Weltweit einzigartig / Raymond Niesen und seine Vélosolex-Sammlung
Gut 250 Mopeds, darunter etliche Prototypen und Sonderanfertigungen – sogar ein Exemplar in 24-karätiger Vergoldung –, dazu rund acht Tonnen Ersatzteile, Plakate, Emaille- und Blechschilder, zigtausende weitere Objekte und Dokumente: Der Frisinger Raymond Niesen besitzt die größte Vélosolex-Sammlung der Welt. Untergebracht ist sie in einer 1.500 Quadratmeter großen Halle im deutschen Grenzgebiet, in dem kleinen Dorf Helfant, einen guten Steinwurf von Remich entfernt.
Alles begann 1995. Raymond Niesen entdeckte während einer Geburtstagsfeier in Frankreich ein Vélosolex, das sich in einem nicht mehr besonders guten Zustand befand. „Als Kind habe ich immer davon geträumt, ein solches zu besitzen“, erzählt uns der mittlerweile 67-Jährige, als wir ihn in Helfant, einem kleinen Ort der Gemeinde Palzem unweit von Remich, besuchen. „In Luxemburg waren wir neidisch darauf, dass die Franzosen schon mit 14, und das ohne Führerschein und Helm, mit dem Moped fahren durften, während das bei uns erst mit 16 möglich war, natürlich mit Führerschein und Kopfschutz.“
Für 1.000 französische Francs erwarb Niesen damals das Rad und ahnte noch nicht, dass er damit den Grundstein legte zu einer Sammlung, die ein knappes Vierteljahrhundert später die kompletteste und umfangreichste der ganzen Welt sein würde. Zu dem ersten Vélosolex gesellte sich ein zweites, ein drittes, ein viertes, … „Als ich rund zehn besaß, drohte meine Frau: ‚Entweder die Mopeds oder ich!’“, so Raymond Niesen. „Ich sagte dann nur: ‚Ich werde dich vermissen!’“, lächelt er verschmitzt. Zur Scheidung kam es dann glücklicherweise doch nicht, aber der Sammler suchte nach einer Alternative zum Keller des Wohnhauses, wo er seine Schätze bis dahin umhegte.
Von Preisch über Hettange nach Helfant
Und so fand er in Preisch im französischen Grenzgebiet eine erste Unterkunft für die Sammlung, die ständig weiterwuchs. Raymond Niesen besuchte spezialisierte Märkte und Börsen, fand mithilfe des Internets weitere Räder, aber auch seltene Objekte und Dokumente rund um die Marke. Als es in Preisch zu eng wurde, wurde die Sammlung nach Hettange-Grande verlegt, später dann erfuhr der Sammler, dass die gut 1.500 Quadratmeter große Anlage des einstigen Landmaschinenhändlers Weber in Helfant nahe Palzem frei sei.
Hier fand er ideale Bedingungen vor und mietete die Räumlichkeiten zunächst an, bis dass er sie schlussendlich erwerben konnte. In Helfant steht nun ausreichend Platz bereit, um die Vélosolex-Schätze bestens aufbewahren und auch präsentieren zu können. Sogar eine Werkstatt, wie sie in den 1950er Jahren aussah, hat er dort detailgetreu nachgebaut. Raymond Niesen besitzt inzwischen einmalige Objekte wie etwa Prototypen aus dem Jahr 1942 (offizieller Verkaufsstart war 1946) und sogar das offiziell letzte Rad, das die Fabrik in Saint-Quentin 1988 verlassen hat.
Acht Tonnen Ersatzteile aus Detroit
„Eines Tages“, so erzählt Niesen, „bot ich bei Ebay auf ein in den USA gebautes Vélosolex-Modell und erhielt auch den Zuschlag!“ Allerdings hatte er übersehen, dass sich das Vehikel tatsächlich auch in den Staaten befand, genau genommen in Detroit. Er habe daraufhin beim Verkäufer den Kauf rückgängig machen wollen, weil die Transportkosten den Wert des Objekts um ein Vielfaches überstiegen hätten. „Doch rasch stellte sich heraus, dass der Verkäufer das Vélosolex selbst zusammengebaut hatte. Er war im Besitz eines schier unglaublichen Vorrats an Ersatzteilen.“
Tatsache ist, dass nicht nur in Frankreich selbst Vélosolex gebaut wurden. In weiteren europäischen Ländern und eben auch in den USA entstanden Mopeds in Lizenz und der Anbieter war im Besitz von nicht weniger als acht Tonnen Vélosolex-Teilen, von der kleinsten Schraube über Rahmen und Räder bis hin zu Satteln. Raymond Niesen zögerte nicht lange und flog wenige Tage später nach Detroit, um die einmalige Gelegenheit beim Schopf zu nehmen: Er hatte dabei einen Konkurrenten aus Japan, konnte diesen jedoch ausbooten. Der Container ging nach Helfant, wo die Teile fachgerecht eingelagert wurden.
Der Traum vom Vélosolex-Museum
Inzwischen hat sich Raymond Niesen zum wandelnden Lexikon für alles, was mit der Marke Vélosolex zu tun hat, entwickelt. Seine Sammlung ist zwar die umfangreichste der Welt, aber komplett wird sie wohl nie werden: „Ich suche ständig nach neuen Objekten und Dokumenten, ich bin mir sicher, dass es noch so manches gibt, was ich nicht habe“, erklärt der erfolgreiche Geschäftsmann und zweifache Familienvater, der sich in den 1980er Jahren mit der Firma Burotrend selbstständig gemacht hat. Er ist übrigens nicht nur ein Freund von Zweirädern mit Einzylindermotoren, sondern auch von vierrädrigen Sechs-, Acht- und Zwölfzylindern. Vor allem die Marke mit dem Pferd hat es ihm angetan und so nennt er unter anderem zwei Ferrari Dino aus den Jahren 1968 und 1969 sein Eigen.
Was aber seine Vélosolex-Sammlung angeht, so träumt Raymond Niesen weiterhin davon, irgendwann einmal ein „echtes“ Museum eröffnen zu können. Denn auch wenn man beim Besuch in Helfant bereits den Eindruck gewinnt, dass man sich in einem solchen befindet, handelt es sich um ein der Öffentlichkeit nicht zugängliches Kleinod. Wer weiß, vielleicht klappt ja auch das noch irgendwann …
Stichwort: Vélosolex
1905 gründeten Maurice Goudard und Marcel Mennesson, zwei Studenten der „Ecole centrale Paris“, die Firma Solex. Zunächst produzierten sie Kühler für Automobile. 1917 erhielt Mennesson ein Patent auf ein Fahrrad mit Hilfsmotor. Der erste Prototyp der Vélosolex mit dem typischen Reibrollenantrieb auf dem Vorderrad erschien 1940/41. Von 1946 bis 1988 wurde es in diversen Varianten über sechs Millionen Mal gebaut und erreichte Kultstatus. Spitzenjahr war 1964 mit einer Produktion von 380.000 Stück. 1974 wurde Vélosolex an Renault und Motobécane verkauft. Motobécane wurde schließlich von Yamaha übernommen und 1984 zu M.B.K. Industrie umfirmiert. Am 7. November 1988 wurde im Werk Saint-Quentin die Fertigung des traditionellen Vélosolex endgültig eingestellt.
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