Zeit taucht es immer wieder bei Protesten gegen Israel auf: ein rotes Dreieck mit nach unten gerichteter Spitze. Unter anderem war es Ende Mai bei der Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften der Berliner Humboldt-Universität durch propalästinensische Aktivisten auf Wänden und Fensterscheiben aufgefallen. Man sieht es aber auch auf Plakaten bei Demonstrationen und an den Revers von Jacken.
Experten sehen darin ein Symbol der Hamas oder zumindest eine enge Verbindung zur Terrororganisation. Diese nutze das Symbol seit Oktober, „um Drohungen auszusprechen oder potenzielle Anschlagorte zu markieren“, zitierte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel den Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber von der deutschen Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung im nordrhein-westfälischen Brühl, der über Rechts- und Linksextremismus ebenso wie über Islamisten publiziert hat.
Im Zweiten Deutschen Fernsehen erklärte der Nahostwissenschaftler Tom Khaled Würdemann von der Universität Heidelberg, dass die Hamas das Symbol in ihren Propagandavideos benutze, um „ihre Feinde zu markieren“. Auf Videoclips ist außerdem zu sehen, wie das rote Dreieck auf israelische Ziele gerichtet ist, zum Beispiel auf Panzer. Der Politologe Julian Schenke vom Göttinger Institut für Demokratieforschung meint: „Die Hamas markiert damit Kriegsziele und jüdische Menschen, die angegriffen werden sollen.“
Antisemitische Vorfälle
Das umgekehrte rote Dreieck ist mittlerweile auch in Luxemburg gesehen worden, wie die Dokumentationsstelle „Recherche et information sur l’antisémitisme au Luxemboug“ (RIAL) meldete. „Einst wurde das Dreieck von den Nazis verwendet, um politische Gefangene in den Konzentrationslagern zu identifizieren, meistens allein, aber auch in Kombination mit anderen Dreiecken“, so Bernard Gottlieb vom RIAL.
Er weist auf ein Beispiel aus den USA hin: Ein Foto zeigt die Beschädigung des Eigentums von Juden. „Es ist also eindeutig antisemitisch“, so Gottlieb. „Das Zeichen wird von den al-Qassam-Brigaden der Hamas verwendet, um ihre Ziele zu identifizieren. Diejenigen, die das Symbol verwenden, sind Anhänger der Hamas, sie befürworten Gewalt. Diejenigen, die sie unterstützen, werden somit zu Freunden der Hamas-Terroristen.“
Gottlieb weist darüber hinaus auf einen Vorfall hin, der sich am 8. Juni in der Hauptstadt auf dem Pont Adolphe ereignete. Auf Initiative der Organisation „Luxembourg 4 Palestine“ wurde dort eine Menschenkette gebildet. Die Organisation „Comité pour une paix juste au Proche-Orient“ (CPJPO) hatte ihre Mitglieder dazu aufgerufen, an der Veranstaltung teilzunehmen, ebenso die Shoura, eine Vereinigung, welche die Muslime hierzulande vertritt.
Bei der Aktion wurde ein junger pro-israelischer Demonstrant, „der mit einer israelischen Flagge durch die Stadt spazierte“, wie es Gottlieb schildert, von den Aktivisten angegriffen. „Jemand entriss ihm seine Flagge und fügte ihm eine Schnittwunde an der Hand zu. Glücklicherweise griff die Polizei ein, die vor Ort war, um die Sicherheit bei der Demonstration zu gewährleisten.“ Gottlieb wirft die Frage auf: „Gibt es Meinungsfreiheit nur für Pro-Palästinenser?“
Die Aktivisten von „Struggle for Palestine“ würden sich weiter radikalisieren. „Sie treiben es immer weiter auf die Spitze.“ Gottlieb weiß: „Wir verlangen nicht, dass sie den Staat Israel lieben. Wir verlangen auch nicht, dass sie die Juden in Luxemburg lieben. Wir möchten einfach nur, dass sie ihre Mitbürger respektieren, einschließlich derer, die andere Analysen als sie selbst haben und diese auch äußern.“
Definition des Antisemitismus
Doch wann ist eine Kritik am israelischen Staat antisemitisch? Tom Khaled Würdemann verweist auf die beiden Antisemitismusdefinitionen der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) beziehungsweise der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus. „Israel ist ein Staat“, schreibt Würdemann. „Das bedeutet, dass die ‚Kritik der Israelkritik‘ in einem sensiblen Bereich liegt.“
Er nennt ein zugespitztes Beispiel: „Ein Deutscher, der 1920 einen ‚jüdischen Plan’ zur Beherrschung des Heimatlandes unterstellte, hing einem antisemitischen Wahn an“, erklärt der Politologe. „Ein Araber, der das Gleiche annahm, beschrieb damit in Bezug auf die jüdische Nationalbewegung die Realität. Das klingt hart – es sagt aber nur, dass es sich zwischen arabischer und zionistischer Bewegung zuvorderst um einen politischen Konflikt handelte, wie es im Zeitalter der Nationenbildung viele gab, und nicht lediglich um einen sich als Judenhass äußernden Verblendungszusammenhang.“
Aber was bedeuten die historischen Kontroversen für den heutigen Umgang mit dem Israel-Palästina-Konflikt? „Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten“, erklärt Würdemann. „Es ließe sich entweder versuchen, aus einem schwierigen historischen Erbe das Beste zu machen – oder man gibt sich einem Programm des Revisionismus hin und verschreibt sich dem ewigen Kampf.“ Das Kernproblem vermeintlich propalästinensischer Positionen werde sichtbar, wenn zur „Lösung“ des Konflikts nicht ein Kompromiss, sondern die Eliminierung Israels gefordert wird. Dies stelle eine zentrale Bedrohung für heutige Juden dar.
