Deutschland / Radikalisierung in Hochgeschwindigkeit: Immer mehr Islamisten in Gefängnissen
In deutschen Gefängnissen sitzen immer mehr Islamisten. So lautet zumindest die Einschätzung eines Interessenvertreters derer, die vor Ort sind: der Strafvollzugsbediensteten. Ein Sozialpsychologe beobachtet auch Fälle von Radikalisierung in Hochgeschwindigkeit.
Schaut man auf eine aktuelle Statistik, scheint es eine überschaubare Gruppe zu sein: Knapp hundert Islamisten, die vom Bundeskriminalamt (BKA) als islamistische „Gefährder“ registriert sind, sitzen in Gefängnissen. Allerdings handelt es sich bei diesen sogenannten Gefährdern um Personen, bei denen die Annahme besteht, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden. Laut einem BKA-Sprecher sind dafür „staatsschutzrelevante Erkenntnisse“ nötig.
Nach Beobachtungen des Vorsitzenden des Bundes der Strafvollzugsbediensteten, René Müller, ist das Problem der Islamisten in Haftanstalten noch größer als es die Zahlen vermuten lassen. „Strafvollzugsbedienstete haben es häufig mit Menschen zu tun, die derart radikalisiert sind, dass sie vor Gewalt nicht mehr zurückschrecken. Darunter sind Rechtsextreme, Linksextreme, Hooligans, Rocker oder Mitglieder krimineller Banden“, beschreibt er die Situation in Haftanstalten. „In den vergangenen zehn oder fünfzehn Jahren ist aber im Gegensatz zu den anderen Bereichen die Zahl radikalisierter Muslime extrem gestiegen.“ Gerade in den Metropolen und in den westlichen Bundesländern würden Salafisten in Gefängnissen immer mehr. „Nordrhein-Westfalen ist da auch ein Brennpunkt.“ Die Zahlen, die dazu von den Bundesländern gesammelt werden, spiegelten das Problem aus Sicht des Verbandes „nicht in Gänze“ wider.
Bei ideologisch festgefahrenen Insassen ist oftmals die Resozialisierung besonders problematisch. „Bei Salafisten müssen wir eigentlich erst einmal von Sozialisierung sprechen. Es ist äußerst schwierig, jemanden von der westlichen Demokratie und der liberalen Gesellschaft zu überzeugen, der ein Kalifat bevorzugt.“ Er fügt hinzu: „Für einige Inhaftierte sind Strafvollzugsbedienstete ohnehin Ungläubige.“ Sie repräsentierten außerdem den Staat, der in den Augen der Inhaftierten die Wurzel allen Übels sei.
Fachpersonal und Aussteigerprogramme
Mehr Personal ist nach Einschätzung des Gewerkschafters dennoch auch im Hinblick auf radikalisierte Häftlinge der Schlüssel: „Es bringt nichts, wenn Vollzugsbeamte auf der Station mit 30 oder 40 Leuten arbeiten. Da kommt man weder zu Einzelgesprächen, noch kann man die Situation überschauen. Da funktioniert man nur noch.“ Wer wiederum Zeit habe, die Inhaftierten kennenzulernen und zu beobachten, und vielleicht noch eine Weiterbildung zum Thema Salafismus gemacht habe, „dem fällt auf, wenn etwa eine einst voll eingerichtete Zelle nur noch spartanisch bestückt ist, mit einem gefalteten Betttuch und einem Koran“.
Dem Bund wirft Müller vor, die Bundesländer mit der Problematik alleine zu lassen. „Dabei wäre der Umgang mit islamischen Extremisten in Haft aus unserer Sicht Aufgabe der Bundesregierung. Denn das ist auch von nationalem Interesse.“ Auch eine zentrale Unterbringung von Extremisten in Haftanstalten mit besonders ausgebildetem Fachpersonal und Aussteigerprogrammen wäre seiner Einschätzung nach sinnvoll. „Im normalen Vollzug können radikalisierte Personen nicht dauerhaft separiert werden. Da nimmt dann die Radikalisierung von Leuten zu, die es vorher noch nicht waren.“ Er betont: „Es gibt viele labile Personen in Haftanstalten. Salafistische Ideologie trifft da auf fruchtbaren Boden.“
Prävention und Deradikalisierung
Der Bielefelder Sozialpsychologe Andreas Zick, der zu dem Thema forscht, sagt ebenfalls: „Die Zahl der islamischen Extremisten wird sehr viel höher liegen, als die Statistik das widerspiegelt.“ Außerdem gebe es Radikalisierung in Hochgeschwindigkeit: „Wir hatten schon junge Menschen, die sich in zwei oder drei Monaten derart radikalisiert haben, dass sie Gewalt als den einzigen Weg betrachteten.“
Der Verfassungsschutz schätzte das islamistische Personenpotenzial im vergangenen Jahr auf gut 27.000. Ein Teil von ihnen gilt auch als gewaltbereit. Seit einigen Jahren werden einige Modellprojekte zur Prävention und Deradikalisierung in Strafvollzug und Bewährungshilfe auch vom Bund gefördert. Über den Etat von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) etwa wird aktuell jeweils ein Projekt dazu in 15 Bundesländern gefördert. 2023 seien damit rund 1.800 Jugendliche und junge Erwachsene erreicht worden, erklärte ein Sprecher. Zu radikalen Islamisten im Besonderen wurden keine Zahlen genannt.
Extremismusexperte Zick sagt, dass deutsche Projekte zur Deradikalisierung in Gefängnissen anfangs noch nicht so erfolgreich waren. Denn der Fokus lag zunächst darauf, dass die Inhaftierten ihre Ideologie aufgeben. „Mehr Erfolg hat ein Alternativkonzept: Dass die Inhaftierten sich vom Gewaltkonzept verabschieden.“ Bei der Deradikalisierung sei zudem eine Unterstützungskette notwendig. „Im Moment fehlt die Ausstiegshilfe ab dem Zeitpunkt, wo die Personen das Gefängnis wieder verlassen.“ Die Gefahr sei dann relativ groß, dass sie rückfällig werden.
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