Österreich / Rechtspopulisten zwei Monate vor Wahl fast uneinholbar in Führung
Ende September wählt Österreich ein neues Parlament. Ein FPÖ-Triumph scheint fix – und nur noch die Frage spannend, wie die Verlierer diesen zum Pyrrhussieg machen könnten.
Seit die ÖVP bei der EU-Wahl nur schlecht, jedoch nicht so schlecht wie befürchtet abgeschnitten hat, wird die Kanzlerpartei geradezu von Euphorie getrieben. Der davor selbst von Parteifreunden schon abgeschriebene Karl Nehammer sitzt fest im Sattel und kann sich auf eine geschlossen in die Wahlschlacht ziehende Partei verlassen.
Man ist bescheiden geworden. Sollte die ÖVP am 29. September gegenüber 2019, als Wunderwuzzi Sebastian Kurz noch 37,5 Prozent der Wähler begeisterte, nur zehn Prozentpunkte verlieren, würden die Sektkorken knallen. Denn das könnte wieder Platz eins bedeuten. Noch sieht es freilich nicht danach aus. Der türkise (Zweck)-Optimismus nährt sich aus dem Ausbleiben eines Wahldesasters und der darauf folgenden Umkehr des stetig nach unten weisenden Umfragetrends. Eine am Wochenende veröffentlichte Umfrage des Spectra-Institutes für mehrere Tageszeitungen sieht die ÖVP gerade einmal bei 22 Prozent, also 15 Punkte unter ihrem letzten Nationalratswahlergebnis.
SPÖ-Zweifel an Babler
Der SPÖ droht kein dickes Minus mehr, weil sie schon 2019 auf historisch tiefe 21,2 Prozent abstürzt war. In der Umfrage liegt sie ebenfalls bei 22 Prozent. Das straft Andreas Bablers Mantra vom Aufwärtstrend seit seiner Kür zum Parteichef vor etwas mehr als einem Jahr Lügen. Während sich die ÖVP ihr Tief schönredet oder, wer weiß, einer alten Empfehlung Nehammers folgend im Angesicht der Krise zu „Alkohol oder Psychopharmaka“ greift, macht sich in der SPÖ der Frust über den offenbar doch nicht so zugkräftigen Vorsitzenden breit. Nur der linke Flügel ist glücklich mit dem bekennenden Marxisten, andere wünschten sich einen Kurs der Mitte. Selbst der mächtige SPÖ-Gewerkschafter Josef Muchitsch mahnte: „Der Andi darf nicht als Schreckgespenst der Wirtschaft dastehen.“
Mindestens ebenso wie Babler ist aber auch der ganz Rechte Herbert Kickl ein Schreckgespenst für die Wirtschaft. Der FPÖ-Chef redet nicht einmal mit Unternehmern. Eine Einladung der Industriellenvereinigung zur Präsentation seiner wirtschaftspolitischen Vorstellungen lehnte er ab. Viel hätte der Rechtspopulist mit Neigung zu in- und ausländischen Rechtsextremisten auch nicht zu präsentieren gehabt. Denn ihm genügt es seit Jahren, über Probleme und nicht deren Lösung zu reden. Obwohl der Zustrom von Migranten heuer deutlich abgenommen hat, bleibt dies das blaue Hauptthema, auch, weil die Integration der bereits im Land lebenden Ausländer alles andere als funktioniert. Laut Meinungsforschung ist für die Österreicher Migration momentan das drängendste Problem – noch vor der weiter im EU-Vergleich überdurchschnittlich hohen Inflation. Auf offener Straße in Wien ausgetragene Bandenkriege zwischen Syrern, Türken und/oder Tschetschenen befeuern die FPÖ-Erzählung vom Ausländer, der an allen Problemen im Land schuld ist. Ob Teuerung, Bildungskrise oder Ärztemangel – ohne Ausländer wäre alles halb so schlimm. Deshalb hat Kickl auch kein Problem mit dem von Identitären geprägten Begriff „Remigration“.
Zwar bremste sich der FPÖ-Höhenflug zuletzt etwas ab, doch die jüngste Umfrage sieht Kickl mit 27 Prozent nahezu uneinholbar auf Platz eins. „Volkskanzler“ will er werden, sollte er am Wahlabend als Erster durchs Ziel kommen. Dass die Nazis Adolf Hitler so beworben haben, ficht Kickl nicht an.
Geheimpakt SPÖ-ÖVP?
