Tokyo 2020 / Raphaël Stacchiotti will sich noch einmal für „brutal harte Monate“ belohnen
Raphaël Stacchiotti ist seit 2008 das Aushängeschild des Luxemburger Schwimmsports. Am Mittwoch wird sich in Tokio der Kreis schließen.
Das Tattoo mit den Olympischen Ringen an der Flanke kommt nicht von ungefähr. Tokio sind die vierten Spiele, die Schwimmer Raphaël Stacchiotti miterlebt. „Vier ist meine Lieblingszahl, das kommt also nicht von ungefähr“, scherzt der 29-Jährige. Seit seinem ersten Auftritt 2008 in Peking hatte er Blut geleckt und richtete seine Lebensplanung auf den olympischen Vierjahreszyklus aus. Damit ist nun Schluss. „Sir Kingfish“ ist mittlerweile Vater von Zwillingen und arbeitet als Sportkoordinator für die Gemeinde Bissen. Am Mittwoch wird er ein letztes Mal auf einem olympischen Startblock stehen. Stacchiotti startet um 12.54 Uhr MESZ im zweiten Vorlauf über die 200 m Lagen. Mit 1:59,62 Minuten hat er die drittbeste Meldezeit seiner Serie, allerdings schien diese Marke zuletzt unerreichbar. Der 29-Jährige will den Moment genießen und alles geben, und das obwohl, oder eher gerade, weil die vergangenen Monate richtig brutal waren.
Tageblatt: Sind Sie bereit für Ihren letzten Auftritt als Schwimmer?
Raphaël Stacchiotti: Ja, jedenfalls so gut es geht. Es war keine leichte Vorbereitung.
Sie befinden sich momentan noch irgendwie zwischen zwei Lebensphasen. Auf der einen Seite sind Sie Hochleistungssportler, auf der anderen sind Sie ins Berufsleben eingetreten. Wie kann dieser Spagat gelingen?
Das ist definitiv nicht einfach gewesen. Im September bin ich ja Vater von Zwillingen geworden. Dadurch waren die Nächte halt manchmal etwas anstrengend und man musste den Alltag etwas genauer organisieren. Aber das ging noch. Richtig hart wurde es, als ich im Januar anfing zu arbeiten. Ich war von morgens 5.30 Uhr bis abends nach 20.00 Uhr unterwegs. Die letzten Monate waren richtig brutal. Deshalb habe ich den Lehrgang hier in Japan so genossen. Da musste ich nur schwimmen, essen und schlafen. Es gab keine Windeln zu wechseln, keinen Einkauf zu erledigen und auch sonst keine Termine. (lacht)
Es war in allen Hinsichten eine Belastungsprobe
Gab es einen Moment, in dem Sie hinschmeißen wollten?
Deren gab es in den vergangenen Monaten mehrere. Ich saß mehr als einmal mit meiner Frau zusammen und wollte das Projekt einfach beenden. Doch nur eine Sekunde später wurde mir wieder bewusst, dass es sich nur noch um ein paar Monate beziehungsweise ein paar Wochen handeln würde. Außerdem wären die ganzen Entbehrungen, die ganzen Anstrengungen umsonst gewesen. Also habe ich weitergemacht. Es war aber in allen Hinsichten eine Belastungsprobe. Meine Frau und ich können stolz sein, dass wir das geschafft haben.
Sie werden jetzt noch einmal vor einem Rennen auf dem Startblock stehen. Wie gehen Sie dieses Rennen an?
Unser technischer Direktor Christian Hansmann hat mir das auch noch einmal klargemacht. Er sagte zu mir, dass ich alles, wirklich alles geben und alles, was ich habe, im Wasser lassen soll. Wenn man beim letzten Rennen nicht alles gibt, wird man dem womöglich lange nachtrauern. Das will ich auf keinen Fall.
Haben Sie konkrete Ambitionen?
Ich bin genug Realist, um zu wissen, dass ich weit von meiner Bestleistung entfernt bin und ein Halbfinale nicht in Reichweite ist (Stacchiotti schwamm die 200 m Lagen Ende Juni in Rom in 2:04,01 und lag damit 4,39 Sekunden über seinem Landesrekord von 2019, Anm. d. Red.). Das Niveau ist extrem gestiegen. Die A-Norm für Rio 2016 lag noch bei 2:00,20 Minuten, heute unterbieten gleich 36 Schwimmer diese Zeit. Die aktuelle A-Norm von 1:59,67 Minuten hätte in Rio noch für Platz zwölf gereicht. Das ist schon verrückt. Ich will einfach alles aus mir herausholen und das letzte Rennen meiner Karriere genießen.
Blieb so kurz vor dem Ende schon Zeit, um die Karriere Revue passieren zu lassen?
Ja, mir sind in der vergangenen Zeit einige Erlebnisse durch den Kopf gegangen.
Was bleibt Ihnen besonders in Erinnerung?
Ich habe alle olympischen Rennen von Usain Bolt gesehen, genau wie viele von Michael Phelps. Zwei der besten Olympioniken aller Zeiten erlebt zu haben, ist schon etwas Besonderes. Nichts kommt allerdings an meine ersten Spiele 2008 heran, als ich mit 16 Jahren die Fahne tragen durfte. Das wird auf immer einen besonderen Platz in meinem Leben einnehmen. Dass ich jetzt bei meinen letzten Spielen wieder die Fahne tragen durfte, ist zu schön, um wahr zu sein. Besser hätte sich der Kreis nicht schließen können.
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