Eine Einordnung / Rassismus im Gucci-Mantel: das Bettelverbot
Sie sind mit dem Bettelverbot visiert und werden ab und an von Politikern erwähnt. Aber wirklich viel wissen die meisten Personen in Luxemburg nicht über Roma und Romnja: Sichtweisen sind häufig mit Stereotypen behaftet. Dafür sollten diese Menschen nicht an den Pranger gestellt werden, da allgemein wenig Wissen über diese Bevölkerungsgruppe vermittelt wird. Problematisch ist allerdings die Position vieler öffentlicher Figuren.
Begriffe
Die International Roma Union hat sich für die Bezeichnung „Roma“ ausgesprochen. In der deutschen Sprache haben sich folgende Deklinationen durchgesetzt, die u.a. der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma verwendet:
– Einzahl männlich: Rom;
– Mehrzahl männlich: Roma;
– Einzahl weiblich: Romni;
– Mehrzahl weiblich: Romnja.
Romani oder Romanes ist die Sprachfamilie, die weltweit fast sechs Millionen Menschen sprechen.
Das Bettelverbot in den „Stater“ Schickeria-Zonen ist rassistisch und xenophob motiviert. Wie rezente Aussagen Luxemburger Politiker zeigen, wird sich nicht mal mehr Mühe gemacht, dies zu verschleiern. Verschiedene dieser Narrative werden jedoch sowohl aufseiten der Befürworter als auch aufseiten der Kritiker übernommen, teilweise unbewusst. Denn: Ob jemand gegen die ominösen „kriminellen Roma-Banden, die abends von einem Mercedes abgeholt werden“, stänkert, meint, es seien plötzlich „so viele dunkelhäutige Bettler“ in der Stadt, oder gefühlvoll betont, Bettler seien keine „bösen Roma“, sondern liebe Luxemburger, die Grundidee bleibt die gleiche: „Rom*nja gehen traditionell betteln.“ Und kriminell seien sie. Manchmal folgt der Zusatz, das Betteln sei eben „Teil ihrer Kultur“.
Gehen alle Rom*nja tatsächlich betteln? Und wenn sie es tun, warum? Sicherlich gibt es Kriminelle unter ihnen und den einen oder anderen, der sich weigert, eine Arbeit zu verrichten, wobei in beiden Fällen auch ein Luxemburger Gleichgesinnter zu finden sein dürfte. Es geht hier nicht darum, von Rom*nja ausgehende Kriminalität und Probleme innerhalb deren Gemeinschaften kleinzureden. Auch Fälle von bettelnden Romnja, bei denen ein männlicher Bekannter immer wieder nach dem Rechten schaut, wurden in Luxemburg beobachtet. Doch warum tun diese Frauen dies? Setzen sie sich etwa aus Jux bei jeder Wetterlage auf den Boden und hoffen, dass Passanten sich erbarmen und sie „füttern“? Oder gibt es eventuell sozio-ökonomische Faktoren, die dazu führen, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt? Es klingt doch recht seltsam, dass es eine ganze Bevölkerungsgruppe gäbe, die sich durch Diebstahl und schlechten Körpergeruch auszeichnen würde, oder?
Was ich im Gespräch mit Rom*nja erfahren konnte, ist, dass die meisten Menschen in Luxemburg sehr wenig über diese Gemeinschaften wissen. Ich gehöre zu diesen Menschen. Das Thema wird kaum im Geschichtsunterricht behandelt, obwohl diese Communities seit Jahrhunderten existieren und die (europäische) Kunstgeschichte beeinflussen. Ein Beispiel sind Brahms’ „Ungarische Tänze“, doch auch ohne den Brahms-Bonus wäre eine Erwähnung nicht fehl am Platz, die über einen – wenn überhaupt vorhandenen – kurzen Hinweis auf den Holocaust, das schwerste Verbrechen in einer Reihe von jahrhundertelangen Verfolgungen, hinausgeht.
Kriminell oder dauermusizierend
Rassismus ist laut Oxford Dictionary eine „Lehre, Theorie, nach der Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen Merkmalen hinsichtlich ihrer kulturellen Leistungsfähigkeit anderen von Natur aus über- bzw. unterlegen sein sollen“. Xenophobie beschreibt eine ablehnende Haltung gegenüber Personen, die als fremd und andersartig wahrgenommen werden, häufig Personen mit Migrationshintergrund. Antiziganismus ist eine Form von Rassismus, die sich gegen Sinti*zze und Rom*nja richtet.
