Fels / „Rali do Fado“ gibt Portugals ureigenem musikalischen Genre ein neues Zuhause
Was einst in den Armenvierteln von Lissabon entstand und sich im Laufe des 20. Jahrhunderts zum bekanntesten Musikstil und kulturellen Exportschlager Portugals entwickelte, hat längst die großen Konzertsäle der Welt erobert – so auch die Luxemburger Philharmonie, wo die großen Stars des Genres auftreten. Dabei liegt nichts näher, als den Fado wieder dahinzubringen, wo er entsprang: in die Welt der Cafés und Kneipen. Diese Idee liegt der „Rali do Fado“ in Fels zugrunde, die am Wochenende erstmals stattfand.
Während die Terrasse des „Café de la Place“ bis auf den letzten Tisch mit Gästen besetzt ist, die den Samstagnachmittag in der Sonne genießen, haben ein paar andere eine Schlange gebildet, um ins Innere des Lokals zu gelangen. Schritt für Schritt arbeiten sie sich zu einem fensterlosen Hinterzimmer vor. Der kaum 40 bis 50 Quadratmeter große Raum ist schnell gefüllt. Er bietet gerade noch Platz für die beiden Musiker mit ihren Gitarren. Als sie zu spielen beginnen, ergreift Magaly Teixeira das Mikrofon und wartet auf ihren Einsatz. Die Haare streng zurückgekämmt und hinten zu einem kleinen Dutt zusammengesteckt, leuchtet sie mit ihrem strahlenden Lächeln aus dem Halbdunkel der improvisierten Bühne heraus. In dem Moment, in dem sie anfängt zu singen, nehmen ihre Gesichtszüge den nötigen Ernst an. Schließlich steht Fado für Schicksal.
Vom traditionellen zum modernen Fado
Als Kind und Jugendliche habe sie noch wenig mit der Musik ihrer Vorfahren anfangen können, hat sie mir bei einer früheren Gelegenheit erzählt. Ihr Vater habe, als die Familie im Auto nach Portugal fuhr, im Auto immer wieder die alten Klassiker von Amalia Rodrigues gespielt. Den Fado entdeckte sie erst später, als sie in Paris klassisches und zeitgenössisches Theater studierte und sich zur Schauspielerin ausbilden ließ. Mittlerweile ist die Akteurin längst durch ihre Auftritte in Fernsehserien und Filmen sowie auf Theaterbühnen bekannt. Selbst an dem berühmten Theaterfestival von Avignon hat sie schon teilgenommen. Magaly Teixeira ist als Sprössling einer portugiesischen Einwandererfamilie in Luxemburg geboren und wuchs in Schouweiler auf.
Von klein auf ist die heute 34-Jährige mit der lusitanischen Kultur verbunden. Das sehnsuchtsgeprägte Lebensgefühl der Saudade, das sich nicht wirklich in eine andere Sprache übersetzen lässt, ist ihr vertraut. Es drückt sich nicht zuletzt im Fado aus. Ihre Erfahrung als Schauspielerin kommt ihr dabei zugute. „Beim Fado erzählt man eine Geschichte, meistens über die Liebe und nicht selten traurig“, sagt sie. Mit den beiden Musikern Miguel Braga und Joaquim Caniço arbeitet Magaly Teixeira schon länger zusammen. Wie bei ihrem kurzen Konzert im „Café de la Place“ legt sie sich nicht auf eine bestimmte Richtung fest: Sie singt sowohl traditionelle Fado-Lieder wie etwa „Loucura“, das um 1930 entstanden ist und heute unter anderem von international erfolgreichen Sängerinnen wie Mariza und Ana Moura zeitgenössisch interpretiert wird, oder „Prece“ von der Fado-Ikone Amalia Rodrigues, als auch modernere wie Ana Mouras „O meu amor foi para o Brasil“ und „Limão“ von Raquel Tavares. Am 25. April wird Magaly Teixeira bei der Vernissage zur Ausstellung „25 avril 1974: des rues de Lisbonne à Luxembourg“ im Nationalmuseum auftreten, zum 50. Jahrestag der Nelkenrevolution in Portugal.
Meine musikalische Reise hat in meiner Heimat Ecuador begonnen und setzte sich in Brasilien fort, wo ich weiter Musik studierteMusikerin
Den Auftakt zur „Rali do Fado“ haben das Cristina Godinho Trio aus Lissabon sowie Maria Tejada im „Café du Château“ gemacht. Die Besonderheit der zweitgenannten Künstlerin ist, dass sie weder aus Portugal noch aus Luxemburg kommt, sondern aus Ecuador stammt. Ihr Repertoire reicht von der andinen Folklore ihres Heimatlandes über Jazz und brasilianischen Bossa Nova bis hin eben zum Fado. Maria Tejada hat bereits zehn Alben in unterschiedlichen Konstellationen, vom Duo über ein Streichquartett bis hin zur Bigband, aufgenommen. „Meine musikalische Reise hat in meiner Heimat begonnen und setzte sich in Brasilien fort, wo ich weiter Musik studierte“, erklärt die Südamerikanerin nach dem Konzert im Felser „Café du Château“. „Schließlich führte sie mich nach Frankreich, genauer gesagt nach Metz, wo ich am Konservatorium studierte.“ Aus Lothringen stammt auch ihr Lebenspartner, der Gitarrist, Komponist und Produzent Donald Régnier, der selbst 13 Jahre in Ecuador lebte und mit Maria Tejada das Duo Iguazú gründete.