Jedenfalls ist in vielen Ländern Europas die Zahl antisemitischer Übergriffe sprunghaft gestiegen. „Der 7. Oktober war kein Terroranschlag“, so Esther Shapira. „Er war der Beginn eines neuen, globalen antisemitischen Krieges, in dem alle Jüdinnen und Juden sich angegriffen fühlen, weil sie angegriffen werden.“ Mit diesen Worten beschrieb die Journalistin und Filmemacherin im April in der Jüdischen Allgemeinen die Wahrnehmung des 7. Oktober 2023 als Zäsur für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland. Ähnlich dürfte es für die Juden in Luxemburg sein. Wie die RIAL hat auch die deutsche Meldestelle RIAS eine deutliche Zunahme der Vorfälle registriert.
Muslimischer Antisemitismus
Im Fokus der Aufmerksamkeit standen schnell muslimische Communities. Diese sahen sich allgemeinen Verdachtszuschreibungen ausgesetzt. Doch die Vorstellungen eines spezifisch „muslimischen Antisemitismus“ bergen die Gefahr, „dass viele sehr unterschiedliche Menschen pauschal mit Judenfeindschaft assoziiert werden“, warnen die Sozialwissenschaftlerin Sina Arnold vom Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin und der Islamwissenschaftler Michael Kiefer von der Universität Osnabrück in ihrem gemeinsamen Beitrag für die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ vom 15. Juni hin.
Der 7. Oktober war kein Terroranschlag. Er war der Beginn eines neuen, globalen antisemitischen Krieges, in dem alle Jüdinnen und Juden sich angegriffen fühlen, weil sie angegriffen werden.Journalistin und Filmemacherin
Der Begriff des „arabischen Antisemitismus“ sei ebenfalls nicht frei von Pauschalisierungen, könne jedoch regional spezifische ideologische Einflüsse, etwa den arabischen Nationalismus oder Panarabismus, erfassen. Die beiden Autoren halten den Begriff des „islamisierten Antisemitismus“ für angemessen. Im Gegensatz zum Terminus „islamischer Antisemitismus“ werde in ihm deutlich erkennbar, „dass Narrative Resultate ständiger Konstruktionsprozesse sind“. Antisemitismus habe sich zu einem „flexiblen Code“ entwickelt.
Antimuslimischer Rassismus
Zwar wurde unter Muslimen in Deutschland „erheblich erhöhte Raten antisemitischer Einstellungen“ beobachtet, wie Untersuchungen ergaben. 2023 hat der Trend mit einer Rate von 17 Prozent einen vorläufigen Höchststand erreicht. Massive antisemitische Einstellungen unter der gesamten Bevölkerungsgruppe von Muslimen in Deutschland seien aber nur bei einer Minderheit anzutreffen. Sie seien vielmehr ein Effekt konservativ-autoritärer Einstellungen als von Religion.
Zugleich hat auch der antimuslimische Rassismus in den vergangenen Monaten zugenommen. Die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (CLAIM) stellte eine erhöhte Zahl von gewaltvollen antimuslimischen Übergriffen fest. Muslimische Menschen berichten vermehrt von Fremdheitsgefühlen und Pauschalverdächtigungen. Politiker der AfD, aber auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder fordern eine konsequente Abschiebung als Antwort auf die antisemitischen Handlungen. Im Grunde instrumentalisieren sie den Antisemitismus. Die jüngsten Entwicklungen deuten auf die Gefahr einer zunehmenden Radikalisierung auf beiden Seiten hin.
Derweil erklärte kürzlich die Berliner Polizei, das Symbol des roten Dreiecks sei grundsätzlich nicht verboten. Und in Luxemburg wurden anscheinend propalästinensische Aufkleber, einige mit der Aufschrift „Stop the Genocide“, vom Reinigungsdienst der Hauptstadt entfernt, wie die „déi-Lénk“-Gemeinderätin Nathalie Oberweis den Medien sagte. Ein bezeichnender Streit um Symbole ist ausgebrochen.
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