Leider hat das „Lëtz make it happen“-Land eine recht hässliche Bilanz in diesem Bereich vorzuweisen. Man erinnere sich an den offenen Brief eines bekannten Luxemburger Anwalts, der vor wenigen Jahren über ganze „Kolonnen von Bettlern aus Rumänien“ schrieb, die „eklig und unverschämt“ seien und von einem „sinistren Boss“ rekrutiert würden, wobei besagter Boss offenbar so sinister ist, dass er bislang noch nicht aufgespürt wurde. Doch wer glaubt, das sei mittlerweile „kale Kaffi“, irrt: Auch im Jahr 2024 hagelt es antiziganistische Aussagen. Manche DP- und CSV-Vertreter (von den selbsternannt „Alternativ-Demokraten“ ganz zu schweigen) scheinen eine regelrechte Fixierung auf schwarze Mercedes-Autos zu entwickeln, deren Besitzer angeblich abends dunkelhäutige Bettler-Bataillone abholen, um sich die fette Beute untereinander aufzuteilen.
Doch nicht nur negative Stereotypen vermitteln ein verzerrtes Bild. Auch das andere Extrem – die Vorstellung, Rom*nja seien exotische Freigeister – reduziert diese auf die Ebene des „anderen“, das bestenfalls als folkloristische Deko eingesetzt werden kann. Außerdem blendet es jegliche Schattenseiten aus. Unter Intellektuellen während der Romantik-Bewegung beispielsweise wurde der „nomadische Roma-Lebensstil“ gerne glorifiziert. Nein, dies ist kein Aufruf dazu, irgendwelche romantische Dichter und Maler zu „canceln“! Diese Ansicht war ein Versuch, sich Lebensentwürfen abseits des dominierenden sozio-ökonomischen Systems anzunähern, und spiegelte das Ideal des „Freidenkers, der der Natur nahesteht“, in der Romantik wider. Doch heute sollten wir Vorstellungen aus dem frühen 19. Jahrhundert in den jeweiligen Kontext stellen und bei Bedarf ergänzen können.
Kein Monolith
Keine Bevölkerung ist ein Monolith, ein ebenmäßiger Gesteinsbrocken. „Den“ Rom*nja-Prototyp gibt es nicht, ob er jetzt kriminell oder ein täglich am Lagerfeuer musizierender Wanderer sei. Vielmehr setzt sich „die“ Rom*nja-Gemeinschaft aus unterschiedlichen lokalen Ausprägungen zusammen, die wiederum von Individuen gebildet werden. Und diese Individuen sind auch heute noch Diskriminierung ausgesetzt und strukturell benachteiligt.
Dass viele Menschen in Luxemburg eine Sicht auf diese Gemeinschaften haben, die mit Stereotypen behaftet ist, sollte nicht zu einer pauschalen Verurteilung dieser Personen führen. Doch aus den Diskussionen rund um das Bettelverbot ist mittlerweile ein Politikum geworden, bei dem die Betroffenen kaum zur Rede kommen. Viele „Quelqu’uns“ der „Luxembourg Society“ scheinen sich darin übertrumpfen zu wollen, wer sich am besten und lautesten zur Schau stellen kann. Laut sein gegen Missstände? Gerne! Finde ich absolut angebracht und in Luxemburg könnte die Protestkultur für meinen Geschmack mehr Impulse erhalten. Nur soll die eigene Stimme nicht die der Betroffenen übertönen, deren Stimme eventuell sogar ausschalten oder ihr nicht mal Raum geben. In der Soziologie und den Medienwissenschaften wird dies „performativer Aktivismus“ genannt – ein Aktivismus, der mehr auf die eigene Darstellung, Anerkennung und Beliebtheit abzielt als auf die Sache selbst.
Die Wurzel des Problems, die Gründe, warum Menschen betteln, die systemischen Ungerechtigkeiten sind völlig in den Hintergrund geraten. Dies betrifft alle Bettler, ob sie nun Luxemburger oder Nicht-Luxemburger sind, und es betrifft insbesondere jene, die Rom*nja und somit mit dem Bettelverbot direkt visiert sind.
Der Begriff „Spaltung“ wurde während der Corona-Pandemie von Impfgegnern als eine Art Kampfschrei verwendet. Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, ob eine Spaltung – die dieses Mal wirklich eine ist – zwischen „guten Bettlern“ und „kriminellen Zigeunerclans“ tatsächlich zu Verbesserungen führt.
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Und da ist er wieder, der Neid. Die Armen und die Reichen, die Guten und die Bösen, die Dicken und die Dünnen, die Grossen und die Kleinen, die Gescheiten und die Dummen, die Weissen und die Farbigen, die Geimpften und die Ungeimpften, u.s.f. Hauptsache die Gesellschaft/Bürger wird/werden gespalten in verschiedene Gruppen. Das macht Aufwiegeln viel einfacher.