Der wahrscheinliche Wahlsieger hat jedoch ein Problem: Keiner will mit ihm koalieren. Die ÖVP hat zwar ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie einen Pakt mit Kickl kategorisch ablehnt, regiert sie doch in Ober- und Niederösterreich sowie in Salzburg auf Landesebene mit der FPÖ. Doch die Türkisen haben sich derart massiv auf Kickl eingeschossen, ihn sogar zum Sicherheitsrisiko für Österreich erklärt, dass eine Neuauflage von Türkis-Blau tatsächlich ausgeschlossen scheint.
In der ÖVP gibt es zudem maßgebliche Kräfte, die nach zwei geplatzten Koalitionen mit der FPÖ keinen dritten Versuch mehr wagen wollen. In Wien kursiert schon ein angebliches Geheimpapier, demzufolge ÖVP und SPÖ hinter den Kulissen bereits die Verteilung von Ministerämtern ausgehandelt haben sollen. Da es von einem ehemaligen FPÖ-Politiker „enthüllt“ wurde, dürfte es sich eher um einen Wahlkampfgag aus dem freiheitlichen „War Room“ handeln.
Dass man sich in beiden Parteien aber Gedanken über den Tag danach macht, ist auch klar. SPÖ und ÖVP werden jedoch mangels gemeinsamer Mehrheit einen Dritten brauchen. Theoretisch könnten drei, vielleicht sogar vier Parteien als Partner infrage kommen. Denn neben Grünen und liberalen NEOS haben auch die „Bierpartei“ des Rockmusikers Dominik Wlazny alias Marco Pogo, sowie die KPÖ realistische Chancen auf den Einzug ins Hohe Haus.
Grüne im Out
Die Grünen dürften aus dem Spiel sein, auch wenn sie nach derzeitigem Stand neun Prozent in eine koalitionäre Waagschale legen könnten. Denn zwischen ihnen und der ÖVP geht gar nichts mehr, seit Umweltministerin Leonore Gewessler Mitte Juni gegen den ausdrücklichen Willen der Kanzlerpartei im EU-Ministerrat für die Renaturierungsverordnung gestimmt hat. Nehammer hielt an der Koalition nur fest, weil ohnehin bald gewählt wird und er sich als Fels in der Brandung inszenieren möchte. Außerdem harren noch ein paar Posten einer Verteilung. Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) etwa will Nationalbank-Gouverneur werden. Auch den Sitz in der EU-Kommission beanspruchte die ÖVP – und setzte ihren Favoriten, Finanzminister Magnus Brunner, durch. Die Aufforderung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, einen Mann und eine Frau zu nominieren, wurde übrigens ignoriert. Die Grünen werden für das Ja zu Brunner ihrerseits Funktionäre mit Posten versorgen wollen, dies umso mehr, als ihre Tage an der Macht gezählt sein dürften. Da Ministerin Gewessler mit ihrem Öko-Affront gegen die ÖVP innerparteilich Heldinnenstatus erlangt hat, ist nämlich schwer vorstellbar, dass sie auf einem koalitionären Altar geopfert wird, wie es Nehammer schon verlangt hat.
Da die Christdemokraten die – Babler nicht fern stehende – KPÖ als Mehrheitsbeschaffer ausschließen und auch die „Bierpartei“ mangels inhaltlicher Positionierungen kaum ernsthaft in Erwägung gezogen werden kann, bleiben nur die NEOS. In dem angeblichen Geheimpapier sind jedenfalls schon zwei Ministerposten für sie reserviert.
Verbannt ins Wartezimmer?
Wird diese Konstellation nach der Wahl Realität, feiert Kickl nur einen Pyrrhussieg. Österreich und Europa bliebe ein rechtsextremer Regierungschef erspart, dessen erklärtes Vorbild Viktor Orban ist. Fragt sich nur, wie lange? Denn die nächste Regierung steht vor der Herkulesaufgabe, bei weiter schwacher Konjunktur die infolge Pandemie und Ukraine-Krieg aus dem Ruder gelaufenen Staatsfinanzen in Ordnung, das marode Gesundheitssystem auf Vordermann und das immer mehr Analphabeten hervorbringende Bildungssystem wieder auf Kurs zu bringen. Alle Wirtschaftsexperten raten dringend zu einem Sparpaket mit Einschnitten im sozialen Bereich und/oder Steuererhöhungen.
Das alles riecht nach sehr viel Wasser auf den Mühlen der sich als Ausgrenzungsopfer inszenierenden FPÖ, die auf der Oppositionsbank nur die nächste Wahl abzuwarten braucht.
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