Ein Fado-Lied ist, als würde man ein Foto oder einen kurzen Ausschnitt eines Filmes betrachten und daraus eine Geschichte entwickelnMusikerin
Wie die bereits Genannten nahmen auch die weiteren Künstler, die bei der „Rali“ auftraten, ihr Publikum mit auf eine Reise: so etwa Rui Simões oder die in Luxemburg ansässige Paula Oliveira, ebenso der auf mehr als ein halbes Jahrhundert Bühnenerfahrung zurückblickende João Marques, die Sängerin Joana de Deus oder die beiden Gitarristen Frankie Chavez und Peixe, die mit ihrem Projekt Miramar zum Abschluss der „Rali do Fado“ ein instrumentales Konzert auf der „Place Bleech“ gaben. Dass schon die beiden Opener eine große Anzahl von Zuschauern anlockten und die Lokale dabei durchweg brechend voll waren, hat Organisator Dan Terrao überrascht. Bis zum Schluss, zum musikalischen Chillen auf dem zentralen Bleech-Platz, wo Miramar das Publikum zum Chillen einlud, überstieg die Zahl der Besucher seine Erwartungen.
Der Echternacher hat mit der Vereinigung „Lovers of the Universe“ schon einige Projekte ins Leben gerufen. Entstanden während der Covid-Pandemie, als das künstlerische Leben weitgehend brachlag, hatte es sich die Gruppe zur Aufgabe gemacht, eine neue, eher unkonventionelle Art von Veranstaltungsplattform ins Leben zu rufen, um Leute mit Ideen, Kreativität und Begeisterungsfähigkeit zusammenzubringen. Wie die „Lovers of the Universe“ auf ihrer Webseite erklären, handelt es sich um ein philanthropisches Projekt, um „eine kulturelle Agenda einzuführen und einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben“.
Fado-Universum im Mikrokosmos
So würden kulturelle Aspekte mit pädagogischen und sozialen Elementen verbunden, erklärt Dan Terrao. Die Idee für die „Rali do Fado“ sei einem Arbeitskollegen bei der Blues’n’Jazz-Rallye gekommen, der meinte, man könne doch auch eine Fado-Rallye in Fels veranstalten. Der Fado, übrigens 2011 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt, bringe Menschen weit über die portugiesische Gemeinschaft hierzulande zusammen, so auch die insgesamt neun Gratiskonzerte der „Rali do Fado“. Dan Terrao selbst hat kein kommerzielles Interesse daran. Er ist hauptberuflich als Erzieher in einem Internat tätig. Einen „Mammutteil“ zum Gelingen der Veranstaltung in Fels hat nach seinen Worten zum Beispiel die Gemeinde selbst beigetragen. Mit dem Ergebnis, dass der Ort am Tag der Rali in Bewegung geraten sei – das hauptsächliche Prinzip des Tages oder, so wie es Magaly Teixeira formulierte: „Ein Fado-Lied ist, als würde man ein Foto oder einen kurzen Ausschnitt eines Filmes betrachten und daraus eine Geschichte entwickeln“, sagt die Künstlerin. „Man nimmt als Interpret sein Publikum mit auf eine kurze Reise.“
Oder als würde man die Fotos von Paulo Lobo betrachten, die während der Rali in der Felser „Stuff“ zu sehen waren. Seit seiner Jugend hat der 1964 in Baixa de Banheira geborene und zum großen Teil in Luxemburg aufgewachsene Fotograf die Entwicklung des Fado begleitet. Mit seinen oftmals schwarz-weißen Fotos hat er nicht nur Bilder und Stimmungen des Alltags der portugiesischen Einwanderer eingefangen, sondern auch die „Fadistas“ bei der Ausübung ihrer Kunst festgehalten. Auf einem der Bilder ist Ana Moura zu sehen, auf einem anderen sind es der Sänger Helder Mourinho und der junge Gitarrist Diogo Clemente. Paulo Lobo hat die Fado-Musiker und Sänger sowohl auf der Bühne als auch außerhalb ihrer Auftritte fotografiert – und dem Fado sowie der Saudade damit eine fotografische Dimension verliehen. Mit der „Rali do Fado“ hat das Universum von Portugals ureigenem musikalischen Genre im Mikrokosmos von Fels ein neues Zuhause gefunden.
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